Süddeutsche Zeitung

Wilde neue Börsenwelt:Die Darkrooms der Finanzmärkte

Aktien werden an der Börse gekauft? Nein! Längst läuft ein Großteil des Geschäfts im Verborgenen ab - über Handelsnetzwerke von Banken und Finanzinvestoren. Die alternativen Plattformen machen den etablierten Börsen mächtig Angst.

M. Weiss

Die großen Börsen sind nervös. Der elektronische Handel wird immer schneller und damit teurer, die Konkurrenz härter. Viele ehemals übermächtige Traditionshäuser suchen ihr Heil in Fusionen. Zuletzt ging es Schlag auf Schlag: Zunächst gab die Börse in Toronto die geplante Fusion mit der London Stock Exchange bekannt. Kurz darauf bestätigte die Deutsche Börse, dass sie Übernahmegespräche mit der New Yorker Börse führe. Der wirtschaftliche Nutzen der Fusion ist umstritten - aber so, wie die Dinge derzeit liegen, bleibt den Börsen keine andere Wahl.

Das liegt nicht nur am elektronischen Hochfrequenzhandel, sondern auch an neuer Konkurrenz, die seit einigen Jahren die Börsenwelt aufmischt. Alles begann im November 2007 mit dem Inkrafttreten einer neuen EU-Richtlinie: Die "Markets in Financial Instruments Directive", kurz Mifid. Sie sollte die Börsen robuster und den Handel transparenter machen, die Investoren schützen und die Handelskosten senken. Das Timing war sensationell schlecht: Wenige Wochen später stürzte der Dax ab, weltweit fuhren die Börsen Achterbahn - die Finanzkrise war in vollem Gange. So kam es, dass relativ bald nachgebessert werden musste. Anfang Februar endete eine Konsultationsperiode der EU-Kommission, jetzt soll die Mifid überarbeitet und an neue Entwicklungen wie den Hochfrequenzhandel angepasst werden.

Klar ist eines: Die Mifid hat die europäische Börsenwelt wesentlich komplizierter gemacht. Davon ist niemand in der Branche unberührt geblieben - selbst die aktuellen Fusionsgespräche zwischen Deutscher Börse und der New York Stock Exchange gehen auch auf den Konkurrenzdruck zurück, den die Richtlinie verstärkt hat.

Dabei sollte sie eigentlich für Ordnung und fairen Wettbewerb auf den Finanzmärkten sorgen. Mit der Richtlinie wurden die Banken verpflichtet, Börsengeschäfte für ihre Kunden über den billigsten Anbieter abzuwickeln - das öffnete den Markt für Konkurrenzanbieter, sogenannte Multilateral Trading Facilities (MTF). Diese alternativen Handelssysteme unterliegen etwas weniger strengen Regeln als die klassischen Börsen, was die gehandelten Papiere und die Aufsichtsbestimmungen angeht. So können auch Banken ihre eigenen Handelsplattformen lancieren.

Die Stunde der Banken

Und die Banken ließen sich nicht lange bitten, sondern bliesen umgehend zum Angriff auf die traditionellen Börsen. Im November 2006 kündigten sieben große Investmentbanken, darunter die Deutsche Bank, BNP Paribas und Citigroup, die Entwicklung einer gemeinsamen MTF an. Allein diese Nachricht ließ den Kurs der Londoner Börse zeitweise um fast zehn Prozent einbrechen. Ein Jahr später ging die angekündigte Handelsplattform Turquoise an den Start, fast gleichzeitig mit mehr als 20 ähnlichen Plattformen. Andere waren noch schneller: Schon seit April 2007 werden über die Plattform Chi-X Wertpapiere gehandelt. Haupteigentümer war Instinet, eine Tochter der japanischen Bankengruppe Nomura Holdings.

Die alternativen Plattformen haben die Börsenwelt revolutioniert: Nachdem vierzig Jahre lang die Hauptkonkurrenten der Parkettbörsen die elektronischen Börsen wie Nasdaq oder die 2006 von der New York Stock Exchange übernommene Archipelago waren, setzen die neuen Plattformen jetzt elektronische und Parkettbörsen gleichermaßen unter Druck. Mittlerweile wird fast ein Viertel des öffentlichen Handels in Europa über die beiden größten MTF abgewickelt, Chi-X und die US-Plattform BATS.

