Schuldenkrise in Europa:Deutschlands Politiker schießen sich auf Barroso ein

Die Wut auf EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso ist groß. Aus Brüssel, aus Berlin, aus Bayern - von allen Seiten gibt es massive Kritik am Verhalten des Portugiesen in der vergangenen Woche. Die deutsche Opposition bemängelt aber auch das Krisenmanagement von Kanzlerin Merkel.

Nach zwei turbulenten Tagen an den internationalen Finanzmärkten muss sich die EU-Kommission viel Kritik anhören: Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok warf Brüssel sogar vor, in den Bemühungen um eine Stabilisierung des Euros "die Nerven verloren zu haben".

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CDU-Europa-Parlamentarier Elmar Brok: "Brüssel, muss man sagen, hat in dieser Woche nicht geschickt reagiert, weil es die Nerven verloren hat."

(Foto: dpa)

Brok sagte im Deutschlandfunk: "Brüssel, muss man sagen, hat in dieser Woche nicht geschickt reagiert, weil es die Nerven verloren hat." Es gebe "zu viele Politiker, die in dieser Frage den Mund nicht halten können".

Er reagierte damit auf den Vorstoß des EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso, der am Donnerstag gefordert hatte, den gerade erst beschlossenen gemeinsamen Euro-Rettungsfonds EFSF erneut auf den Prüfstand zu stellen.

Brok sagte, die Verschuldung sei ein weltweites Problem. Er verwies als Beispiel auf Japan. Jetzt, da die Politik ernstmache, die Verschuldung abzubauen, reagierten die Märkte negativ. "Das hätten sie aber vielleicht schon vor drei oder vier oder fünf Jahren machen sollen."

Die Verschuldung hänge im Übrigen auch damit zusammen, dass die Politik Banken und Finanzsektor in der Krise "rauskaufen" musste. Der Finanzsektor reagiere "jetzt negativ auf Politik, weil sie die Ursachen, die der Finanzsektor zustande gebracht hat, nicht schnell genug beseitigt. Das ist schon alles irrational."

Juncker fordert "aktive Ruhe"

Bereits zuvor hatte der Eurogruppen-Chef und luxemburgische Premier Jean-Claude Juncker Barroso indirekt kritisiert: Der dienstälteste EU-Regierungschef forderte "aktive Ruhe". Er halte nichts von "unüberlegten, zu divergierenden Interpretationen Anlass gebenden Äußerungen", sagte er.

Auch in der schwarz-gelben Koalition wird der Unmut über Barrosos Vorgehen in der Euro-Krise lauter. FDP-Chef Philipp Rösler zeigte sich in einem Interview mit dem Focus verärgert über neue Forderungen zum Euro-Rettungsschirm, wie sie von Barroso geäußert wurden.

Wer die Entscheidungen des Euro-Krisengipfels nach nur zwei Wochen wieder in Frage stelle, "erreicht genau das Gegenteil und verunsichert die Märkte", kritisierte der Bundeswirtschaftsminister. "Wir setzen jetzt die beim Sondergipfel am 21. Juli gefassten Beschlüsse entschlossen um." Damit werde den Kapitalmärkten signalisiert, "dass wir das Eurosystem verteidigen".

"Permanentes Gequatsche"

Noch deutlich schärfere Töne kamen vom Koalitionspartner CSU. Deren Generalsekretär Alexander Dobrindt sagte der Bild am Sonntag mit Blick auf Barrosos Vorstoß: "Dieses permanente Gequatsche gefährdet mehr unsere Rettungsmaßnahmen als es nutzt." Es sei "kontraproduktiv und beruhigt die Märkte nicht".

Dobrindt forderte, dass nun "endlich deutlich mehr Disziplin" an der EU-Spitze in Brüssel walten müsse. Zugleich warnte der CSU-Politiker vor einer Machtausweitung Brüssels: "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht eines Morgens in einer anderen EU aufwachen", sagte er. "Es darf nicht sein, dass still und leise die Rettungsmechanismen missbraucht werden für weitere Machtverschiebungen nach Brüssel."

Unter dem Eindruck des dramatischen Kursrutsches an den Börsen forcieren die Euro-Länder unterdessen den Kampf gegen die Euro-Schuldenkrise. Nach Telefonaten unter anderem mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy kündigte Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi eine schnellere Umsetzung von Reformen an.

Berlusconi kündigte an, es sei sein Ziel, nun 2013 und damit ein Jahr früher als geplant einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Von Personen, die mit dem Thema befasst sind, hieß es, das sei eine Bedingung der Europäischen Zentralbank dafür gewesen, auch italienische Staatsanleihen anzukaufen und damit den Druck auf die Renditen zu dämpfen. Italiens Staatsverschuldung lag zuletzt bei rund 120 Prozent.

Die Bundesregierung sprach nach Telefonaten Merkels mit Berlusconi, Sarkozy, dem britischen Premierminister David Cameron und US-Präsident Barack Obama von großer Einigkeit in der Haltung, die Beschlüsse des Euro-Sondergipfels vom 21. Juli zu neuen Griechenland-Hilfen und zu neuen Aufgaben für den Euro-Schutzschirm "schnell" umzusetzen.

Joachim Poß, Vize-Fraktionschef der SPD im Bundestag, kritisierte, die Telefonaktionen von Merkel reichten "weder vorne noch hinten". Allein mit der schnellen Umsetzung der Gipfelbeschlüsse sei es nicht getan. Nötig seien konzertierte Aktionen der G7, der Gruppe von sieben großen Industrieländern, und Europas.

Poß forderte ein gemeinsames Agieren der Notenbanken an den Devisenmärkten, ein umfassendes Wachstums- und Konsolidierungsprogramm inklusive einer Steuer auf Finanztransaktionen sowie die Einführung gemeinsamer europäischer Anleihen - also von Eurobonds, die die Bundesregierung bislang entschieden ablehnt.

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