Süddeutsche Zeitung

Werkswohnungen:Wohnen beim Chef

Unternehmen bauen wieder mehr Unterkünfte für ihre Mitarbeiter. Das erleichtert die Suche nach Fachkräften und hat auch für das Personal Vorteile - sogar der Staat hilft mit.

Von Steffen Uhlmann

Bäcker Häussler im bayerischen Memmingen bäckt nicht nur Semmeln für seine inzwischen 16 Filialen, sondern baut künftig auch Wohnungen auf dem eigenen Firmengelände. Auch Tobias Schmid aus Gauting tut das. Zusammen mit der Gemeinde errichtet der Geschäftsführer des Familienbetriebs Schmid Alarm 18 Wohnungen auf einem firmeneigenen Gelände. Ganze 600 Personalwohnungen gar will das Universitätsklinikum Freiburg errichten. Und in Köln beschäftigen sich die Stadtwerke intensiv mit dem Neubau von Wohnungen für die eigene Belegschaft. Dabei hat das kommunale Unternehmen bereits fast 2000 Wohnungen im Bestand. Drei Beispiele von mindestens 60 anderen privaten wie staatlichen Projekten, die Arnt von Bodelschwingh, Geschäftsführer des Berliner Instituts Regiokontext im vergangen Jahr aufgespürt hat. Der Immobilienberater hatte die Fälle im Rahmen einer Studie zum Thema "Wirtschaft macht Wohnen" untersucht, die Regionkontext nun bereits zum dritten Mal für Verbände und Organisationen der Wohungswirtschaft angestellt hat.

"Wir wissen von etwa 250 Initiativen, die sich über das ganze Land verstreut intensiv mit dem Bau von Mitarbeiterwohnungen beschäftigen", sagt er. Für den Regiokontext-Chef der Beleg für einen Trend, der längst aus seiner Nische heraus ist, aber noch nicht seinen Erfolg dezidiert nachgewiesen hat. Das werde sicherlich noch dauern, sagt Bodelschwingh. "Aber er wird sich über kurz oder lang einstellen. Da bin ich mir sicher."

Bis Ende der Siebzigerjahre gab es 450 000 Werkswohnungen, heute sind es nur noch 100 000

Vor allem die Kombination von zwei Mängeln haben das eigentlich "uralte Thema" Werkswohnungen neu belebt: Viele Unternehmen suchen dringend Fachkräfte, immer mehr Menschen wiederum neben ihrem Job eine bezahlbare Wohnung. Und damit, so Bodelschwingh, bestehe die Chance, zwei Probleme auf einen Schlag zu lösen.

So hat sich das Comeback der alten Werkswohnung in den vergangenen Jahren immer mehr verstärkt. Nicht von ungefähr, fehlen doch in Deutschland eine Million Wohnungen, überwiegend in Großstädten, Ballungszentren und Universitätsstädten. Unternehmen wiederum finden kaum noch Fachkräfte. Das Kölner Institut der Wirtschaft (IW) hat festgestellt, dass zwei von drei Arbeitsplätzen, die eine Berufsausbildung beziehungsweise ein Studium voraussetzen, schwer oder gar nicht mehr besetzt werden können. Und wenn solche Fachkräfte vorhanden sind, fehlt es im Umfeld der Unternehmen fast immer an bezahlbaren Wohnraum. Damit wird Wohnen zum Standortfaktor.

Das Projekt betrieblich vermittelter oder besser noch gestellter Wohnungen für die eigenen Mitarbeiter erlebt "frisch verpackt" eine Renaissance, auch auf dem flachen Land. Ganz bestimmte Wohnungstypen fehlten überall, so Bodelschwingh, etwa Starter- und Single-Wohnungen. Auch möbliertes Wohnen wird stark nachgefragt. Darum bietet etwa die Flughafen München GmbH ein eigenes Personalhotel an, mit Apartments in gestaffelten Komfort- und Preisstufen - Economy, Premium Economy oder Business. "Mitarbeiter-Wohnungen sind nun mal kein exotisches Nischenthema mehr", sagt Bodelschwingh. "Sie können und müssen eine Antwort auf die aktuelle Wohnungskrise sein." Zugleich seien sie für die Arbeitgeber eminent wichtig, glaubt er. "In ihrem Kampf um die besten Köpfe."

Was nun so "modern daherkommt" hat eine lange Geschichte. Schon im 19. Jahrhundert setzte in Deutschland der Werkswohnungsbau ein. Und das vor allem in Bergbauregionen wie dem Ruhrgebiet, wo 1846 die ersten Werkswohnungen von Zechen errichtet wurden. Kurz darauf folgten Stahlunternehmen wie Krupp und Chemiekonzerne wie BASF. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm ihre Bedeutung noch einmal zu. Mit dem Wiederaufbau entstanden bis Ende der Siebzigerjahre etwa 450 000 bezahlbare Werkswohnungen, die in den folgenden Jahrzehnten fast völlig verschwunden sind. Das Gros ist von den Unternehmen mit den Jahren abgestoßen worden. Nach Schätzung von Regiokontext existieren aktuell noch knapp 100 000 davon.

