Wohnen in: Vancouver:Haus im Hinterhof

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Vancouver ist dicht besiedelt und teuer. Wer in dieser kanadischen Stadt wohnen will, braucht schon etwas Erfindungsgeist, um sich einigermaßen komfortabel einzurichten.

Von Bernadette Calonego

Vancouver gilt als eine der schönsten Städte der Welt: Ozean, Badestrände, Berge, grüne Wildnis rundherum, milde Winter. Seit einigen Jahren ist Vancouver, zumindest was das Wohnen betrifft, auch eine der zehn teuersten Metropolen der Welt. Die Vancouveriten können praktisch in zwei Kategorien aufgeteilt werden: einerseits jene Bürger, die das Glück hatten, vor dem Jahr 2002, als die Immobilienpreise noch nicht so exorbitant hoch waren, eine Bleibe zu erwerben. Andererseits die Pechvögel, die sich wegen des Immobilienbooms heute kein Wohneigentum mehr leisten können - oder auf kleinstem Raum ihr Dasein fristen.

Paare leben in Vancouver häufig in "bachelor pads", Junggesellenbuden, gerade mal fünfzig Quadratmeter groß. In Neubauten führt dieser Trend zu viel Erfindungsreichtum, um Platz zu sparen, etwa mit Schiebetüren aus Milchglas zwischen Bad und Schlafzimmer. In die Trickkiste gehört auch der sogenannte "den": ein Raum von der Größe einer Besenkammer, in den man etwa einen kleinen Computertisch stellen kann. Die Verkäufer tun natürlich trotzdem so, als handle es sich um ein Extrazimmer. Familien behelfen sich oft damit, das Kleinkind im einzigen Schlafzimmer unterzubringen. Das Bett der Eltern steht dann zum Beispiel auf einer offenen Empore unter dem Dach. Was zu Problemen führt, zum Beispiel, wenn sich einer mal früher schlafen legen will. Küche und Bad sind winzig.

Der Sky Train in Vancouver kommt ohne Fahrer aus und entlastet den Straßenverkehr. (Foto: imago/ZUMA Press)

Eigentlich wohnen die Kanadier gern großzügig. Ein Beispiel dafür sind die "Vancouver Specials": Retortenhäuser, die von 1965 bis 1985 gebaut wurden. Sie sind zwar eher hässlich, aber geräumig, und vor allem boten sie damals großen Immigrantenfamilien Platz. Zur Ausstattung gehören zwei Etagen und ein Balkon an der Vorderfront. Zwischenzeitlich haben die "Vancouver Specials" in renovierter Form wieder Liebhaber gewonnen.

Viele Häuser in Vancouver verfügen über eine Einliegerwohnung, die als "mortgage helper" ausgemietet wird, um bei der Zahlung der Hypothek zu helfen. Manche dieser Kellerwohnungen sind allerdings ziemlich muffig und dunkel. Eine neue Form von "mortgage helper" erlaubt die Stadtregierung seit zehn Jahren, das "laneway house": ein Häuschen, das auf demselben Grundstück im Hinterhof errichtet werden darf. Die Nachverdichtung hat jedoch die Probleme in der City nicht gelöst, da viele Wohnungen als Investition gekauft werden. Die Käufer sind oft Millionäre vom chinesischen Festland, die gar nicht in Vancouver wohnen. In oder nahe der Stadtmitte stehen Hunderte Wohnungen leer. Das blieb lange ein Tabuthema, doch vor drei Jahren führte die Stadtregierung eine Leerwohnungssteuer ein, um die Besitzer zum Vermieten der Wohnungen zu ermuntern.

Verdichten lohnt sich. Im Hinterhof von Marta Miller steht zwar kein "laneway house", aber während vieler Jahre haben sie und ihr Mann das Erdgeschoß ausgemietet. Die Eltern kauften das 80 Jahre alte Haus im Jahr 2002 nahe der Main Street, einer einst bescheidenen Gegend für Normalverdiener, die jedoch immer unerschwinglicher wird. Der Marktwert des Hauses hat sich seither verdreifacht.

Geräumige Häuser wie dieses haben normalerweise einen "family room". Früher befand er sich fast immer im Erdgeschoss, heute ist er meistens eine Erweiterung des offenen Raums von Küche und Esszimmer. Gebraucht wird er vor allem zum Fernsehen. Die eingebaute Küche - wie auch viele andere Möbel - stammt häufig von Ikea. "Man macht sich zwar ein bisschen darüber lustig, kauft aber trotzdem dort ein", sagt Marta Miller. Wer es vornehmer mag, mischt ein oder zwei Designerstücke unter die Möbel. Bei Herd und Kühlschrank dominiert immer noch rostfreier Stahl und Granit für die Abdeckung. Die Einrichtung muss, wie übrigens auch die Kleider, praktisch und bequem sein. Mindestens eine Wand wird als "accent wall" bunt bemalt, weiße Wände gelten als langweilig.

