Wirtschaft: Aufsteiger des Jahres 2010:Uschi und die starken Männer

Eine frühere Kindererzieherin mit großem Machtzuwachs und ein spendabler Weltbürger, ein Kulturschock aus den Niederlanden und die Renaissance einer verschmähten Berufsgruppe - ein Überblick über die Aufsteiger des Jahres in Bildern.

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Wirtschaft: Aufsteiger des Jahres 2010:Ursula Piëch

100 Jahre Audi AG

Quelle: dpa

Eine frühere Kindererzieherin mit großem Machtzuwachs und ein spendabler Weltbürger, ein Kulturschock aus den Niederlanden und die Renaissance einer verschmähten Berufsgruppe - ein Überblick über die Aufsteiger des Jahres in Bildern.

Wenn Ursula Piëch mit ihrem Mann Ferdinand unterwegs ist, dann entscheidet sie oft, wann Schluss ist. Dann steht sie da, umringt von Journalisten, mit schwarzer Stola, schwarzer Samtjacke und grauem Rock, und zupft den mächtigen VW-Aufsichtsratschef und Autopatriarchen am Ärmel. Das bedeutet dann: Die Party ist vorbei, los geht's. Und dann gehen sie auch. Meistens.

Ursula Piëch, 54 Jahre alt, war einmal Kindererzieherin im Hause Piëch. Vor über einem Vierteljahrhundert schließlich heiratete sie den Automanager, aus Ursula Plasser wurde Ursula Piëch. Der fast 20 Jahre ältere Gatte wurde im Laufe der Zeit zu einem der wichtigsten Automanager der Welt. Und Ursula ging mit auf seinem Weg. Zuerst als Ehefrau, die begann, die Auto-Leidenschaft ihres Mannes zu teilen. Dann als engste Beraterin. Und schließlich als Erbin. In diesem Sommer wurde bekannt, dass der "Alte", wie man ihn in Wolfsburg nennt, seine milliardenschweren Anteile an Porsche und VW auf zwei österreichische Stiftungen übertragen hat.

Stirbt er, soll Ursula, genannt "Uschi", das Vermächtnis des Alten verwalten. Piëch verhindert so, dass eines seiner zwölf Kinder Einfluss auf den Autokonzern bekommt. Und macht seine Frau zu einem der mächtigsten Menschen im VW-Konzerngeflecht. Allerdings: Piëch wäre nicht Piëch, hätte er die künftige Macht der Ehefrau nicht an Bedingungen geknüpft. Teil der Abmachung ist auch, dass sie nach seinem Tod nicht wieder heiraten darf.

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Wirtschaft: Aufsteiger des Jahres 2010:Léo Apotheker

Leo Apotheker wird HP-Chef

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Nicht viele hätten Anfang des Jahres darauf gewettet, dass der Name von Léo Apotheker in der IT-Industrie noch einmal auftaucht. Mit kurzer Unterbrechung hatte er 20 Jahre bei SAP gearbeitet, als alleiniger Vorstandschef aber hielt er sich nur neun Monate, bevor er quasi über Nacht entmachtet wurde. Mitte 50 war Apotheker da, ohne Job, ohne Perspektive. Doch es hat nur kurze Zeit gedauert, bis er wieder ganz oben landete. Jetzt steht er als Chef von Hewlett-Packard, dem weltweit größten Konzern der IT-Branche, wieder an der Spitze. Und prompt kursieren Spekulationen über eine engere Zusammenarbeit zwischen Hewlett-Packard und SAP.

Unzufriedene Mitarbeiter, enttäuschte Kunden. Apotheker hatte keine glückliche Hand bei SAP - allerdings auch in schwerer Zeit. Der Volkswirt musste im Verlauf der Wirtschaftskrise die ersten Entlassungen überhaupt bei dem europäischen Vorzeigekonzern aussprechen. Das war ein Schock für die Mitarbeiter und vergiftete das Klima. Höhere Wartungsgebühren für die SAP-Software sollten die Gewinnspanne verbessern, doch die Kunden spielten nicht mit. Aufsichtsratschef Hasso Plattner zog schließlich die Notbremse. Er wolle wieder eine "glückliche Firma", sagte er, als er die neue Führungsmannschaft vorstellte.

