Wohnungsbau:Wir wollen schöner wohnen

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Gute Wohnungen sind selten - weil sie nicht gebaut werden. Stattdessen: banale Fassaden, hässliche Materialien, anonyme Nachbarschaften. Aber es gibt Hoffnung.

Gerhard Matzig

Theo Peter könnte zum Schrecken der deutschen Immobilienbranche werden. Auf seiner Visitenkarte steht "Banker", aber eigentlich sieht er aus wie das kulturgeschichtliche Gegenstück zum Finanzwesen. Er ist Ökonom, würde sich aber physiognomisch auch als Petrus in einem Sandalenfilm empfehlen. Petrus, der Fels.

(Foto: Foto: dpa)

Selbst Peters Rolle auf dem Wohnungsmarkt lässt sich als felsenhaft beschreiben: Der Flut untauglicher Wohnungsgrundrisse, energetisch falscher und ermüdend banaler Fassaden, hässlicher Materialien, nachlässig gestalteter Gärten und anonymer Nachbarschaften stellt er sich bevorzugt in den Weg.

Auf dem Gebiet der Wohnungsproduktion, dem vermutlich konservativsten aller Märkte, machen sich zunehmend Subversion und Widerstand bemerkbar. Einige Utopisten glauben nämlich, dass es beim Wohnungsbau nicht nur um die Rendite gehen sollte, sondern auch um einen "Produktionsversuch menschlicher Heimat" (Ernst Bloch).

Eine Welt mit mehr guten Wohnungen und weniger Bauträgern

Am Starnberger See leitet Theo Peter so einen Produktionsversuch unter dem Namen "Bauzeit". Das ist ein Netzwerk von Architekten, Baujuristen und Energieplanern. Im Blick haben sie eine Welt, in der es mehr gute Wohnungen und weniger Bauträger gibt. Weltverbesserer sind sie deshalb nicht.

Wohnverbesserer schon. Hier werden Wohnungs- oder Haussuchende als freie Baugruppen organisiert.

Baugruppen, ähnlich wie Genossenschaften, erleben eine Blütezeit in Deutschland. Es ist ein regelrechter Boom, der von der Notwendigkeit zeugt, Alternativen zum gängigen Wohnungsmarkt zu erproben. Das bekannte, schlüsselfertige Bauträger-Prinzip eines prospekthaften Wohnens wird auf diese Weise herausgefordert.

Immer mehr Leute schließen sich zusammen, erwerben ein Grundstück oder ein altes Haus zum Umbau, um darin die je eigenen Lebens- und Nachbarschaftsvorstellungen zu verwirklichen. Die Städte beginnen bereits, solche Zusammenschlüsse zu fördern.

Holzhaus in der Stadt, Apartments für Kindermädchen

Denn in der Folge entstehen so auch Wohnbauten, die unter architektonischen, stadträumlichen und energetischen Aspekten besser sind als die der Bauträger-Konkurrenz. Und gar nicht selten: billiger. Denn die Kosten einer großen Maschinerie, in der man nicht nur das Haus oder die Wohnung bezahlt (sondern auch Prospekte, Werbung, Gehälter, Renditen), entfallen.

Innovativer ist das Bauen jenseits der Bauträger auf jeden Fall. In Berlin errichtet eine Baugruppe zur Zeit das erste innerstädtisch-mehrgeschossige Holzhaus der Welt: mitten im Prenzlauer Berg. In Bremen hat sich eine Baugruppe schwimmende Reihenhäuser fürs Wasser ausgedacht.

In Köln denkt man genossenschaftlich über den Bau einer smarten Loft-Anlage nach, die außer maßgeschneiderten und sogar familiengerechten Wohnungen auch Apartments für Gäste oder Kindermädchen bereithält.

Die Gallier der Baubranche

Und Theo Peter wird in der Messestadt Riem, im Osten von München, eine Reihenhausanlage errichten, die dem Bautypus endlich architektonischen Feinsinn, ein schlüssiges Energiekonzept und sogar ein mondänes Wohngefühl zuweist.

In der bisher als Wohnort weit unterschätzten, leider durch viele Bausünden entstellten Messestadt wird sich das Vorhaben der Baugruppe um Theo Peter wie das Dorf der Gallier ausnehmen, das den Bauträgern Widerstand leistet.

