Wohnungseigentümer:Einfach abstimmen

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Bedrohte Idylle: Vor allem in Städten steigt die Anzahl der Eigenbedarfskündigungen.

(Foto: Arne Dedert/dpa)

Ob Ladestation oder Solaranlage: Wichtige Entscheidungen in Eigentümergemeinschaften scheitern oft am Widerstand weniger Blockierer. Nun sollen Verfahren erleichtert und Verwalter gestärkt werden - doch die Sache ist kompliziert.

Von Stephanie Schmidt

Egal, ob die Eigentümer eine Solaranlage auf dem Dach installieren oder die Fassade erneuern wollen: Energetische Sanierungen werden in Zukunft in Wohnungseigentümergemeinschaften wohl leichter in Gang kommen als bisher. Das hat mit den großen Änderungen zu tun, die der Gesetzesentwurf für die Novelle des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) vorsieht. Von der Öffentlichkeit kaum bemerkt, hat das Bundeskabinett Ende März den 109 Seiten umfassenden Gesetzentwurf für die WEG-Reform verabschiedet. Davon betroffen sind die Eigentümer, Mieter und Verwalter mehrerer Millionen Eigentumswohnungen in Deutschland. Im Herbst soll die Novelle in Kraft treten. Eines ist gewiss: Einige Passagen des Gesetzentwurfs polarisieren stark. Ein Überblick zu wichtigen Änderungen.

Einfache Mehrheiten. Viele Eigentümergemeinschaften können keine bauliche Veränderung beschließen, da dafür Einstimmigkeit erforderlich ist. Oder eine sogenannte doppelt qualifizierte Mehrheit, wenn es sich um eine Modernisierung handelt. Solche Mehrheiten kommen selten zustande. Künftig soll daher für alle baulichen Veränderungen die einfache Mehrheit genügen. "Es ist gut, dass die Eigentümergemeinschaften durch Absenkung der Quoren nun leichter Beschlüsse fassen können", sagt Julia Wagner, Referentin Recht beim Eigentümerverband Haus & Grund Deutschland. Dennoch sieht sie Nachbesserungsbedarf: "Denn wenn zum Beispiel eine energetische Modernisierung künftig mit einfacher Mehrheit genehmigt werden kann, dann heißt das womöglich auch, dass viele Eigentümer für eine Maßnahme bezahlen müssen, die sie gar nicht wollen."

Der einzelne Eigentümer hat laut Gesetzentwurf einen Anspruch auf sogenannte privilegierte Maßnahmen: auf Umbauten für besseren Einbruchschutz, etwa einen Türspion an der eigenen Wohnungstür, oder auf den Einbau einer privaten Ladestation fürs Elektroauto. Auch solche Projekte bedürfen künftig nur noch der einfachen Mehrheit. Die Kosten dafür trägt aber allein der Antragsteller.

Quorum. Bisher müssen 50 Prozent der Eigentümer anwesend sein, damit die Eigentümerversammlung gültige Beschlüsse fassen kann. Dieses Beschlussfähigkeitsquorum soll abgeschafft werden. Das kritisiert Wagner: "In der Zukunft ist jede Eigentümerversammlung beschlussfähig. Auch eine sehr kleine Minderheit von Eignern kann laut der WEG-Novelle einen Beschluss fassen - das missfällt unserem Verband. Wir sind dafür, zumindest in bestimmten Fällen, das bislang geltende Quorum beizubehalten." Die neue Regelung birgt auch laut Gabriele Heinrich, Vorstand des Verbraucherschutzverbands Wohnen im Eigentum, die Gefahr, "dass wichtige Beschlüsse nicht die Meinung und den Willen der Mehrheit der Eigentümer widerspiegeln". Wenn wenige Eigner folgenschwere Entscheidungen treffen können, ist nach Ansicht von Thomas Meier, Präsident des Bundesfachverbands der Immobilienverwalter (BVI), die Teilnahme an der Eigentümerversammlung umso wichtiger: "Die WEG-Novelle appelliert an das Verantwortungsbewusstsein des Einzelnen gegenüber seiner Immobilie und gegenüber der Gemeinschaft." Daher sei die Abschaffung des Beschlussfähigkeitsquorums "völlig richtig und konsequent". Einmal im Jahr müsse man sich Zeit nehmen für die Eigentümerversammlung.