Apotheker war da schon nicht mehr an Bord. Bei SAP hatte er das Entwicklungsbudget gekürzt, bei Hewlett-Packard kündigte er als Erstes an, mehr Geld für Innovationen auszugeben. In der deutschen Niederlassung von Hewlett-Packard hat er sich schon mehrfach blicken lassen. Die Mitarbeiter erwarten, dass er den Software- und den Servicebereich ausbaut. Dort ist mehr zu holen als mit dem Verkauf von Geräten. Und vielleicht kommt es doch zu einer engeren Kooperation mit SAP.

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Wirtschaft: Aufsteiger des Jahres 2010:Nicolas Berggruen

Vogue Fashion's Night Out

Quelle: dapd

Von seinem Berliner Büro in der Wilhelmstraße bis zum KaDeWe in der Tauentzienstraße sind es nur ein paar U-Bahn-Stationen. Nicolas Berggruen, der Mann, der den maroden Karstadt-Konzern aus der Insolvenz übernahm, hat es also nicht weit, wenn er bei seinen Besuchen in der Hauptstadt im Flaggschiff der Warenhauskette nach dem Rechten sehen will.

Häufig ist das allerdings nicht der Fall. Der Weltbürger ohne festen Wohnsitz ist ständig unterwegs, um das Tagesgeschäft bei Karstadt kümmern sich die Manager vor Ort. "Ich bin kein Experte, ich liefere Geld und Unterstützung", sagte der 49-jährige Deutsch-Amerikaner in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Auf die Idee, Karstadt zu übernehmen, sei er bei der Zeitungslektüre gekommen.

Für den neuen Eigentümer ist Karstadt eine "Kultmarke", die es wiederzubeleben gilt. Nun sind alle gespannt, wie das gelingen soll. Zumal das Unternehmen die dringend notwendigen Investitionen selbst verdienen soll. Manche vermuten deshalb, dass Berggruen sich schon bald wieder verabschieden wird. Er selbst aber betont: "Der Zeithorizont ist unbegrenzt. Es gibt keinen Plan für einen Ausstieg."

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Wirtschaft: Aufsteiger des Jahres 2010:Carsten Spohr

Lufthansa Cargo will bei Nachtflugverbot Flotte abbauen

Quelle: dpa

Welchen Stellenwert Carsten Spohr im Lufthansa-Konzern genießt, kann man ungefähr an der Liste der Überraschungsgäste ausmachen, die vor ein paar Tagen zu seiner Abschiedsparty erschienen. Spohrs Mitarbeiter bei Lufthansa Cargo hatten versucht, möglichst alle seine Vorgänger aufzutun. Auch Bruder Matthias, ein Lufthansa-Langstreckenkapitän, wurde gesichtet, ebenso wie Lufthansa-Aufsichtsratschef Jürgen Weber.

Von Anfang Januar an wird Spohr nicht mehr für die Frachtsparte verantwortlich sein, er wechselt in den Konzernvorstand und übernimmt gleichzeitig die Zuständigkeit für das Passagiergeschäft, die mit Abstand wichtigste Sparte von Lufthansa. Der Aufstieg war abzusehen, sein Abstecher zu Lufthansa Cargo vor drei Jahren galt als Bewährungsprobe für den 42-Jährigen. Diese hat er bestanden, auch wenn ihm die Wirtschaftskrise 2009 die erste Bilanz gewaltig verhagelte. Doch das kreidete ihm niemand an, und 2010 lief das Geschäft schon wieder ungleich besser, auch weil Spohr die richtigen Akzente setzte.

Bei Lufthansa-Passage muss er sich nun liegengebliebenen Hausaufgaben widmen. Sein Auftrag ist klar umrissen: Er muss eine Strategie finden, mit der Lufthansa im Europaverkehr wieder Geld verdienen kann. Vor allem auf den dezentralen Strecken tut sich der Konzern schwer, dort, wo die Billigfluggesellschaften besonders wildern. Spohr hat noch vor Amtsantritt fast den gesamten Bereichsvorstand ausgewechselt. Jetzt kann er beweisen, dass er so gut ist wie alle glauben.

