Wohnen vor München:Krisenstimmung im Paradies der Reichen

In Grünwald stehen viele exklusive Villen zum Verkauf, manche Prominente finden es neuerdings in Bogenhausen schicker. Entwickelt sich der Nobel-Vorort zur Reste-Rampe für verarmte Millionäre?

Von Christian Mayer

Nehmen wir einmal an, der Gesellschaftschronist Helmut Dietl würde diese Geschichte verfilmen - wie sähe die Anfangssequenz aus? Vielleicht so: Die leicht verlebte Millionärs-Ehefrau (Anke Engelke) fährt mit ihrem Porsche bei überhöhtem Tempo durch Grünwald, steuert ihr Domizil in einer Seitenstraße an und betätigt per Knopfdruck das Garagentor.

Hinter hohen Mauern, im Garten der Villa - 3000 Quadratmeter Grundstück, Designerpool, türkisches Dampfbad, Wohnlandschaft mit Tiroler Bauernstube - wartet ihr wütender Gatte (Uwe Ochsenknecht) mit seinem Anwalt (Harald Schmidt). Er will die Details der Scheidung klären. Wer kriegt das Haus, wie weit gehen wir mit dem Preis runter? Da erscheint die sexy Nachbarin (Alexandra Maria Lara) auf dem Bildschirm des elektronischen Türöffners: Ob sie den Gärtner (Moritz Bleibtreu) und die polnische Hausangestellte (Yvonne Catterfeld) übernehmen darf, wenn der Verkauf abgeschlossen ist?

Gut, ganz so dramatisch geht es in Grünwald, dem immer noch bevorzugten Villenparadies der Reichen und Berühmten, noch nicht zu. Oder doch? Wer in diesen Wochen durch den Münchner Vorort fährt, sieht in Gärten Stangen, an denen Verkaufsschilder hängen. Sogar in der noblen Dr. Maxstraße werden Immobilien angeboten, die mit phantastisch klingenden Namen ("La Casa Gialla") um Aufmerksamkeit buhlen.

Und in der sonst so ruhigen Gabriel-von-Seidl-Straße werden Grundstücke "wie reife Tomaten" (tz) angepriesen. Vom "Villen-Sommer-Schlussverkauf" ist in Boulevardzeitungen die Rede. "Hier wird Grünwald verscherbelt", schrieb die Bild-Zeitung. Sogar in einem Immobilienbericht der Zeitschrift Capital kamen "Experten" zu Wort, die den Niedergang des Villenstandorts konstatieren.

Ausverkauf? Niedergang? Grünwald als Reste-Rampe für verarmte Millionäre? Bürgermeister Jan Neusiedl hält solche Berichte für maßlos überzogen. Der CSU-Mann, ein korrekter, jugendlich wirkender Politiker, sitzt in seinem Büro im funktionalen Rathaus und wiegelt ab. "Eine gewisse Fluktuation auf dem Grünwalder Markt ist völlig normal." Aber zugegeben, derzeit seien schon mehr Häuser zu haben als sonst. Früher waren es im Schnitt 80, jetzt stehen 120 Objekte zum Verkauf, schätzen Makler.

Die Schilder findet der Bürgermeister übrigens "gar nicht schön", so wie viele alte Grünwalder auch, die sich schon im Rathaus über die "amerikanische Unsitte" beschwert haben. "Wir werden uns im Gemeinderat etwas überlegen müssen", sagt Neusiedl und lässt drohend das Wort "Ortsgestaltungssatzung" fallen.

Aber so einfach ist die Sache wohl nicht, schließlich haben die Grundstücksbesitzer auch ein Wort mitzureden. Und die machen energisch ihre Gewohnheitsrechte geltend. Es kann passieren, dass der Bürgermeister nachts einen Anruf vom braven Bürger Blacky Fuchsberger erhält, der sich von Dreharbeiten im Nachbarhaus belästigt fühlt - vor kurzem war Paris Hilton zu Werbeaufnahmen in der Villa eines Managers, der Fußballer vermarktet.