Den kreativen Baugruppen, die Nachbarschaften und unterschiedliche Lebensstile pflegen, die auf architektonische und stadträumliche Qualität genauso viel Wert wie auf ein nachhaltiges Energiekonzept und faire Preise legen, stehen die klassischen Bauträger fast feindlich gegenüber. Als Bauträger firmieren aber immer öfter Unternehmen, die den Markt mit immer mehr Wohnungsangeboten malträtieren, die immer weniger einer realen Nachfrage nach qualitätvollen Lebensräumen entsprechen.

Wenn alternative Netzwerke nun anfangen, den Markt zu bedrängen, dann werden sich die Fabrikanten der tristen Wohnregale bald fühlen wie die Dinosaurier im Mesozoikum. Dabei sind sie immer so stolz auf jene Firmenjubiläen, die sich eher der Nachkriegs-Wohnungsnot als dem Hang zu Qualität verdanken.

Wohnwünsche verändern sich

Die Wohnungsbaubranche steht wie niemals zuvor in der Geschichte der Behausung vor enormen sozialen und technischen Veränderungen. Die Wohnwünsche verändern sich unter dem Einfluss demographischer, erwerbsbiographischer, technischer und ökologischer Parameter - aber die Wohnungen bleiben stets die alten.

Weder Politik (geförderter Wohnungsbau) noch Wirtschaft (frei finanziert) haben den Wandel bislang als Aufforderung begriffen, bessere Wohnungen zu schaffen. Die als Debatten verkleideten Grotesken um anstößig-andersartige Wohnbauprojekte (Stichwort Werkbundsiedlung) sind ein erstes Indiz für Verwerfungen auf dem bislang so geschmeidig eingespielten Wohnungsmarkt alter Kräfte.

Man wohnt ja, weil man wohnen muss

Man wohnt ja, weil man wohnen muss. Aber selten geschieht dies in den Räumen, die man sich dafür wünscht. Und das hängt nicht allein von den Finanzen ab, sondern liegt auch an der Engstirnigkeit eines mangelhaften Angebots. Eines Angebots, das sich schon dann entlarvt, wenn man die parodistische Sprache der Makler ernst nimmt.

Hinter "Ideal für Singles" verbirgt sich nicht selten der Hinweis auf einen Wohngrundriss, der die Begegnung zweier Menschen schon im Flur räumlich unmöglich macht. Und "Toplage" verweist oft auf eine vielbefahrene Verkehrsschneise oder auf den Blick in Richtung Autobahn. Als "zentral" wird schließlich alles eingemeindet, was mit Google-Earth noch darstellbar ist - während Baufälligkeit offenbar auch mit dem Begriff "charmant" übersetzt werden kann.

Es ist auch kaum verwunderlich, dass die Sehnsucht nach neuen Wohnformen, da sie von den Bauträgern nicht bedient wird, anderswo abgeschöpft wird. Derzeit bieten auch noch die unseriösesten Wohnberater erfolgreich ihre Dienste an.

Besser gleich gute Wohnungen bauen

Auf den meist missverstandenen Spuren von "Feng Shui" oder auf dem Terrain einer nur rudimentär verstandenen Farbpsychologie werden deutsche Wohnungen getunt wie nie zuvor. Auch der erstaunliche Erfolg der sogenannten TV-Wohnfee Tine Wittler ("Einsatz in vier Wänden", RTL) ist in diesem Zusammenhang alles andere als ein Zufall.

Wäre es aber nicht besser, gute Wohnungen nachhaltig zu bauen - statt dumme und hässliche Wohnungen im Nachhinein mit modischem Zubehör zu verhübschen? Der Bedarf an Wohnraum, der die bekannte Ikea-Frage endlich beantworten könnte ("Wohnst du noch, oder lebst du schon?"), ist gewiss vorhanden. Die Frage ist jedoch, warum dieser Bedarf nicht befriedigt wird. Will die Bauträgerbranche nicht? Kann sie nicht?

In Deutschland gibt es einen Lehrstuhl für Wohnungsbau und Wohnungswirtschaft. Es ist ein Stiftungslehrstuhl der Technischen Universität München (initiiert, dankenswerterweise, von der Schörghuber Unternehmensgruppe und der Bayerischen Landesbank), den seit 2003 Peter Ebner innehat.