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Wirtschaft: Aufsteiger des Jahres 2010:Regine Stachelhaus

Regine Stachelhaus übernimmt Geschäftsführung bei UNICEF Deutschland

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Wer sagt, Frauen in Chefetagen seien härter als jeder Mann oder hätten ihre weiblichen Reize eingesetzt, den bittet Regine Stachelhaus in ihr Büro. Vorsicht, bekommt er dann in sanftem Schwäbisch zu hören: So nicht. Stachelhaus hat genug von diesen Klischees, sie ist schließlich gewissermaßen deren Antithese. Tatsächlich fällt in Deutschland schnell ihr Name, wenn eine Frau gesucht wird, die es bis ganz nach oben geschafft hat - ohne Quote und ohne zu verrohen.

Seit Mai gehört Stachelhaus dem Vorstand des Energiekonzerns Eon an. Die 55-Jährige leitet das neugeschaffene Superressort Personal, Informationstechnologie, Einkauf, Recht und Integrität und zählt zu den ganz wenigen Frauen, die es auf den Chefsessel eines Dax-Konzerns schaffte: Von 185 Vorständen dort sind noch immer 181 männlich, nur vier Posten sind von Frauen besetzt. Für die blonde Schwäbin ist es nicht der erste Chefposten. Bis 2008 war sie Geschäftsführerin bei der deutschen Tochter von Hewlett-Packard (HP) und leitete dort die Druckersparte; bei dem Computerhersteller hatte sie ihre Karriere 1984 begonnen.

Von wegen Computer, eine Männerdomäne - von solchen Phrasen lässt sich die Juristin nicht schrecken. Genauso wenig wie von einem Seitenwechsel: Zwischen beiden Topmanagement-Positionen führte sie das Kinderhilfswerk Unicef aus der Spendenkrise, in die es geschlittert war. Derweil mimt Ehemann Willi den Hausmann. Er war es, der den gemeinsamen Sohn Moritz aufzog. Für Klischees ist bei Familie Stachelhaus einfach kein Platz.

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Wirtschaft: Aufsteiger des Jahres 2010:Marijn Dekkers

Bayer - Marijn Dekkers

Quelle: dpa

Der 53-jährige Niederländer ist der erste Bayer-Chef, der von außen kommt. Er startete auch gleich mit einem Kulturschock, strich den Namen Schering und verpasste dem Konzern ein Sparprogramm.

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Wirtschaft: Aufsteiger des Jahres 2010:Margret Suckale

Head of Human Resources of German railways Deutsche Bahn AG Suckale addresses a news conference in Berlin

Quelle: REUTERS

Sie war im Vorstand der Deutschen Bahn. Dann geriet die Juristin in den Strudel der Datenaffäre. Beim Chemiekonzern BASF schaffte die 54-Jährige ein Comeback - als Personalchefin.

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Wirtschaft: Aufsteiger des Jahres 2010:Johannes Teyssen

Eon - Hauptversammlung

Quelle: dpa

Der neue Vorstandschef von Eon startete energiegeladen. Im Mai übernahm er den Posten von Wulf Bernotat, baute zunächst den Vorstand um, im Oktober verpasste er dem Konzern eine neue Strategie.

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Wirtschaft: Aufsteiger des Jahres 2010:Daniel Atkinson

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Quelle: AP

Der 62-Jährige rückte im September an die Spitze von General Motors. Als erste offizielle Amtshandlung brachte er den Autokonzern aus dem Insolvenzverfahren zurück an die New Yorker Börse.

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Wirtschaft: Aufsteiger des Jahres 2010:Manuela Better

Bilanzpressekonferenz Hypo Real Estate

Quelle: ddp

Sie hat den Sprung ins kalte Wasser überlebt. Als Axel Wieandt im März, einen Tag vor der Bilanzkonferenz, als Vorstandschef der verstaatlichten Hypo Real Estate zurücktrat, musste Manuela Better übernehmen.