"Natürlich fühlen sich die Prominenten bei uns wohl, weil es hier so schön ist", sagt Neusiedl. "Wir wollen alles tun, damit das so bleibt." Der Villencharakter müsse erhalten bleiben, eine weitere Verdichtung verhindert werden. Jeder Verkauf einer Immobilie landet in Grünwald daher auf dem Schreibtisch des Bürgermeisters, der auf Ruhe und Ordnung achtet.

Krisenstimmung im Paradies der Reichen

Die Firma, die den Ärger losgetreten hat, ist in Grünwald relativ neu. Das international tätige Immobilienunternehmen Engel & Völkers hat vor vier Jahren in der Gemeinde einen Shop eröffnet, bald darauf standen die ersten Schilder auf den Grundstücken. Aber Konstantin Wettig, Leiter des Münchner Büros, möchte sich keinesfalls zum Buhmann der Gemeinde stempeln lassen: "Offensives Marketing ist in anderen Städten wie Hamburg völlig normal." Außerdem habe die Konkurrenz längst zurückgeschlagen, es herrsche Waffengleichheit.

Was nicht ganz stimmt. Die alteingesessene Immobilienfirma Rosemarie Bauer hat die Schilderpraxis kopiert; die ebenfalls etablierte Firma Gleich verzichtet darauf. Die Unprofessionalität einiger Makler gepaart mit den überzogenen Erwartungen der Besitzer führe zu einer Verzerrung der Marktverhältnisse, sagt Egon Gleich, der früher auch an Ottmar Hitzfeld vermietete. "Wenn geschiedene Hausfrauen aus Langeweile plötzlich Makler spielen, helfen auch Schilder nicht weiter", sagt er.

Bei Engel & Völkers sieht man die Sache natürlich ganz anders. Für Konstantin Wettig steht außer Frage, dass man inzwischen "kreativ" sein muss, um Häuser in Grünwald loszuwerden. "Die Preise von 1999, als der Neue Markt boomte, kommen so schnell nicht wieder."

Mit bis zu zehn bis fünfzehn Prozent Wertverlust müsse man bei Immobilien, die nicht zur Toplage zählen, durchaus rechnen. Gut, die exklusiven Objekte, die Zehn-Zimmer-Villen mit riesigen Gärten, sind noch immer begehrt. Konzernmanager oder wohlhabende Unternehmer, die lieber kein Klingelschild anbringen, wohnen gerne hier. Vor kurzem ist Siemens-Chef Klaus Kleinfeld nach Grünwald gezogen. Sogar der saudische König hat angeblich eine interessante Bleibe. Aber die Bereitschaft der Besitzer von Doppelhaushälften oder mittelgroßen Einfamilienhäusern, Abstriche beim Preis zu machen, ist gering. Deshalb werben einige Makler mit allen Mitteln für die Objekte.

Negativschlagzeilen über den Ausverkauf von Grünwald stören die Idylle der Schlafstadt im Süden von München, die im Rest der Republik zum Synonym für einen gehobenen Lebensstil in völliger Sicherheit und absoluter Privatsphäre geworden ist. Nicht mal einen S-Bahn-Anschluss gibt es hier, nur die Straßenbahnlinie 25, mit der Jugendliche in Markenklamotten, junge Mütter, Hausangestellte mit dicken Einkaufstüten und ältere Damen in die Stadt fahren. Man muss sich nur eine Weile auf eine Bank am Derbolfingerplatz setzen, um sich zu vergewissern, dass hier auch Menschen leben, die nicht mit dem S-Klasse-Mercedes oder dem 7er BMW unterwegs sind.

In Grünwald mit seinen 11.000 Einwohnern bleiben Fußballprofis, Filmstars und Schlagersänger gerne unter sich. "Das sind fleißige Leute, die sind froh, wenn sie ihre Ruhe haben", sagt der Bürgermeister, der sich freut, wenn sich Carolin Reiber für die evangelische Kirchengemeinde engagiert. Man kennt sich, man toleriert sich, man lebt für sich.

