Zwangsversteigerung von Immobilien:Draußen vor der Tür

Ein Schwabe meinte auf einer Zwangsversteigerung ein Schnäppchen zu machen - jetzt kann er nicht einziehen, weil die Vorbesitzerin nicht raus will. Ein typischer Fall.

Corinna Nohn

Von Beginn an ist Heinz Kurmann ganz vorne mit dabei, als "sein" Reihenhaus zur Versteigerung aufgerufen wird: Als erster folgt er den Mitarbeitern vom Münchner Amtsgericht in den Versteigerungssaal. Mit seinem neuen, hellbraunen Lederkoffer, in dem er die Bürgschaft seiner Hausbank aufbewahrt, nimmt der Rentner in der ersten Reihe Platz.

Zwangsversteigerung, dpa

Jedes Jahr werden in Deutschland mehr als 90 000 Immobilien zwangsversteigert. Die neuen Eigentümer freuen sich zunächst über den günstigen Preis. Doch häufig folgt schnell die Ernüchterung.

(Foto: Foto: dpa)

Während die Rechtspflegerin, die das Verfahren leitet, mit monotoner Stimme die Grundbucheinträge rezitiert und die Vorgehensweise erläutert, klappt Kurmann nochmals seinen Koffer auf und überprüft die Höhe seiner Bankbürgschaft, mehrmals streicht er sein akkurat gekämmtes weißes Haar zurück. Endlich geht es los, und Kurmann schreitet als erster zum Tisch der Rechtspflegerin, um seine Personalien zu Protokoll zu geben und mit einem Gebot über 240.000 Euro das Bietergefecht eröffnen.

Für 280.500 Euro verkauft, Wert etwa 350.000 Euro

Tatsächlich heißt es nach einer guten Stunde "für 280.500 Euro an den Herren in der ersten Reihe". Damit erwirbt Kurmann das Eigentum an dem Reihenhaus - seine Freude ist groß. Schließlich ist das Häuschen in einem Münchner Vorort ganz nach seinem Geschmack: Baujahr 1999, guter Zustand. Und 280.500 Euro sind ein Schnäppchen in der bayerischen Landeshauptstadt, wo Häuser teurer sind als irgendwo sonst in Deutschland. Immerhin hatte ein Gutachter den Wert des Wunschhauses auf 351.000 Euro bemessen.

Doch am Abend desselben Tages ist Kurmann nur noch "total enttäuscht". Der Rentner schämt sich ein wenig für seine Gutgläubigkeit und möchte daher seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen. "Ich habe ein Haus gekauft und komme nicht rein", sagt er aufgeregt. Denn als er das neue Heim am Nachmittag erstmals besichtigen wollte - bisher kannte er ja nur das Wertgutachten und Auszüge aus dem Grundbuch -, wurde ihm schnell klar, dass es mit dem Umzug nach München so bald nichts wird: Er klingelte, und es öffnete sich nicht etwa die Tür, sondern ein Fenster im ersten Stock, aus dem sich die derzeitige Bewohnerin lehnte und ihn beschimpfte. "Die war unflätig und hat sogar Fotos von mir gemacht", entrüstet sich Kurmann. Mit eindeutigen Handzeichen gab ihm die aufgebrachte Hausfrau zu verstehen, dass sie von ihm und der Idee einer Hausbesichtigung nichts hielt.

Wie Kurmann dürfte es auch anderen vermeintlich erfolgreichen Bietern auf Zwangsversteigerungen gehen. Scheidung und Arbeitslosigkeit sind die Hauptgründe, warum in Deutschland jedes Jahr mehr als 90.000 Grundstücke, Häuser und Eigentumswohnungen zur Versteigerung aufgerufen werden; in vielen Fällen gibt es Probleme mit den Alteigentümern. "Das kann sich Monate, sogar Jahre hinziehen, bis die Bewohnerin das Haus räumt", kommentiert Winfried Aufterbeck den Fall. Er ist Geschäftsführer des Argetra-Verlags, der jeden Monat ein Verzeichnis mit den Zwangsversteigerungs-Terminen an den mehr als 500 deutschen Amtsgerichten herausbringt.

"Einen netten Brief schreiben..."

Dem düpierten Eigentümer könne man nur raten, alles dafür zu tun, eine Zwangsräumung zu vermeiden, denn das sei ein teures und langwieriges Verfahren: "Unbedingt das Gespräch mit der Dame suchen, die noch im Haus wohnt, oder einen netten Brief schreiben und vielleicht anbieten, den Umzug zu bezahlen", schlägt Aufterbeck vor. Schließlich habe der Erwerber Zigtausende Euro weniger als den Verkehrswert gezahlt, "da fällt eine kleine Zuwendung doch nicht so ins Gewicht". Zwar sagt Kurmann von sich, er sei ein "gutmütiger Mensch", doch er hat kaum Hoffnung, sich mit der Bewohnerin im Guten einigen zu können. "Reden kann man mit dieser Frau nicht, die lässt mich ja nicht mal in den Hausflur." Gedanklich spielt er eine Zwangsräumung durch: "Nur Ärger macht das alles, dann muss man Rechtsanwalt und Gerichtsvollzieher zahlen, 10000 Euro wird das kosten."

