Süddeutsche Zeitung

Wohnen in: Tel Aviv:Leben am Limit

In Israel wohnen zwei Drittel der Menschen im Eigenheim - häufig hoch verschuldet. Auch die Mieter haben es schwer, und Regierungsprogramme zur Behebung der Wohnungsnot laufen ins Leere.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Tel Aviv hat viel zu bieten: Sonne und Strand, gutes Essen und Jobs in der Start-up-Szene. Die Mittelmeermetropole mit ihren 400 000 Einwohnern hat stetigen Zuzug, Wohnraum ist trotz der vielen Hochhäuser, die aus dem Boden schießen, knapp - und vor allem teuer. Unter umgerechnet 3000 Euro Monatsmiete ist kaum eine Wohnung im Zentrum oder in Strandnähe zu bekommen. Dazu kommen noch die im Vergleich zu Deutschland höheren Kosten für Strom und Wasser sowie die "Arnona", die im Zwei-Monats-Rhythmus zu entrichtende kommunale Steuer für Mieter und Wohneigentümer.

Es sind mehrere Faktoren, die den Anstieg der Immobilienpreise und Mieten in den vergangenen Jahren bewirkt haben. Immobilien verteuerten sich binnen eines Jahres um bis zu 8,5 Prozent, inzwischen ist der Anstieg etwas abgeflacht. Beigetragen haben dazu Immobilienkäufe durch Juden aus Europa, insbesondere Frankreich. Angesichts des Antisemitismus sehen viele Israel als "sicheren Hafen" und kaufen deshalb hier Vorsorgewohnungen. Viele dieser Unterkünfte werden nur zur Urlaubszeit genutzt und stehen häufig leer.

Andere Wohnungen werden nur deshalb gekauft, um sie möglichst oft weiterzuvermieten. Tel Aviv ist jene Stadt, in der weltweit die meisten Airbnb-Übernachtungen - gemessen an der Gesamtzahl der Gästebetten - gezählt werden. Mehr als die Hälfte der Übernachtungen werden über diese Plattform gebucht. Zwei Drittel der etwa 8800 Unterkünfte in der Stadt werden von professionellen Vermietern angeboten. Davon wiederum vermieten zwei Drittel mindestens zwei Immobilien. Airbnb ist damit zu einem Modell geworden, wie man seinen Lebensunterhalt finanzieren kann. Die kurzzeitige Vermietung über das Internetportal lohnt sich einfach mehr als die langfristige Vermietung, gerade angesichts des Touristenbooms in der Mittelmeermetropole. Es gibt auch Makler, die auf die Verwaltung von Touristen-Unterkünften umgesattelt haben. Die größte Konzentration von Airbnb-Wohnungen in Tel Aviv befindet sich im Zentrum der Stadt. Im jemenitischen Viertel, das zwischen dem Carmel-Markt und dem Strand liegt, werden heute 16,3 Prozent aller Wohnungen kurzzeitig vermietet. In Neve Zedek sind es 8,4 und im Norden von Jaffa 6,4 Prozent.

Ein weiterer Grund für die steigenden Preise ist eigentlich ein positiver: Es wird mehr renoviert - vor allem Gebäude im Bauhaus-Stil. In Tel Aviv findet sich die weltweit größte Ansammlung von etwa 4000 Gebäuden im internationalen Stil, wie es korrekt heißt. Denn der Bauhaus-Stil wurde für die hier herrschenden klimatischen Verhältnisse abgewandelt. Nur wenige der Architekten, die in den Dreißiger- und Vierzigerjahren vor den Nazis ins damalige britische Mandatsgebiet Palästina flüchteten, haben tatsächlich am Bauhaus studiert, viele ließen sich jedoch von Bauhäuslern wie Walter Gropius beeinflussen. Ihre Architektur prägt die Stadt bis heute. Seit 2003 gehört die "Weiße Stadt" zum Unesco-Weltkulturerbe. Aber ein Großteil des architektonischen Erbes ist in keinem guten Zustand: Der Putz bröckelt ab, manche Balkone dürfen gar nicht mehr betreten werden, statt in Weiß sind die Gebäude in schmutzigem Braun.

Die Stadtverwaltung nutzt das Jubiläum des Bauhauses, das vor hundert Jahren gegründet worden war, um Eigentümer von Häusern in diesem Stil zu drängen, Renovierungen in Angriff zu nehmen. Vorzeigeobjekt ist das mit finanzieller Hilfe aus Deutschland renovierte Max-Liebling-Haus, das nach monatelangen Umbauarbeiten Mitte September eröffnet wurde. Dabei konnte man den Handwerkern über die Schulter schauen. Denn das Haus will nicht nur Bauhaus-Museum sein, sondern dazu einladen, Gebäude möglichst originalgetreu herzurichten. Hier werden nicht nur Architekturmodelle gezeigt, sondern auch Workshops abgehalten, wie man ein Haus sensibel renoviert: indem man Kratzputz, der auch auf Hebräisch so heißt, verwendet und Fenster und Türen im typischen Bauhaus-Stil nachbaut.