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Wirtschaft: Aufsteiger des Jahres 2010:Matthias Müller

Porsche Bilanz PK

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Er war Strategiechef von VW und gilt als enger Vertrauter von Konzernchef Martin Winterkorn. Im Oktober übernahm der 57-Jährige die schwierigste operative Aufgabe im Konzern: die Integration von Porsche.

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Wirtschaft: Aufsteiger des Jahres 2010:Der Facharbeiter

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Quelle: SZ

Zuletzt hatten Soziologen, Ökonomen und Trendforscher am liebsten von Gruppen mit wundersamen Namen geredet. Von "Lohas", also von Leuten mit Bewusstsein für Nachhaltigkeit. Oder von Hedonisten, jenen mit Spaß am Leben. Oder von der deutschen Leistungselite der "Performer". Das klang exotisch und irgendwie zukunftsweisend. Kaum eine Rolle spielte bei solchen Betrachtungen eine Ansammlung von Menschen, die einst zur Stammbelegschaft der Republik gehörte: die Facharbeiter.

Facharbeiter? Das erinnerte an Maloche, an Maschinenöl. An Opel Astra, Soleier und Fußball-Stehplatz. Man assoziierte ihr Schicksal mit jenem der SPD - ein bisschen bieder, ein bisschen gestrig. Nichts, womit der große globale Wettbewerb zu gewinnen wäre.

Auf einmal ist alles anders. Nun, wo sich Deutschland aus der Weltwirtschaftskrise ins Wirtschaftswunder manövriert, stellt sich heraus: Es fehlen nicht nur Ingenieure, Ärzte und Pflegekräfte, es fehlen vor allem Facharbeiter. In den kommenden 15 Jahren werde dieses Angebot drastisch um fast zwei Millionen sinken, warnte Mitte des Jahres der dritte nationale Bildungsbericht der Kultusminister und des Bundes. Facharbeiter, wo bist du? Allein Baden-Württemberg braucht in zehn Jahren 370.000 Vertreter dieser Spezies. Es gibt zu wenige junge Leute, zu wenig Schulabgänger, und das bei einer anziehenden Konjunktur. Besonders die ...

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Wirtschaft: Aufsteiger des Jahres 2010:Der Facharbeiter

Facharbeiter-Nachwuchs in Maschinenfabrik

Quelle: dpa

... Metall- und Elektroindustrie klagt. Die Folge: Die einst Verschmähten sind heiß begehrt. Menschen, die in Betrieben feilen, hobeln, sägen oder Computeranlagen überwachen. Oder die Schuhe und Haushaltsgeräte reparieren. Der Aufsteiger 2010? Das ist der deutsche Facharbeiter.

Im Facharbeiternotstandsland gilt die Devise: Her mit allen, die nicht zwei linke Hände haben. Nationalitäten spielen keine Rolle, egal, was Thilo Sarrazin alles schreibt. Hauptsache: Facharbeiter, schließlich will sich Deutschland nicht abschaffen. So bringt der Bundeswirtschaftsminister eine "Lockprämie", ein Begrüßungsgeld, ins Spiel. Der Handwerkspräsident bemüht sich um Migranten als Lehrlinge. Industrie- und Handelskammern bezahlen Experten, die junge Türken, Araber und Osteuropäer anwerben. Konzerne wie BMW oder Siemens bemühen sich um Schulversager. Wenn Mesut Özil, Sami Khedira und andere gehobene Facharbeiter des Fußballs die Nationalelf retten, so wird das ja wohl in der Industrie auch möglich sein.

Das erinnert an den Umbruch vor 40 Jahren. Damals entdeckten die deutschen Industriekapitäne, dass ihr Heil nicht einzig in Henry Fords Massenproduktion liegt, sondern in der Spezialisierung. Der Facharbeiter wurde wichtig. So hat, angesichts des neuen Runs auf die Könner der Werkbank, auch SPD-Chef Sigmar Gabriel ein Thema gefunden: Bevor andere aus dem Ausland nach Deutschland zum Arbeiten kommen, müssten erst mal die Kinder von Migranten ausgebildet werden. Demnächst wird seine Partei vermutlich den Facharbeiter als Genossen wiederentdecken - und ihn, unter all den Akademikern, mit einer Quote absichern.

© SZ vom 28.12.2010/aum
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