Dabei hatte es so gut angefangen. Kurmann hatte sich genau an die gängigen Tipps gehalten, wie man bei Zwangsversteigerungen am besten vorgeht: Sorgfältig hat er ein geeignetes Objekt ausgewählt - gut 120 Quadratmeter Wohnfläche, ruhige Lage, abzugeben vom Eigentümer, damit man sich nicht mit einem gesetzlich gut geschützten Mieter herumschlagen muss. Gründlich hat Kurmann auch das beim Amtsgericht ausliegende Wertgutachten und die Grundbucheinträge studiert. Alle Rechte zum Beispiel anderer Gläubiger oder der Gemeinde sind dort aufgeführt; auch wer die Immobilien bewohnt, steht drin.

Dabei weiß Kurmann mittlerweile: Dass das Haus noch von der Miteigentümerin und ihren zwei Kinden bewohnt wurde und lediglich der Ehemann ausgezogen war, war ein schlechtes Zeichen. Aber darauf hat er nicht so viele Gedanken verwendet, schließlich wusste er ja, dass er als neuer Eigentümer das Recht auf seiner Seite haben würde. Er dachte eben, das würde auch die Alteigentümerin sofort einsehen.

Dass es einen Grund geben musste, warum die Frau mit ihren Kindern das Haus nicht freiwillig zu einem besseren Preis verkaufte, hat der Rentner nicht bedacht. "So ist das halt, man kauft da die Katze im Sack. Und die ganzen juristischen Feinheiten im Grundbuch durchblickt man als Laie ja auch nicht", stellt ein anderer Bieter fest, der sich auf der Zwangsversteigerung für das Objekt interessiert hat. Warum er nur ein Gebot abgegeben hat? "Herr Kurmann war so zielstrebig, es war klar, dass er alles toppen würde."

Suizidgefährdete Alteigentümerin

Zwar haben auch andere Interessenten mitgeboten, darunter zwei professionelle Bieter, die die Immobilie mit Gewinn weiterverkaufen wollten, und ein Herr mit graumelierten Locken, der das Häuschen wohl gern für seinen Sohn ersteigert hätte. Doch Kurmann kontert jedes Angebot, und schnell merkt jeder im Saal: Der will das Haus unbedingt. Fast lächerlich wirkt dagegen die Taktik eines Bieters, der Kurmann immer wieder grinsend um 50 Euro überbietet. Die vorsitzende Rechtspflegerin blickt streng und räuspert sich: Was sind das denn für Trippelschritte, hier geht es schließlich um Hunderttausende Euro!

Die Versteigerung scheint für alle Beteiligten gut zu laufen. Am Ende lächeln auch die Vertreter der Gläubigerbank, denn der Betrag deckt ihre Forderungen ab. Der elegant gekleidete ehemalige Miteigentümer, der geschiedene Ehemann der jetzigen Bewohnerin, lehnt sich ebenfalls entspannt zurück. Es bleibt sogar noch etwas übrig für ihn. "Ich bin sehr froh, dass es vorbei ist", sagt er.

Damit meint er nicht etwa die traurigen Umstände, unter denen er seine Immobilie verloren hat, sondern den Kampf ums Geld nach seiner Scheidung. Dass die Beteuerungen, seine Ex-Frau werde beim Auszug keine Probleme machen, nicht zutreffen, ahnt Kurmann nicht. Er glaubt dem gediegenen Herrn im schwarzen Nadelstreifenanzug.

Stefan H., der sich schon ein knappes Dutzend Versteigerungen angesehen hat, äußert sich sofort nach der Verhandlung skeptisch: "Ich glaube nicht mehr dran, dass man in München ein Schnäppchen machen kann." Dass ein Haus für die Hälfte des Verkehrswerts unter den Hammer komme, wie es in Versteigerungs-Ratgebern oft heißt, habe er noch nie erlebt. "Und selbst wenn ich 20, 30 Prozent spare - was nutzt mir das, wenn ich nachher eine suizidgefährdete Alteigentümerin habe, die sich weigert, auszuziehen? Das habe ich alles schon gehört."

Mittlerweile ist auch Kurmann desillusioniert. "Mein ganzes Erspartes habe ich da reingesteckt", sagt er, seine Stimme zittert. Von dem Gefühl, ein gutes Geschäft gemacht zu haben, ist gut zwei Monate nach der Versteigerung nichts mehr übrig. Noch immer hat er sein Haus nicht betreten können. Er hofft weiter, dass er keine Zwangsräumung erwirken muss, doch bisher scheiterten alle Versuche, mit der Bewohnerin zu reden. Inzwischen erhält er wenigstens Mietzahlungen von der Agentur für Arbeit, die für die Familie zuständig ist.

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