Süddeutsche Zeitung

Wohnungspolitik:"Grätsche in letzter Minute"

Steueranreize sollen den Bau günstiger Mietwohnungen ankurbeln. Die eigentlich schon beschlossenen Abschreibungen werden nun vielleicht doch nicht kommen.

Von Peter Blechschmidt

Für die Regierenden der Großen Koalition ist das Vorhaben "besonders eilbedürftig". Ausgerechnet die eigenen Truppen im Parlament aber haben jetzt die Notbremse gezogen. Durch steuerliche Vergünstigungen für Bauherren will die Regierung in Gebieten mit knappem Angebot den Bau günstiger Mietwohnungen ankurbeln. Ende Februar hat die Regierung dem Parlament ihren Gesetzentwurf zugeleitet. Doch kurz vor der entscheidenden Abstimmung im Finanzausschuss des Bundestags stoppte die SPD das Vorhaben.

Angesichts des Wohnungsnotstandes sind sich Politiker und Fachleute einig, dass etwas passieren muss. Im Bundesfinanzministerium erinnerte man sich des legendären Paragrafen 7b des Einkommensteuergesetzes, dank dessen bis 1986 Häuslebauer und Käufer von Eigentumswohnungen die Herstellungskosten ihrer Immobilie zu bevorzugten Konditionen von der Steuer absetzen konnten.

Nun also soll einer neuer Paragraf 7b her, mit dem eine Sonderabschreibung für neu errichtete Mietwohnungen eingeführt würde. So sollen im Jahr der Anschaffung oder der Herstellung sowie im darauf folgenden Jahr jeweils zehn Prozent der Herstellungskosten abgeschrieben werden dürfen, im dritten Jahr noch einmal neun Prozent. Zusammen mit der normalen zweiprozentigen Abschreibung pro Jahr ergibt dies einen Gesamtbetrag von 35 Prozent, der in den ersten drei Jahren nach Fertigstellung oder Kauf von der Steuer abgesetzt werden kann.

Dieses Angebot gilt aber nur unter bestimmten Voraussetzungen. Gefördert werden nur neue Wohnräume in Gebieten "mit angespannter Wohnungslage". Damit sind Städte und Regionen gemeint, in denen bereits eine Mietpreisbremse beziehungsweise eine sogenannte Kappungsgrenze für Mieterhöhungen gelten. Zuständig für die Festlegung solcher Zonen sind die Bundesländer. Außerdem soll die Sonderabschreibung nur bei Neubauten greifen, mit denen in den Jahren 2016 bis 2018 begonnen wird. Dies erklärt, warum es die Regierung mit ihrem Vorhaben so eilig hat.

Außerdem soll die Sonderabschreibung letztmalig bei der Steuerveranlagung für das Jahr 2022 geltend gemacht werden, auch wenn der eigentliche Drei-Jahres-Zeitraum noch nicht ausgenutzt ist. Auch dies soll als Anreiz wirken, möglichst rasch die Entscheidung zu Bau oder Kauf neuen Wohnraums zu treffen. Ferner muss das geförderte Objekt mindestens zehn Jahre lang als Mietwohnung genutzt werden.

Und schließlich soll es eine preisliche Ober grenze für den zu fördernden Wohnraum geben, um zu verhindern, dass die Steuervorteile für die Errichtung hochpreisiger Wohnungen in Anspruch genommen werden. Danach dürfen die reinen Baukosten 3000 Euro je Quadratmeter nicht überschreiten; abgeschrieben werden dürfen maximal 2000 Euro pro Quadratmeter. Mit der Spanne zwischen der Bemessungsgrundlage von 2000 Euro und den maximalen Baukosten von 3000 Euro sollen etwaige Kostensteigerungen während des Baus und regionale Preisunterschiede berücksichtigt werden.

Insgesamt rechnet die Bundesregierung mit Steuerausfällen von 2,15 Milliarden Euro für Bund, Länder und Gemeinden bis 2020.