Das Liebling-Haus, das nach den Plänen von Dov Karmi 1936 in der Idelson-Straße entstanden ist, soll als "deutsch-israelisches Dokumentations-, Vermittlungs- und Kompetenzzentrum" zum Nachmachen anregen.

"Es ist aufwendig, so ein Haus im Bauhaus-Stil zu sanieren", berichtet Mati Broudo. Vor acht Jahren hat er im Stadtteil Neve Tzedek ein 600 Quadratmeter großes Gebäude gemeinsam mit dem Architekten Avital Gourary renoviert. "Wir haben das Bauhaus neu erfunden", sagt Broudo. Wände wurden beseitigt, der Großteil von Broudos 110-Quadratmeter-Appartement ist ein riesiger Raum. Das Gebäude erstrahlt außen wie innen in Weiß, es gibt viel Glas und große Fenster. "Gäste müssen sich erst an so viel Transparenz gewöhnen", berichtet Broudo.

Tatsächlich werden in Tel Aviv immer mehr Häuser im Bauhaus-Stil renoviert, seit die Stadt einen Anreiz geschaffen hat: Eigentümer erhalten zusätzliche Baurechte, wenn sie möglichst originalgetreue Renovierungen durchführen. Dann dürfen sie das Haus um bis zu zweieinhalb Stockwerke ergänzen.

Damit will die Stadt Tel Aviv einerseits Renovierungen fördern, andererseits neuen Wohnraum in der Metropole schaffen. Das ist mit diesem durchaus umstrittenen Konzept nur bedingt gelungen. Denn nach den Sanierungen steigen auch die Mieten. Der von der Politik vorgegebene Anspruch, dass mit der Förderung wieder mehr junge Menschen in die Stadt geholt werden sollen, ließ sich damit nicht erfüllen. Denn gerade diese Bevölkerungsgruppe kann sich die hohen Mietpreise meistens nicht leisten.

Schon 2011 haben die Proteste gegen die hohen Ausgaben fürs Wohnen international Schlagzeilen gemacht. Wochenlang campierten Demonstranten am Rothschild-Boulevard im Zentrum der Stadt, um darauf aufmerksam zu machen, dass Wohnen für viele immer weniger zu leisten ist. Wer zur unteren sozialen Schicht gehört, muss gut 60 Prozent seines Einkommens für ein Dach über dem Kopf ausgeben. Wer zum Mittelstand zählt, gibt etwa ein Drittel seines Einkommens dafür aus. Die Kluft zwischen denen, die Immobilien besitzen, und denjenigen, die nur Mieter sind, wird immer größer.

Die Israelis trachten danach, in einem Eigenheim zu leben. Zwei Drittel haben es geschafft - häufig um den Preis hoher Verschuldung. Wer in einer Mietwohnung lebt, muss sich darauf einstellen, dass er rasch gekündigt werden kann und die Mieten in hohem Tempo nach oben klettern - im vergangen Jahrzehnt um mehr als 60 Prozent. Einen ausgeprägten Mieterschutz wie in Deutschland gibt es nicht.

Es gibt auch kaum sozialen Wohnungsbau. Nur zwei Prozent der neun Millionen Einwohner in Israel leben in einer vom Staat geförderten Wohnung. Etwa 170 000 erhalten vom Staat einen Mietkostenzuschuss, weil sie sich sonst ihre Bleibe nicht mehr leisten könnten. Eine davon ist Anat Almualem, alleinerziehende Mutter von drei Kindern. 700 Euro bekommt sie als Zuschuss und fürchtet, "eines Tages doch aus der Wohnung geschmissen zu werden, weil es nicht mehr reicht".

Mehrere Minister haben in den vergangenen Jahren Programme für leistbares Wohnen gestartet, die "Leben in Würde" genannt wurden oder schlicht Wohnungslotterie. In Tel Aviv haben sich Tausende bei dieser Lotterie beworben, aber nur mehrere Dutzend haben es dann geschafft, eine Wohnung zu ergattern, deren Miete für fünf Jahre gedeckelt ist.

Ansonsten ist alles dem freien Markt überlassen, der immer mehr Fliehkräfte entfaltet - raus aus Tel Aviv in günstigere Wohngegenden. Auch Anat Meir ist mit ihren zwei Kindern vor zwei Jahren aus dem Zentrum der Metropole nach Kfar Saba gezogen. Hier konnten sie sich ein 120-Quadratmeter-Haus für umgerechnet circa 400 000 Euro kaufen. Ihre alte Wohnung in Tel Aviv, die nur 70 Quadratmeter hatte, ist ihnen für das Doppelte zum Kauf angeboten worden. Dafür steht die Sprachlehrerin jeden Tag im Stau: Sie wohnt nur 25 Kilometer entfernt, braucht aber in der Regel eine Stunde für diese Strecke. "Das ist vertane Lebenszeit. Wir würden gerne wieder in Tel Aviv wohnen, aber wir können es uns derzeit schlicht nicht leisten."

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Quelle:
SZ vom 02.11.2019
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