Die Aufgaben des Verwalters. Bislang dürfen Verwalter nur über kleinere Instandhaltungsmaßnahmen und in Notfällen eigenständig entscheiden. Das soll sich laut dem umstrittenen Paragrafen 27 des Gesetzentwurfs ändern. "Künftig darf der Verwalter sämtliche Verträge für die WEG abschließen", sagt Wagner. Ohne vorher einen Eigentümerbeschluss eingeholt zu haben, kann er etwa Verträge mit Dienstleistern eingehen und Aufträge an Handwerker vergeben. Das geht Haus und Grund zu weit. "Wir fordern, dass er das nur in eingeschränktem Umfang tun darf. Außerdem ist in der Novelle nicht explizit festgelegt, welche Befugnisse der Verwalter in seinem unmittelbaren Verhältnis zur Eigentümergemeinschaft hat. Das sorgt für Rechtsunsicherheit und provoziert Streit." Laut Paragraf 27 hat der Verwalter die Pflicht und das Recht, "die Maßnahmen ordnungsgemäßer Verwaltung zu treffen, über die eine Beschlussfassung durch die Wohnungseigentümer nicht geboten ist". Heinrich kritisiert solche "Generalklauseln". Sie würden "Gerichtsverfahren fördern, anstatt sie zu reduzieren". Und künftig müsse die Eigentümergemeinschaft, anders als derzeit, zahlen, auch wenn das Handwerkerangebot überteuert gewesen sei oder sie eine Versicherung nicht gewollt habe.

Martin Kaßler, Geschäftsführer des Verbands der Immobilienverwalter Deutschland (VDIV), bewertet die neuen Regelungen anders. Sie seien "zielführend für eine effiziente Verwaltung". Die Befugnisse des Verwalters würden "maßvoll erweitert". Thomas Meier vom BVI merkt an: "Viele Eigentümer sind happy, wenn sie nicht mehr über jede Kleinigkeit abstimmen müssen." Kaßler verweist zudem auf Absatz zwei des Paragrafen 27. Darin steht, dass die Eigentümer die Rechte und Pflichten des Verwalters "durch Beschluss einschränken oder erweitern" können. Somit könne die Gemeinschaft "zum Beispiel einen Verwalter berufen, der für sie ausschließlich die Buchhaltung macht. Das ist insbesondere für kleinere Gemeinschaften ein Riesenvorteil." Heinrich hält die geplante Regelung indes für wenig praktikabel, allenfalls eine reine "Akademiker-WEG" könne davon profitieren.

Neu ist zudem die Regelung, dass der Verwalter jedes Jahr einen Vermögensbericht erstellen muss. Künftig können die Eigentümer den Verwalter vor Ende der Vertragslaufzeit abberufen, ohne wichtigen Grund. Bisher ging das nur bei eindeutigem Fehlverhalten.