Bei einer Expertenanhörung Ende April wurde der Gesetzentwurf von vielen Seiten kritisiert. Von geringer Steuerungswirkung und der Gefahr von Mitnahmeeffekten war die Rede. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erwartet "kaum zusätzliche Impulse für den Wohnungsbau insgesamt und das niedrige Qualitätssegment im Besonderen". Andere Fachleute verwiesen darauf, dass steuerbefreite Baugenossenschaften und kommunale Wohnungsunternehmen die steuerlichen Vergünstigungen nicht in Anspruch nehmen könnten. Gerade diese engagierten sich aber besonders bei der Schaffung preiswerten Wohnraums. Der Deutsche Städtetag und der Verband der Immobilienunternehmen (GdW) plädierten wie zuvor der Bundesrat für eine direkte Investitionszulage, die zielgenauer wirken könne.

Bei der SPD wurde die Expertenanhörung als Warnruf verstanden, dass man mit der Steuerlösung auf dem falschen Weg sei. Völlig überraschend für den Koalitionspartner verlangte die SPD zwei Tage später im Finanzausschuss des Bundestags, die vorgesehene Abstimmung über den Gesetzentwurf zu vertagen. Von einer "Grätsche" in letzter Minute spricht der Berichterstatter der Union, Olav Gutting.

"Wir müssen sicherstellen, dass die vorgesehene steuerliche Förderung überhaupt zum Bau von bezahlbaren Wohnungen führen wird", sagt die SPD-Abgeordnete Cansel Kiziltepe. Sie fürchtet, dass ohne gravierende Änderungen an dem Gesetzentwurf "nur teure Wohnungen mit einer Kaltmiete von bis zu 15 Euro pro Quadratmeter entstehen". Sie fordert, die Förder-Obergrenzen zu senken und gleichzeitig eine Mietobergrenze festzulegen. Die Idee der Mietobergrenze findet auch bei den oppositionellen Grünen Anklang. Sie solle sich am lokalen Markt orientieren, heißt es dort, nicht aber an den Rendite-Erwartungen privater Investoren, "Niedrige Baupreise bedeuten nicht automatisch niedrige Mieten", sagt die Grünen-Steuerexpertin Lisa Paus. CDU-Mann Gutting argwöhnt, die SPD wolle einen kompletten Kurswechsel, hin zu einer Investitionszulage. Der aber stehe im Widerspruch zu der Verabredung zwischen Kanzlerin Angela Merkel und den Ministerpräsidenten der Länder. "Wenn die SPD bei ihrer Haltung bleibt, dann ist dieses Gesetz erst mal tot", sagt Gutting und warnt, die Querelen in der Koalition förderten nur eine Abwartehaltung in der Immobilienwirtschaft. "Dieser Attentismus ist schon spürbar."

Für Professor Tobias Just gibt es bei diesem Thema "aus ökonomischer Sicht kein Richtig oder Falsch". "Das ist auch immer eine Frage der politischen Klientel", sagt Just, Professor für Immobilienwirtschaft an der Universität Regensburg. "Wenn ich schnell etwas brauche, wirkt der Zuschuss direkter. Die Steuerlösung atmet mit der Konjunktur. Wenn man keine Steuern mehr zahlt, kann man auch keine sparen. Dann funktioniert die Abschreibung nicht mehr." Entscheidend aber sei, dass nun überhaupt etwas passiere. Für Systemdebatten sei jedenfalls nicht die Zeit.

Nur von der Idee der Mietobergrenze hält Just gar nichts. Grenzen gebe es auf dem Wohnungsmarkt ohnehin schon zu viele. Die Miete aber sei der Maßstab dafür, ob auf dem Wohnungsmarkt Knappheit herrsche oder ob das Angebot ausreiche, um die Mieten in Grenzen zu halten "Wenn wir aber den Boten erschießen, kriegen wir keine Nachricht mehr, ob der Markt funktioniert."

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SZ vom 13.05.2016
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