Süddeutsche Zeitung

Wohnungsmangel:"Wer nicht genug verdient, geht leer aus"

Ob in Buxtehude, Ulm oder Norderstedt: Unterkünfte im Einzugsbereich von Metropolen werden immer teurer. Aber die kleinen Städte reagieren inzwischen auf den Notstand und machen die bedarfsgerechte Wohnraumversorgung zur Chefsache.

Von Susanne Osadnik

Buxtehude hat ein Problem. Jede frei werdende Wohnung wird sofort wieder vermietet. "Leerstand? Aber doch nicht hier", sagt Margret B. "Wer nicht genug verdient, geht leer aus. Das ist die einzige Form von Leerstand, die man hier kennt." Seit Jahrzehnten wohnt die 75-Jährige in Buxtehude. Gerade ist sie in eine neu gebaute Wohnung in der Innenstadt gezogen. "Eigentlich ist sie viel zu teuer für mich. Aber woanders kann ich schlecht hin - jetzt, so ganz ohne Auto", sagt die alte Dame. Fast 750 Euro Kaltmiete zahlt die Pensionärin, plus Nebenkosten kommt sie auf fast 1000 Euro monatlich. Da bleibt nicht mehr viel von der Rente übrig. Ohne ihre "Spar-Reserven" sähe es schlecht aus. Das Beispiel zeigt: Längst ist die Wohnungsnot nicht mehr nur ein Problem der großen Städte.

Dem noch vor zehn Jahren eher unbeachteten Buxtehude wird seine geografische Lage zum Verhängnis: Vor den Toren Hamburgs gelegen, mit einem S-Bahn-Anschluss im Zehn-Minuten-Takt ausgestattet, ist die Stadt auf der anderen Elbseite gut erreichbar. Weil das Wohnen drüben in Hamburg immer teurer wird, zieht es seit Jahren Menschen von der Alster an die Este. Mieter zahlen mittlerweile mehr als zehn Euro pro Quadratmeter. Vor drei Jahren zahlte man im Durchschnitt noch 7,90 Euro pro Quadratmeter. Die Preise für Eigentumswohnungen gehören mit zu den höchsten in der Metropolregion: Wer einen Neubau in der Innenstadt, in den beliebten Ortsteilen Ottensen oder Eilendorf beziehen will, muss mit mindestens 3500 Euro pro Quadratmeter rechnen. Einfamilienhäuser in solchen Lagen reichen locker an die 500 000 Euro heran. Für Haushalte mit Niedrigeinkommen ist es fast unmöglich, überhaupt noch eine Bleibe zu finden. Denn Sozialwohnungen gibt es viel zu wenige.

Dass es brenzlig wird auf dem Wohnungsmarkt ist kein Novum. Schließlich geht schon aus der 2016 veröffentlichten Untersuchung zur Wohnraumversorgung von Buxtehude hervor: "Durch die sehr geringe Angebotsquote geförderter Wohnungen von circa 16 Prozent ist der Großteil der Haushalte im Niedrigeinkommensbereich darauf angewiesen, sich am frei finanzierten Markt mit Wohnraum zu versorgen." Laut Gutachten sind 3230 Haushalte auf preisgünstigen Wohnraum angewiesen. Aber das Angebot preisgebundener Wohnungen hat sich allein von 2012 bis 2015 um rund 20 Prozent reduziert. Mit gerade einmal 510 Wohnungen stuft die Studie den mietpreisgebundenen Wohnungsbestand "als vergleichsweise marginal", ein. Sollte die Politik nicht bald handeln, werde sich der preisgebundene Wohnungsbestand bis zum Jahr 2020 um weitere 30 Prozent reduzieren.

Vielerorts wird wieder über die Gründung kommunaler Wohnungsgesellschaften nachgedacht - vor allem in Nordrhein-Westfalen und Bayern. "Es wird wieder verstärkt darüber diskutiert, manche Städte haben auch schon gehandelt", sagt Matthias Klupp von Analyse & Konzepte, einer Beratungsgesellschaft für Wohnen, Immobilien und Stadtentwicklung in Hamburg. "Das Ganze ergibt aber nur Sinn, wenn man über eigene Flächen verfügt. Stadteigene Grundstücke sind die Voraussetzung für eigenen sozialen Wohnungsbau."

Davon hat die Stadt Ulm reichlich. Etwa 45 Quadratkilometer des gesamten Stadtgebiets sind in kommunaler Hand. Deshalb können die Schwaben selbst entscheiden, was sie wo und zu welchen Konditionen bauen. So kann die Ulmer Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft (UWS) als 100-prozentiges Tochterunternehmen auch mitten in der Stadt Wohnungen bauen, die im Durchschnitt nicht mehr als 7,50 Euro kalt pro Quadratmeter kosten. Den gesamten UWS-Bestand mit eingerechnet, kostet das Wohnen im Durchschnitt unter sechs Euro.

Etwa 30 Millionen Euro steckt die UWS nach eigenen Angaben in Sanierung, Modernisierung und Neubau. In den vergangenen beiden Jahren sind 442 zusätzliche Wohnungen auf den Weg gebracht worden - entweder schon fertiggestellt oder noch in Bau oder Planung. Für Nachschub sorgt die konsequente Ankaufspolitik der Stadt: Neue Baugebiete werden erst dann ausgewiesen, wenn alle Grundstücke in eigener Hand sind. So will man jeder Form von Bodenspekulation vorbeugen. Circa 31 Hektar Land hat Ulm in den vergangenen Jahren zusammengekauft - für Wohngebiete, aber auch für Gewerbe und zum Ausgleich für Bebauung. Wer welches Grundstück und vor allem zu welchem Preis bekommt, entscheidet der Gemeinderat. Das hält man seit gut 100 Jahren so - und so soll es auch bleiben. Denn durch die Bodenvorratspolitik hat Ulm sein Vermögen an Grund und Boden ständig erweitert.