Ulrich Ropertz, langjähriger Geschäftsführer des Deutschen Mieterbundes (DMB), hofft, dass der nun ausgemachte Trend zu Mitarbeiter-Wohnungen helfen werde, vor allem das Defizit an bezahlbaren Wohnungen für Haushalte mit mittleren und unteren Einkommen zu beseitigen. "Mitarbeiterwohnen", sagt er, "ist eine Chance für mehr und vor allem bezahlbare Wohnungen vor Ort." Die Wirtschaft engagiere sich dabei querbeet, sagt Studienleiter Bodelschwingh, "von Handwerksbetrieben bis zu Großkonzernen." Nicht absehen lässt sich allerdings derzeit, ob und wie sich die Corona-Krise auswirken wird.

Volkswagen errichtet in diesem Jahr am Firmensitz Wolfsburg neue Mitarbeiterwohnungen als Teil eines groß angelegten Förderprogramms für qualifizierte Fachkräfte. Die konzerneigene Immobilientochter, die bis in die Siebzigerjahre hinein mehr als 10 000 Wohnungen errichtet hatte und danach über Jahrzehnte hinweg nur noch den Bestand verwaltete, befasst sich seit 2012 wieder mit dem Neubau. Mehr als 160 Wohnungen entstanden bereits, weitere 350 Einheiten sind in Planung. Auch die Deutsche Bahn wird wieder aktiv. Zeitweise gehörten ihr einmal Zehntausende Wohnungen, doch in den Neunzigerjahren wurden Immobilienbestände veräußert. Ein Vierteljahrhundert später besinnt man sich alter Verträge und hat, unter anderem mit dem Wohnungsbaukonzern Vonovia, Belegungsrechte von Wohnungen erneuert sowie neue Verträge dieser Art geschlossen und so erschwinglichen Wohnraum für Zugbegleiter, Lokomotivführer oder Busfahrer und Azubis geschaffen.

Auch Sophie von Saldern, die Personalchefin der Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB), setzt schon seit einigen Jahren auf den Wettbewerbsfaktor Mitarbeiter-Wohnungen. "Gute Fachkräfte sind in Ballungsgebieten wie Köln hart umkämpft", sagt sie. Zudem könne man als kommunaler Arbeitgeber bei Tarifen mit privaten Unternehmen nicht mithalten. Im Vergleich zum freien Markt seien die Mieten der Wohnungen sehr attraktiv. "So bleibt für die Mieterinnen und Mieter aus unserer Belegschaft am Monatsende mehr Netto vom Brutto." Bis 2025 wollen die KVB voraussichtlich 140 Millionen Euro in den Neubau und in die Instandhaltung von Wohnungen investieren.

Ärger mit dem Vermieter könnte auch das Arbeitsverhältnis belasten

Attraktiv sind solche Angebote für Arbeitgeber wie Arbeitnehmer, denn seit Anfang dieses Jahres gelten neue steuerliche Regelungen. Stellt der Arbeitgeber eine Wohnung verbilligt zur Verfügung, dann bleibt der geldwerte Vorteil steuerfrei - vorausgesetzt, der Arbeitnehmer zahlt mindestens zwei Drittel der ortsüblichen Miete, jedoch nicht mehr als 25 Euro pro Quadratmeter.

Das neue Steuergesetz soll helfen, die Errichtung von Werkswohnungen voranzutreiben. "Dazu müssen die Kommunen aber verstärkt Bauflächen ausweisen", fordert Ingeborg Esser, Hauptgeschäftsführerin des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft GdW. Denn der Engpass beim bezahlbaren Bauen und Wohnen bleibe nun mal die Grundstücksvergabe.

Varianten für den Bau und Betrieb von Mitarbeiter-Wohnungen gibt es einige - von Übergangsmieten für die Dauer der Probe- oder Ausbildungszeit bis hin zu unbefristeten Verträgen. Firmen können Wohnungen auf eigenen Grundstücken bauen und sie dann an ihre Mitarbeiter vermieten. Oder der Arbeitgeber mietet bei Immobilienfirmen Wohnungen für seine Beschäftigten an. Schließlich kann er auch Belegungsrechte bei Wohnungsbaufirmen erwerben. Überall aber bleibt klar: Wer beim Chef mietet, bindet sich doppelt. Damit kann Ärger beim Vermieter auch ins Arbeitsleben abstrahlen. Zudem droht beim Jobwechsel unter Umständen der Verlust der Wohnung. Das vermindert die Fluktuation im Unternehmen, wird aber unterschiedlich gehandhabt. Bei den Kölner Stadtwerken etwa bleibt das Mietverhältnis unabhängig vom Arbeitsverhältnis bestehen. Das schafft nicht zuletzt Sicherheit für Rentner. "Sie dürfen", betont Sophie von Saldern, "natürlich in ihren Mitarbeiterwohnungen bleiben."

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Quelle:
SZ vom 27.06.2020
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