Aber neben dem öffentlichen Handel, ob an der Börse oder über MTFs, gibt es noch eine rasant wachsende Parallelwelt: Der sogenannte dunkle Markt. Denn der öffentliche Handel, ob an Börsen oder MTFs, umfasst nur noch etwa die Hälfte aller Geschäfte auf dem europäischen Aktienmarkt - die andere Hälfte läuft dagegen im Verborgenen ab. Das kann in direkten Deals zwischen Käufer und Verkäufer bestehen, dem sogenannten Over-the-Counter-Handel (OTC). Und ein zunehmender Teil des geheimen Handels wird in sogenannten Dark Pools und über Broker-Dealer- oder Crossing-Netzwerke (BDCN) organisiert. Früher gab es diese Plattformen vor allem in den USA - seit die Mifid im Jahr 2007 die Vorherrschaft der regulären Börsen einschränkte, erleben sie weltweit einen Boom.

Für die Beteiligten bedeutet die Diskretion bares Geld: In den Dark Pools etwa, auf die derzeit einer Studie des Frankfurter Wirtschaftswissenschaftlers Peter Gomber zufolge etwa 80 Prozent des verborgenen Plattformhandels in Europa entfallen, müssen die Geschäfte erst nachträglich öffentlich gemacht werden.

Die Frist, während derer der Handel und die Konditionen geheim gehalten werden können, beträgt zwar nur wenige Minuten. Doch in der Zeitrechnung moderner Börsen und automatisierten Handels, bei der es um Mikrosekunden geht, ist das eine halbe Ewigkeit. Mittlerweile gibt es 23 solcher Dark Pools in Europa, die meisten sind an MTFs oder Börsen angegliedert - etwa Chi-Delta an die MTF Chi-X. Auch BATS oder Turquoise bieten Dark-Pool-Handel an.

Und daneben gibt es die fast gänzlich unreglementierten Handelsnetzwerke, die BDCN: Sie bringen einfach Käufer und Verkäufer zusammen, die sich untereinander über einen Deal einig werden - geheim und ohne weitere Regelungen, aber auch ohne jeden gesetzlichen Anlegerschutz. Die größten BDCN-Netzwerke sind Peter Gomber zufolge die Banken-Netzwerke Citi Match und Credit Suisse Crossfinder.

Ursprünglich war der dunkle Handel dazu gedacht, den Effekt von großen Transaktionen auf den Marktpreis abzupuffern, damit etwa der Kurs nicht sofort abstürzt, weil ein Großkunde ein größeres Aktienpaket verkauft. Die durchschnittlichen Größen der gehandelten Aktienpakete in den meisten Dark Pools unterscheiden sich der Gomber-Studie zufolge jedoch nicht mehr wesentlich von der im offenen Markt .

Die Börsen sehen das ungern und verlangen Nachbesserungen - ihnen wird von einer Konkurrenz das Wasser abgegraben, die wenig gesetzlichen Regelungen unterworfen ist. "Die Mifid hat die Broker-Dealer-Netzwerke nach Europa geholt", sagt Andreas Schmidt, Chef der Bayerischen Börse. "Je weniger Umsatz an den regulierten Märkten gemacht wird, desto anfälliger werden dort die Handelspreise für Manipulationen von außen", warnt er.

Transparenz macht den Handel fairer

Aber auch die professionellen Investoren sehen die Entwicklung mit Sorge. Das CFA-Institut, das weltweit Analysten und Investoren vertritt, stellte kürzlich in einer Studie fest, dass mehr Transparenz die Preise stabiler macht und die Differenz zwischen Ankaufs- und Verkaufspreis - den Spread - verringert. Der Analystenverband forderte die Politiker auf, bei der Neufassung der Mifid dafür zu sorgen, dass wieder mehr Transparenz im Handel einkehrt.

Die großen Börsen dagegen versuchen, bei der Entwicklung so weit als möglich dabei zu sein, übernehmen MTFs, wie die Londoner Börse, die vor einem Jahr die Plattform Turquoise kaufte, oder eröffnen ihre eigenen Dark Pools - die Deutsche Börse etwa bietet längst Handel im Verborgenen über Xetra Midpoint an. Aber vor allem diejenigen Börsen, die früher eine Monopolstellung hatten, hat die neue Kräfteverteilung schwer getroffen: Die Londoner Börse etwa musste ihre Preise für Transaktionen seit Auftauchen der alternativen Handelsplattformen um etwa 40 Prozent senken.

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