Aber selbst in diesem elitären Kreis wollen sich nun einige von ihren Häusern trennen. Und zwar nicht nur, weil sie wie Uschi Glas nach einer Scheidung lieber in der Stadt wohnen möchten. Der Bürgermeister kennt noch andere Ursachen: "Die Gründergeneration stirbt momentan weg, und die Erben wollen die großen Grundstücke zu Geld machen", sagt Neusiedl. Für das Ortsbild ist das ein Nachteil: Die Filetgrundstücke mit bis zu 5000 Quadratmetern seien oft nur verkäuflich, wenn man sie aufteilt, und dann entstehen eben Kompromisse, die als "Doppelhausvillen" angepriesen werden.

Die neueren Anwesen, wie man sie etwa in der Heinz-Rühmann-Straße besichtigen kann, sind gar nicht mehr herrschaftlich. In diesem Neubaugebiet nach amerikanischem Zuschnitt steht geklonte Standardware wie aus der Hochglanzbroschüre, mit trutzigen Carports, dicht aneinander gebaut. Von der Wald- und Wiesenromantik ist fast nichts mehr zu spüren, dafür protzen die Eigentümer gerne mit vergoldeten Balkongittern, Erkern oder wuchtigen Eingangstoren.

Überhaupt hat sich in Grünwald so mancher Architekt ein zweifelhaftes Denkmal gesetzt, hinter Busch- oder Mauerwerk stehen kuriose Klötze. Sehenswert ist die Villa eines Galeristen in der Muffatstraße, die mit ihrem begrünten Holzdach, den vielen Rundungen und Minifenstern so aussieht, als hätte Frank Lloyd Wright eine repräsentative Bleibe für die sieben Zwerge gebaut. Seit langem wartet Grünwald nur darauf, dass der Hausherr endlich einzieht.

Das phantastische Anwesen an der Muffatstraße wäre eine toller Drehort für eine Grünwald-Komödie à la Helmut Dietl. Oder eine Kulisse für die Produzenten der Bavaria-Film, die von ihrem Standort in Geiselgasteig das Geschehen in der Gemeinde mit ironischem Blick verfolgen. Bavaria-Geschäftsführer Dieter Frank hat als Bewohner des Nachbarorts Pullach genügend Distanz, um die Attraktivität der Villenidylle zu bewerten. "Ja, es gibt einen Trend in gewissen Kreisen, nach Bogenhausen oder in ausgesuchte Viertel der Innenstadt zu ziehen", sagt Frank.

Im Gerwerbesteuerparadies Grünwald ist die Bavaria nach der Allgemeinen Leasing der größte Arbeitgeber, trotzdem wohnen wenige Filmleute hier. Es ist einfach zu teuer. Über die Mentalität der Villenbewohner, die mit der Limousine zum Semmeln holen fahren, lästert Frank ganz gerne, auch wenn er viele Grünwalder vom Münchner Golf-Club in Straßlach kennt.

Vor kurzem hat Frank beim Staatsbesuch von Edmund Stoiber in Kalifornien den Bürgermeister von Beverly Hills getroffen. Der wollte beim Abendessen wissen, wie man so lebt im berühmten Grünwald, das ja Schauplatz so vieler Morde in Derrick war. Der mit viel Humor ausgestattete Bavaria-Chef hatte eine Antwort: "Grünwald ist wie Beverly Hills. Es gibt viele Villen, viele Witwen, viele Schauspieler, viel Verkehr und wahnsinnig viele Firmen." Der einzige Unterschied sei, dass die Reichen in Beverly Hills auf ihren Grundstücken griechische Säulenimitate wie auf der Akropolis aufstellen, sagt Frank. Das fehlt noch im Schilderparadies Grünwald.

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