Der Verbund der Eigner. Die Macht des Verwalters wächst, zugleich wächst die Verantwortung der Gemeinschaft - so sieht es der Entwurf vor. Verletzen Miteigentümer oder die Verwaltung ihre Pflichten, kann der einzelne Eigentümer nicht mehr direkt gegen sie vorgehen, sondern muss sich an die Gemeinschaft wenden. Diese Neuerungen bewertet Martin Kaßler als "Stärkung der Gemeinschaft im Rechtsverkehr". Haus & Grund sowie Wohnen im Eigentum sehen das anders. "Wir finden es bedenklich, dass künftig zunächst uneingeschränkt die Eigentümergemeinschaft dafür haften soll, wenn ihr ein Schaden aufgrund eines Vertrags entsteht, den der Verwalter in Eigenregie abgeschlossen hat, zum Beispiel mit einem Handwerksbetrieb", sagt Julia Wagner von Haus & Grund. Erst im zweiten Schritt kann der Verbund der Eigentümer Schadenersatz vom Verwalter verlangen. "Laut dem Entwurf der Novelle kann der Verwalter viel mehr eigenständig machen - mit einem vergleichsweise geringen Risiko, dafür zur Verantwortung gezogen zu werden", so die Einschätzung von Gabriele Heinrich von Wohnen im Eigentum. Die Verantwortung trage demnach in erster Linie die Gemeinschaft. "Mit diesem Gesetzentwurf würden Strukturen geschaffen werden, die unwirtschaftliches Handeln, Vetternwirtschaft und Korruption begünstigen", fügt sie hinzu. Jedenfalls dürfte es künftig für Eigentümergemeinschaften, die einen neuen Verwalter suchen, noch wichtiger werden, die Kompetenz der Bewerber zu prüfen und beim Honorar nicht zu knausern. Schon lange fordern VDIV und BVI, dass der Sachkundenachweis für Verwalter Pflicht wird, aber das ist in der Novelle nicht vorgesehen. Heutzutage erwarte die Gemeinschaft von einem guten Verwalter, dass er "eine eierlegende Wollmilchsau" sein solle, sagt Meier vom BVI. "Doch wer wertvolle Arbeit leistet, sollte auch eine angemessene Vergütung erhalten. Achtet die Gemeinschaft darauf, wird sie sich keine Sorgen machen müssen, dass der Verwalter seine Kompetenzen überschreitet oder gar ihr Vermögen veruntreut."

Der Verwaltungsbeirat. Die Verwaltungsbeiräte prüfen Kostenvorschläge, Betriebskostenabrechnungen und den Wirtschaftsplan und geben Stellungnahmen dazu ab. Aktuell besteht der Verwaltungsbeirat aus drei Mitgliedern. Künftig darf jede Gemeinschaft individuell über die Anzahl ihrer Beiräte bestimmen. Um mehr Mitglieder zu motivieren, dieses Ehrenamt zu übernehmen, soll sich die Haftung der Beiräte auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränken. Künftig brauche es einen "starken, schlagkräftigen Verwaltungsbeirat zur Kontrolle der Verwaltung", fordert Heinrich von Wohnen im Eigentum. Die Aufgaben des Beirats müssen nach ihrer Auffassung klar geregelt werden. Die Stellung des Verwaltungsbeirats bleibe aber in der Novelle "so unspezifisch und schwach wie derzeit", tadelt sie den Gesetzentwurf. "Bestimmte konkrete Aufgaben wie die Prüfung von Kostenvoranschlägen wurden sogar gestrichen."

Werdende Gemeinschaft. Neue Regeln sieht der Gesetzentwurf auch für neu entstehende Gemeinschaften vor. Demnach darf der Bauherr oder Aufteiler langfristig geltende Versorgungs- oder Dienstleistungsverträge abschließen, ohne dass die künftigen Eigentümer darauf Einfluss nehmen können. "Unsere Forderung ist, dass die Gemeinschaft bereits während der Bauphase entsteht. Auf diese Weise könnten die Eigentümer über den Verwalter mitentscheiden und Einfluss auf die Verträge nehmen", sagt Florian Becker, Geschäftsführer des Bauherrenschutzbundes (BSB). Solche Regelungen sind indes nicht vorgesehen. Künftig soll sich die Eigentümergemeinschaft bei Schlüsselübergabe konstituieren; daran hängt der BSB einen weiteren Kritikpunkt auf: Wenn der Bauträger während der Entstehung einer Wohnanlage in finanzielle Schwierigkeiten gerät, können die Eigentümer nicht aus dem Vertrag aussteigen oder auf Fertigstellung des Gemeinschaftseigentums dringen. Das geht nur im Kollektiv. Becker: "Auch dieses Problem löst der Gesetzentwurf nicht."

Das Gesetzgebungsverfahren. Änderungen am Gesetzentwurf sind noch möglich. "Aber je weiter dieser Prozess voranschreitet, desto schwieriger wird es", stellt Julia Wagner fest. Für den 7. Mai ist im Bundestag die erste Lesung für den Entwurf geplant. Die zweite und dritte Lesung sowie die Verabschiedung im Bundestag sind für den 19. Juni terminiert. Laut aktuellem Zeitplan soll am 3. Juli der Bundesrat der Novelle zustimmen.

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