Umstrittene Studie:"Eingeschlagen wie ein Tornado"

Nach Recherchen über mögliches wissenschaftliches Fehlverhalten des Star-Forschers Niels Birbaumer wenden sich zahlreiche Experten an die SZ. An der Uni Tübingen läuft unterdessen ein Untersuchungsverfahren.

Von Till Krause und Felix Hütten

In dieser Woche haben das SZ-Magazin sowie die Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung über Zweifel an einer weltweit beachteten Studie berichtet, in der Niels Birbaumer, ein emeritierter Star-Wissenschaftler der Universität Tübingen, vermutlich fehlerhaft gearbeitet hat.

Laut einer von Birbaumer publizierten Studie sei es möglich, über eine Gehirnkappe mit vollständig gelähmten ALS-Patienten in Form von Ja-Nein-Fragen zu kommunizieren. Ein Tübinger Informatiker überprüfte später die Daten und kam zu dem Schluss, dass die Auswertung eklatant fehlerhaft sei. Doch es dauerte mehr als 18 Monate bis die Kritik in der Fachwelt Beachtung fand.

Die Vorwürfe gegen einzelne Forscher strahlen immer auch auf die Universität aus

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat mittlerweile ein förmliches Untersuchungsverfahren gegen Niels Birbaumer und einen seiner Mitarbeiter eingeleitet. Dabei geht es um den Vorwurf wissenschaftlichen Fehlverhaltens. Der zuständige Ausschuss zur Untersuchung der Vorwürfe wird sich in seiner nächsten Sitzung am 3. Mai mit dem Fall befassen, heißt es bei der DFG.

Sollten die Mitglieder mehrheitlich ein Fehlverhalten Birbaumers und seines Mitarbeiters für erwiesen halten, kann der Hauptausschuss Maßnahmen gegen die Wissenschaftler beschließen. Möglich sind hier unter anderem eine Rüge, ein Ausschluss von der Antragsberechtigung bei der DFG oder die Aufforderung, falsche Daten zu berichtigen.

Auch an der Universität Tübingen läuft derzeit ein Verfahren wegen des Verdachts des wissenschaftlichen Fehlverhaltens gegen Niels Birbaumer. Wann dieses zu einem Ergebnis kommt, ist derzeit offen. Man sei sich allerdings bewusst, dass Vorwürfe gegen einzelne Wissenschaftler immer auch auf die Universität ausstrahlten, sagt ein Pressesprecher der Universität. Die Kommission verfolge die Angelegenheit daher mit "hoher Priorität". Der Dekan der Medizinischen Fakultät, Ingo Autenrieth, teilte auf Anfrage mit, sich zu dem Fall derzeit nicht äußern zu wollen.

Bei Martin Spüler, jenem Informatiker, der die Zweifel an der Studie öffentlich machte, melden sich nach Veröffentlichung der SZ-Berichte inzwischen zahlreiche seiner Kollegen. Sie berichten, die Kritik sei in Tübingen wie "ein Tornado" eingeschlagen. Spüler ist seit Anfang April nicht mehr an der Universität beschäftigt. Sein befristeter Arbeitsvertrag wurde zuvor nicht verlängert. Ob sein Ausscheiden mit seiner Kritik an Birbaumer zusammenhängt, wird momentan ebenfalls an der Universität Tübingen untersucht.

Als Reaktion auf die erste Veröffentlichung in der Süddeutschen Zeitung schickte Niels Birbaumer eine Stellungnahme, in der er den Autoren des Artikels "sachliche Inkompetenz" vorwarf. Auch die Aussagen anderer Wissenschaftler, die seiner Studie massive Fehler bescheinigten, bezeichnete Birbaumer als "sensationslüsterne Verleumdungen".

Mehrere Wissenschaftler haben unterdessen den Kontakt zur SZ-Redaktion gesucht. Einige kritisieren weitere Fehler in Studien von Birbaumers Arbeitsgruppen. SZ-Redakteure gehen den Hinweisen nach.

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