Wirtschaftskrise:Absturz Ost

Die Krise begann in den amerikanischen Vorstädten, sie erfasste später westliche Banken, schließlich kippte Island - und nun wankt auch Osteuropa, jene Region, auf der die Hoffnungen ruhten.

Thomas Urban

Die Länder östlich von Deutschland galten als "Emerging Markets", als aufstrebende Märkte, als Vorhof der westlichen Industrie. Doch wegen der Wirtschaftskrise demonstrierten vor kurzem in Lettland Zehntausend und lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei.

Wirtschaftskrise: Eine Filiale der polnischen Bank Pekao in Gorzów Wielkopolski (das frühere Landsberg an der Warthe):  Die Geldhäuser des Landes haben sich nicht an den Kreditpyramiden der globalen Investmentbanken beteiligt, sondern vor allem auf das klassische und solide Kundengeschäft gesetzt. Dennoch trifft die Finanzkrise nun auch Polen hart.

Eine Filiale der polnischen Bank Pekao in Gorzów Wielkopolski (das frühere Landsberg an der Warthe): Die Geldhäuser des Landes haben sich nicht an den Kreditpyramiden der globalen Investmentbanken beteiligt, sondern vor allem auf das klassische und solide Kundengeschäft gesetzt. Dennoch trifft die Finanzkrise nun auch Polen hart.

(Foto: Foto: ddp)

Auch in Bulgarien gingen die Menschen auf die Straße. Länder wie Ungarn oder die Ukraine stehen, ähnlich wie Island, vor dem Bankrott. Die Regierungen suchen Hilfe beim Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Union.

Die große Krise dürfte durch die gerade erst demokratisch gewordenen Gesellschaften mit ihren jungen Marktwirtschaften eine Schneise der Zerstörung schlagen.

Die Länder stürzen ohne Übergang vom Boom in die tiefe Rezession. In Ungarn und in Lettland, wo die Regierenden Milliardenhilfe vom Internationalen Währungsfonds beantragt haben, ist dies bereits offenbar. In den beiden Ländern wurde extrem über die Verhältnisse gelebt, mit der Finanzkrise sind die großen Kreditblasen geplatzt. In Lettland ist die Regierung wegen der Krise bereits gestürzt, in Ungarn wankt sie.

Andere osteuropäische Staaten erleben ebenfalls, dass ihr Wirtschaftsmodell kollabiert. Sie haben ihren Boom vor allem mit ausländischem Geld finanziert, doch nun ziehen die Anleger ihr Geld ab und drücken damit die osteuropäischen Währungen nach unten.

Doch ist angesichts dessen keine Häme in den alten EU-Ländern angebracht. Denn die Osteuropäer haben nur den westlichen Vorbildern nachgeeifert und voll und ganz auf die Marktwirtschaft gesetzt.

Auch Staaten, in denen recht solide gewirtschaftet wurde, erfasst die Krise, angefangen mit Polen, mit fast 40 Millionen Einwohnern das wirtschaftlich stärkste Land in diesem Teil Europas.

Die polnischen Geldhäuser haben sich nicht an den Kreditpyramiden der globalen Investmentbanken beteiligt, sondern vor allem auf das klassische Kundengeschäft gesetzt. Doch nun leidet das Land unter dem Einbruch der Automobilindustrie. Alle großen europäischen Konzerne haben in Polen Fabriken gebaut, zudem hatten sich polnische Zulieferer Marktanteile erkämpft.

Überdies werden in den osteuropäischen Ländern Hunderttausende Emigranten zurückerwartet, die in Westeuropa Lohn und Brot gefunden hatten, nun aber wegen der Krise als Erste entlassen werden. Auch hier trifft es die neuen EU-Länder ohne eigenes Verschulden.

Die Bevölkerung ist deswegen zutiefst verunsichert, mittlerweile glauben 70 Prozent der Polen, dass die proeuropäische Mitte-Rechts-Regierung von Donald Tusk die Lage nicht kontrolliere. Tusk hatte sich vor zwei Jahren als Oppositionsführer weit vorgewagt, als er ein Wirtschaftswunder versprach und die Wahlen gewann. Nun wird er an seinen nicht mehr zu erfüllenden Wahlversprechen gemessen. Sollte er scheitern, so dürften wieder euroskeptische Kräfte ans Ruder kommen.

Auch in anderen EU-Staaten könnten sich die Dinge in diese Richtung entwickeln. Es geht in den Ländern, die bis vor zwei Jahrzehnten noch zum Sowjetblock gehörten, nicht nur um wirtschaftliche Eckdaten, um gestiegene Inflationsraten und Arbeitslosenquoten.

Vielmehr wird das geradezu mythische Vertrauen in den "golden Westen", der dem einzelnen Menschen viel mehr Möglichkeit gibt "sein Glück zu machen", zutiefst erschüttert. Die längst überwunden geglaubte Skepsis gegenüber Marktwirtschaft und Demokratie wächst kräftig.

Es ist kein Zufall, dass in den beiden kleinen Ostseerepubliken Estland und Lettland Angehörige der russischen Minderheit auf die Straße gegangen sind, die den Anschluss an den Westen stets weniger als Verheißung, sondern eher als Entfremdung angesehen haben. Die baltischen Staaten haben sich bereits am sicheren Ufer gewähnt, nachdem sie erst der Nato, dann der EU beigetreten waren. Nun drohen ihnen wieder Turbulenzen, die vom russischen Nachbarn im Osten noch geschürt werden.

In der von den großen Industrienationen Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien dominierten EU sollten diese Stimmungen nicht unterschätzt werden. Denn das Gemisch aus wachsender EU-Skepsis und anhaltender Russenangst könnte in mehreren Ländern Populisten das Feld bereiten und somit zur Destabilisierung führen.

Das hätte unabsehbare Folgen für die EU. Es bestünde die Gefahr, dass diese Populisten die längst überfällige EU-Reform, die den schwerfälligen Brüsseler Apparat flexibler und transparenter machen soll, weiter blockieren würden - zum Schaden der gesamten Gemeinschaft.

Die Großen in der EU sollten daher, ungeachtet der eigenen Probleme, rasch umfassende Hilfs- und Sanierungskonzepte für die gefährdeten Neuen im Osten entwickeln. Und dafür Milliarden bereitstellen. Es wären keineswegs Geschenke an die armen Nachbarn, sondern gute Investitionen im eigenen Interesse. Denn für eine Osthälfte der EU, die in die Krise stürzt, müsste der Westen später einen noch viel höheren Preis bezahlen.

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