Moskau (Foto: Mainka; Logo wohnen in)

Natürlich ist in Vancouver der Einfluss der vielen Immigranten zu spüren. Im Stadtkern fallen vor allem bei Villen von reichen Festlandchinesen die Säulen bei der Eingangstür auf - in der Feng-Shui-Philosophie ist das wichtig für den Einlass von positiver Energie. Diese Häuser haben auch oft zwei Küchen, die eine für das Zubereiten von geruchsintensiven Mahlzeiten. Vor allem ist diesen Investoren wichtig, dass das Haus brandneu ist. Sie wollen nicht in eingelebten Gebäuden wohnen. Und noch etwas eher Merkwürdiges: Die Zahl Acht in der Hausnummer, die von Chinesen als Glücksbringer betrachtet wird, steigert den Wert der Immobilie.

Ob Immigrant oder nicht, in praktisch allen Häusern findet man Einbauschränke. Der freistehende Schrank, "armoire" genannt, ist die Ausnahme. Ganz oben auf der Prioritätenliste der meisten Kanadierinnen steht der begehbare Kleiderschrank oder "walk-in closet". Während früher vor allem die relativ kleinen "Queen-Size"-Betten üblich waren, werden die größeren "King-Size"-Betten immer beliebter. Gemeinsam ist aber allen Größen, dass in der Regel keine Daunenbettdecke darauf liegt, sondern ein "comforter", eine Steppdecke, die - wie die Matratze - von den Ehepartnern geteilt wird. Es gehört zum Morgenritual, dass sich die eine oder der andere darüber beschwert, dass ihm/ihr wieder einmal die Bettdecke weggezogen wurde.

Das milde Klima in Vancouver fördert das Pflanzenwachstum, und viele Vancouveriten lieben Gemüsegärten, vor allem den biologischen Anbau. Wer nicht selbst gärtnert, kann die Erde an eine Organisation vermieten, die den Garten bestellt. Im Austausch erhält man einen Teil der Ernte. Die Stadtbehörden fördern auch kleine Gärten in verkehrsberuhigten Straßen oder auf Verkehrsinseln, die von Freiwilligen behütet werden. Für all jene, die sich Vancouver nicht mehr leisten können, ist das kein Trost. Sie sind nach Squamish, Vancouver Island oder ins Innere der Provinz British Columbia gezogen, und nun steigen dort die Immobilienpreise ebenfalls markant. Dasselbe passiert auch innerhalb von Vancouver. Gegenden wie Main Street oder Commercial Street werden zunehmend yuppiesiert, alte Gebäude abgerissen. Früher gehörten den Superreichen Viertel wie Shaughnessy, Point Grey oder West Vancouver. Aber sie nisten sich jetzt auch in Gegenden wie Dunbar, Kitsilano, West End oder False Creek ein.

Weil vielen Vancouveriten der Immobilienverkauf nicht möglich ist, wohnen sie zur Miete. Die Mietrate ist mit circa 36 Prozent hoch. Auch die Mieten sind deutlich gestiegen. 1200 Euro für eine Einzimmerwohnung oder 2500 Euro für drei Schlafzimmer sind normal, trotz jährlicher Gehälter von 35 000 bis 40 000 Euro. Aus Not entstehen vielerorts "zusammengewürfelte" Wohngemeinschaften. In manchen Fällen wird auch der Wohnraum als Schlafzimmer benutzt. Zu den Bevorzugten gehören jene Bewohner, die einer der wenigen Kooperativen angehören, in deren Häuser die Mieten preiswerter sind. Mietwohnungen werden immer knapper, weil sie in Wohneigentum umgewandelt werden.

Beliebtes Ziel für Erholungssuchende sind die Spanish Banks mit ihren Sandstränden. (Foto: Andy Clark/Reuters)

Wer das Glück hat, in einer angenehmen Gegend mieten zu können, zieht nicht mehr um. So bleiben viele ihrer Mietwohnung treu, etwa im trendigen Kitsilano-Viertel, obwohl ihnen ein neu erstellter Wohnblock nicht nur die Aussicht, sondern jegliche Sonnenstrahlen nimmt. Sonne gibt es dann eben auf einem der langen Pazifikstrände, noch dazu kostenlos.

Die SZ berichtet in dieser Serie über das Thema Wohnen in wichtigen Städten der Welt. Bisher sind folgende Texte erschienen: Rom (17./18. 8. 2019), Madrid (7./8. 9. 2019), Tokio (21./22. 9. 2019), Istanbul (12./13. 10. 2019), Tel Aviv (2./3. 11. 2019), Bern (16./17. 11. 2019), Peking (30.11./1. 12. 2019), Kapstadt (21./22. 12. 2019), Lissabon (11./12. 1. 2020) und Paris (25. 1.).

© SZ vom 08.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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