Zertifikate:Komplett verschreckt

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Durch den Zusammenbruch von Lehman verloren viele Zertifikate-Anleger Geld. Nun ist das Vertrauen in das einst so beliebte Finanzprodukt schwer beschädigt.

Philipp Mattheis

Sie haben Geld verloren. Manche mehr, manche weniger, aber alle mit Zertifikaten der Pleite-Bank Lehman. An die 100 traurige Geschichten stehen mittlerweile auf der Website www.lehman-zertifikateschaden.biz. Die Adresse ist eine Anlaufstelle für Anleger, die durch die Lehman-Pleite Schaden erlitten haben. Die Bankenkrise ist ein Schock für Anleger und eine ganze Branche, die seit Jahren nur Wachstum kannte. "Die Anleger sind komplett verschreckt", sagt ein Frankfurter Banker, der seinen Namen nicht geschrieben sehen möchte. Er schiebt sofort hinterher: "Die Produkte aber sind noch immer großartig. Das alles hat eher mit einem allgemeinen Liquidationsdruck im Markt zu tun."

Die Pleite der Investmentbank Lehman Brothers hat viele Zertifikate-Anleger verschreckt. (Foto: Foto: dpa)

Ganz stimmt das nicht. Denn: Das Problem liegt eben auch an den Produkten oder zumindest an der Art, wie die Bankberater diese in den vergangenen Jahren an den Kunden gebracht haben. Zertifikate sind Inhaberschuldverschreibungen. Ein langes Wort, hinter dem sich schlicht verbirgt: Geht der Emittent pleite, ist auch das investierte Kapital der Kunden weg. Fondsanleger haben es da besser. Hier ist das Kapital der Anleger Teil eines Sondervermögens und damit im Falle einer Insolvenz des Investmentfonds geschützt.

Jahrelang galt eine Bankenpleite nahezu als Ding der Unmöglichkeit und wurde in Beratungsgesprächen nur am Rande oder gar überhaupt nicht erwähnt. Diese Informationspolitik rächt sich jetzt. Die Lehman-Pleite und die damit verbundene Unsicherheit trifft die Branche also hart. Viele Anleger wollen jetzt von Investment-Zertifikaten nichts mehr wissen.

Kleiner Skandal, ganz legal

Dazu trägt auch bei, dass es nicht nur Inhaber von Zertifikaten der Lehman Brothers erwischt hat. Betroffen sind auch Kunden, die nicht einmal wussten, dass sie etwas mit dieser Bank zu tun zu haben. "Hier wurden nicht nur exotische Produkte an exotische Kunden verkauft. Die Betroffenen sind wirklich in allen Anlegerschichten zu finden", sagt ein Sprecher der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Über 1000 Anrufe hat er in den vergangenen Tagen von verschreckten Kunden bekommen.

Schuld daran ist ein Konzept namens "White Labelling". Hier schneiderte die Lehman-Bank Konzepte zurecht und gab die Konstruktionen an deutsche Banken weiter. Diese verkauften sie wiederum an ihre Kunden weiter - unter anderem Namen. Aus diesem Grund sind von der Pleite auch Anleger betroffen, die im festen Glauben waren, ein Produkt der Citibank oder der DZ-Bank zu besitzen.

Das klingt nach einem kleinen Skandal, doch auch hier ging letztlich alles mit rechten Dingen zu. Eine Ausnahme ist nur, wenn der Käufer nachweisen kann, dass die Herkunft der Finanzprodukte tatsächlich weder im Verkaufsprospekt noch im Gespräch mit einem Bankberater erwähnt wurde. Lars Brandau, Geschäftsführer des Deutschen Derivate Verbandes, hat deshalb auch wenig Mitleid mit Anlegern, die nun vor Gericht ziehen wollen. Sein schlichter Rat lautet: "Kunden sollten bei ihrem Bankberater anrufen und nachfragen."

Lesen Sie im zweiten Teil, wie der Kauf von Zertifikaten nun transparenter gestaltet werden soll.

So zynisch es für die Betroffenen klingen mag, die Lehman-Pleite ist tatsächlich nur ein Tropfen im unüberschaubaren Zertifikate-Meer. "Wir sprechen von einem Markt mit einem Umsatz von 100 Milliarden Euro. Über 200000 Produkte sind dort gelistet, nur 200 davon stammen von Lehman", erklärt der DSW-Sprecher die Lage. Trotzdem müsse sich etwas ändern: "Eines ist klar: So wie bisher kann es nicht weitergehen. Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz macht seit Jahren auf das Ausfallrisiko bei Zertifikaten aufmerksam."

Schon immer hatten Kritiker die mangelnde Transparenz der Zertifikate im Fokus. Noch mehr kritisierten sie jedoch in der Vergangenheit den für Laien kaum nachvollziehbaren Preisbildungsprozess. Nach der Lehman-Pleite steht jetzt aber vor allem die Bonität, also die Kreditwürdigkeit der Emittenten im Vordergrund. Am 6. Oktober gab der Derivateverband deswegen bekannt, auf seiner Website nun "Credit Spreads" zu veröffentlichen.

Die Ziffern stehen für eine Art Versicherungsprämie; je höher diese ist, desto größer wird das Ausfallrisiko der Bank eingeschätzt. Ein geringer Wert steht also für gute Bonität. Am 8. Oktober lag der Wert für den Emittenten Goldman Sachs beispielsweise bei 400 Punkten, während er für die Bayerische Landesbank bei nur 78 Punkten lag. Ob dieses neue System tatsächlich zu mehr Transparenz beitragen und verlorenes Vertrauen zurückbringen kann, ist fraglich. Ein Schritt in die richtige Richtung sei das zwar, sagen Kritiker. Das größte Problem sei aber an einer ganz anderen Stelle zu suchen.

Schwarzer Peter für Banker

Die Verantwortung für das Debakel wird von allen Seiten auf die Bankangestellten abgewälzt. Sie hätten schlecht beraten und dem Kunden das in den Verkaufsprospekten deutlich formulierte Verlustrisiko nicht deutlich genug gemacht - so der Vorwurf. Das greift zu kurz, findet die Schutzvereinigung DSW: "Die Pleite war wirklich nicht absehbar. Man kann den Banken deswegen keine Bösartigkeit unterstellen. Das Problem lag eher darin, dass viele Bankberater selbst nicht wussten, was sie da gerade verkaufen. Die Produktpalette ist so unübersichtlich geworden, dass selbst Profis kaum mehr den Durchblick haben", sagt ein Sprecher. Die Anlegerschützer schlagen deswegen vor, die Produkte mit Eigenkapital zu unterlegen. Das aber würde das Aus für die meisten Konstruktionen wie Discount- oder Bonus-Zertifikate bedeuten. Denn die funktionieren nur über Optionen am Terminmarkt, bei denen nur ein Bruchteil an Kapital eingesetzt wird.

Fakt ist, dass ein Großteil der Verkaufsprospekte noch immer für Laien schwer verständlich ist und Warnungen vor Verlustrisiken im besten Fall als lästiges Kleingedrucktes wahrgenommen werden. Lars Brandau vom Deutschen Derivate Verband beschwichtigt: "Eine Vereinfachung und Vereinheitlichung der Verkaufsprospekte gehört zu den politischen Forderungen. Die Fondsbranche hat dafür 15 Jahre gebraucht. Ich bin zuversichtlich, dass wir das schneller hinbekommen."

© SZ vom 15.10.2008/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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