Unsere wahren Wohnbedürfnisse

Der Österreicher Ebner ist einer der wenigen Architekten, die sich mit Wohnungsbau beschäftigen. Denn in Deutschland werden 95 von 100 Wohnräumen, Erhebungen der Architektenkammern zufolge, ohne jedes architektonische Zutun errichtet. Auch das ist zugleich Erklärung und Ausdruck der Krise.

Ebner hat in den letzten Jahren exemplarisch den Münchner Wohnungsmarkt erforscht. Herausgekommen ist dabei eine noch unveröffentlichte Studie über die wahren Wohn-Bedürfnisse unserer Zeit. Das Ergebnis ist alarmierend: Die Wohnungsbranche produziert an vielen Marktsegmenten vorbei. Das Phänomen der Baugruppen-Gründerzeit lässt sich also erklären: Angebot und Nachfrage stimmen nicht überein.

Zum Beispiel gaben 41 Prozent der für die Studie befragten Wohnungssuchenden an, dass das Wohnumfeld kein absolut vordringliches Kaufkriterium sei. Bisher gehen Bauträger vom genauen Gegenteil aus: nämlich davon, dass sich bestimmte Menschen nur an bestimmten Orten und in bestimmten Wohntypologien niederlassen wollen.

Nahezu die gesamte Immobilienbranche schwört in diesem Sinne auf das "WohnWissen-Consulting" des Bundesverbandes für Wohneigentum und Stadtentwicklung (vhw). Und der vhw bietet dem gesamten deutschen Wohnungsbau eine eifrig nachgefragte Studie an, die sich aus der bekannten Sinus-Milieu-Darstellung der Konsumforschung nährt. Für den Wohnungsbau ist das die Bibel schlechthin.

Wer sich die dazugehörige "mikrogeographische Milieufluktuation" ansieht, der ahnt, warum er keine passende Wohnung findet: Die Branche hat nicht begriffen, dass die Schichtungen der Gesellschaft viel durchlässiger und komplizierter sind - als angenommen.

Wer aber kein "moderner Performer" ist, kein "Hedonist", kein "Konsum-Materialist" oder wenigstens eindeutig der "bürgerlichen Mitte" zuzurechnen ist, der kommt nicht vor im Kalkül der Branche. Schon ein Hauch Individualität oder der Hang zur Exotik (zum Beispiel mit Kindern in der Stadt leben zu wollen, statt in einer Schlafburg an der Pendelautobahn) genügt für das Verdikt "marktirrelevant".

"Die Immobilienbranche sollte nachdenken"

Die Studie von Peter Ebner behauptet eine ganz andere Relevanz. Die Wohnungssuchenden wünschen sich demnach auch größere Wohnungen, große Wohnküchen, tageshelle Bäder, flexibel nutzbare, also etwa gleich große Räume und separate Abstellräume. Zudem wird auch ein modernes Architekturvokabular durchaus goutiert.

Und was bietet der Markt? Kleine bis mittlere Wohnungen, dunkle Küchennischen, fensterlose Bäder, streng hierarchisierte Räume (Riesen-Wohnzimmer und Mini-Kinderzimmer), die äußerlich so tun, als lebte in ihnen die Toskana. Die Makler sprechen dann vom "mediterranen Flair".

Nicht zuletzt: Die deutsche Wohnungsindustrie verschläft auch den gewaltigen Trend zu ökologisch klugen Behausungen. Vor ihr hat sich nur die deutsche Automobilindustrie ähnlich unwissend auf diesem Gebiet gezeigt.

"Mit einer Wohnung kann man einen Menschen töten wie mit einer Axt." Dieser Satz stammt von Heinrich Zille. Wohnungen solcher Art, die vor einhundert Jahren vermietet wurden, gibt es zum Glück nicht mehr.

Die Immobilienbranche sollte dennoch über einen weiteren bemerkenswerten Trend nachdenken: In Deutschland werden am liebsten zillehaft renovierte Altbauten bewohnt. Vernichtender kann das Urteil über den zeitgenössischen Wohnungsbau nicht ausfallen.

© SZ vom 25.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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