Um Erzieher, Polizisten und Pfleger nicht zu verlieren, steuern Kommunen dagegen

In Norderstedt würde man das auch gern sagen können. Bis 2035 könnte die klassische Pendlerstadt, nur 21 Kilometer nördlich von Hamburg gelegen, so viele neue Einwohner haben, dass sie an der 100 000er-Marke kratzt. Schon heutzutage gehört sie gemeinsam mit Ahrensburg zu den teuersten Wohnstädten Schleswig-Holsteins. In diesem Jahr erwartet das Maklerhaus Grossmann & Berger, dass sich Eigentumswohnungen im Bestand um 10,7 Prozent verteuern und deutlich mehr als 3000 Euro pro Quadratmeter kosten werden. Die Mieten im Neubau liegen längst jenseits der elf Euro. Zwar wird auch hier emsig gebaut, um der steigenden Zahl an Neubürgern gerecht zu werden, im Planungsrecht sind 2200 Wohneinheiten vorgesehen. Aber Sozialwohnungen werden zurzeit gerade einmal 104 gebaut, weitere 210 sind konkret geplant. Insgesamt gibt es laut Auskunft der Stadt circa 1500 geförderte Wohnungen, die aber wohl nicht reichen werden. Daher denkt man auch hier über das "Wir nehmen das selbst in die Hand" nach. Angestoßen von den Sozialdemokraten fand sich aber keine politische Mehrheit für die Selbstbau-Idee - nicht zuletzt, weil es an Flächen mangelt. Seit der Jahrtausendwende hat man hier viel Land für die Ansiedlung von Gewerbeflächen hergegeben. Das brachte Firmen und Arbeitsplätze. Jetzt müsse man sich aber ordentlich strecken, um bezahlbaren Wohnraum für mittlere und niedrigere Einkommen zu schaffen, sagt Bernd-Olaf Struppek, Sprecher der Stadt Norderstedt. "Wir stehen in Konkurrenz zu anderen Städten und Gemeinden im Hinterland, wo es schlicht günstiger ist." Um Erzieher, Polizisten, Pflegekräfte nicht zu verlieren, hat Norderstedts neue Oberbürgermeisterin die "bedarfsgerechte Wohnraumversorgung" zur Chefsache erklärt. Sie will ein lokales Bündnis schmieden, in dem öffentliche und privatwirtschaftliche Akteure "verbindlich" zusammenarbeiten.

Auf der anderen Seite der Elbe ist man schon einen Schritt weiter: Im Landkreis Harburg ist die seit Anfang 2016 geplante Kommunale Wohnungsbaugesellschaft (KWG) an den Start gegangen. In den nächsten fünf Jahren soll die Gesellschaft 1000 Mietwohnungen in den Gemeinden des Kreises bauen, vor allem für Mieter, deren Jahreseinkommen zwischen 20 000 und 30 000 Euro liegt. Der Landkreis Harburg im südlichen Speckgürtel von Hamburg gilt als Zuzugsregion und kämpft seit Jahren mit steigenden Mietkosten.

Buchholz in der Nordheide gehört zu den wenigen niedersächsischen Orten ohne Großstadtstatus, in denen eine Mietpreisbremse eingeführt wurde. Eine Reaktion auf die hohen Mieten, die teilweise fast Hamburger Niveau erreicht haben. Im vergangenen Frühjahr lagen die Angebotsmieten zwischen 9,18 Euro und 10,22 Euro für den Quadratmeter. Für viele Buchholzer ist das unerschwinglich. Auch in den anderen Gemeinden und Städten, die die Wohnungsbaugesellschaft tragen, sieht es nicht besser aus: Winsen, Seevetal, Jesteburg, Neu Wulmstorf, Rosengarten, Hanstedt, Elbmarsch und Salzhausen - überall wird es für die Haushalte mit kleineren Einkommen finanziell eng. Die neue Gesellschaft, der sich auch die Sparkasse Harburg-Buxtehude und der Landkreis Harburg als Gesellschafter angeschlossen haben, soll nun Mieten um 8,50 Euro und im sozialen Wohnungsbau für 5,60 Euro pro Quadratmeter anbieten. Denn in diesem Preisniveau ist der Bedarf am größten. Die Kommunen haben schon reichlich Vorarbeit geleistet und für Planungsrecht gesorgt, damit der Wohnungsbau, der nach einem festgelegten Schlüssel erfolgt, in diesem Jahr beginnen kann.

Auch in Buxtehude will man in diesem Jahr für mehr Wohnraum sorgen - auf stadteigenen Flächen. Etwa im Baugebiet Giselbertstraße - dort entstehen künftig etwa 400 Wohneinheiten, inklusive eines festen Kontingents an günstigen Wohnungen. "Der genaue prozentuale Anteil ist noch nicht (politisch) entschieden, die Verwaltung empfiehlt jedoch, dass 20 bis 30 Prozent im preisgedämpften Segment realisiert werden sollten", sagt Sprecher Thomas Bücher auf Anfrage. Vor allem den Vertretern der Linkspartei reicht das nicht. Denn bis 2015 sollte Buxtehude insgesamt 1770 zusätzliche Wohnungen schaffen. Die Linken fordern von der Stadt, selbst zu bauen. Das wird aber wohl nicht passieren. Hier wurde anders entschieden: "Wir treten nicht als Bauherren auf, sondern suchen uns Partner. Wir sind der Überzeugung, dass ein solches Vorgehen das Verfahren nicht verzögert", sagt Buxtehudes Baudezernent und Erster Stadtrat Michael Nyveld.

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Quelle:
SZ vom 02.03.2018
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