Weltkonjunktur:Sparen auf die gefährliche Art

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Die große Gefahr der Krise nach der Krise: Die meisten Industrieländer haben es zu eilig mit dem Abbau von Schulden - und erhöhen sie damit nur.

Nouriel Roubini

Die Konjunkturprogramme, die die meisten Industrie- und Schwellenländer während der Rezession 2008 und 2009 auflegten, haben verhindert, dass aus der großen Rezession eine große Depression wurde. Dies gelang zusammen mit einer Lockerung der Geldpolitik und der Stützung des Finanzsystems. In einer Zeit, in der die private Nachfrage zusammenbrach, hielt der Auftrieb durch höhere staatliche Ausgaben und niedrigere Steuern den freien Fall der Weltwirtschaft auf und schaffte die Grundlage für eine Erholung.

Nouriel Roubini. 52, ist Ökonomie-Professor an der Stern School of Business der New York University. Er warnte bereits im Jahr 2004 vor der US-Immobilienblase. (Foto: AFP)

Leider haben die Konjunkturausgaben, die Rettungspakete für das Finanzsystem und die Auswirkungen der Rezession auf die Staatseinnahmen in den meisten Industrieländern zu riesigen Haushaltsdefiziten geführt. Sie betragen im Schnitt etwa zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Laut Internationalem Währungsfonds und anderen wird die gesamte Schuldenquote dieser Volkswirtschaften bis 2015 auf mehr als 110 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen - im Vergleich zu 70 Prozent vor der Krise. Da die Bevölkerung in den meisten Industrieländern altert, werden die Schulden der öffentlichen Hand langfristig weiter steigen. Denn die Rentenversicherungen sind unvollständig finanziert, und die Kosten im Gesundheitswesen steigen.

Somit müssen die Defizite in den meisten Industrieländern verringert werden, um eine spätere Haushaltskatastrophe zu verhindern. Doch weisen viele Forschungsarbeiten, darunter eine jüngere Studie des Internationalen Währungsfonds, darauf hin, dass Steuer-Erhöhungen und verminderte Ausgaben kurzfristig eine negative Wirkung auf die Gesamtnachfrage haben. Dadurch verstärken sie Tendenzen zu Deflation und Rezession - und untergraben die Haushaltskonsolidierung.

In einer idealen Welt, in der sich Politiker glaubhaft auf mittel- bis langfristige finanzpolitische Anpassungen festlegen würden, bestünde der optimale Weg darin, sich heute zu einem Plan aus Ausgabenkürzung und Steuer-Erhöhung zu verpflichten - und diesen im Laufe der nächsten zehn Jahre schrittweise umzusetzen, während sich die Wirtschaft erholt. Falls die Wirtschaft kurzfristig dann doch noch eine weitere zielgerichtete Konjunkturbelebung bräuchte, würden die Finanzmärkte darauf nicht mit steigenden Finanzierungskosten reagieren.

Leider weicht die derzeitige Etatpolitik in mehreren Industrieländern erheblich von diesem Weg einer glaubhaften mittelfristigen Konsolidierung ab, die eine solche kurzfristige zusätzliche Konjunkturbelebung erlauben würde.

In den USA ist die schlimmstmögliche Lage eingetreten. Auf der einen Seite war Konjunkturbelebung - sogar innerhalb der Regierung Obama - zu einem Schimpfwort geworden, lange bevor der Sieg der Republikaner bei den Kongresswahlen eine weitere Runde bei den Ausgaben vollkommen unmöglich machte. Auf der anderen Seite wird eine mittelfristige Konsolidierung in Amerika angesichts des übertriebenen Gegensatzes der Parteien unmöglich sein. Denn die Republikaner blockieren jede Steuer-Erhöhung, und die Demokraten widersetzen sich einer Reform der staatlichen Leistungen.

Europa und die Finanznot
:Spar! Dich! Reich!

Glücksspiel in Griechenland oder Steuererhöhung in Spanien: Die Euroländer haben alle einen eigenen Weg, um ihre Schulden zu bekämpfen. Ein Überblick in Bildern.

An den Rändern der Euro-Zone herrscht das entgegengesetzte Problem: Sogenannte "Bond vigilantes", Investoren, die als Hüter der Staatsfinanzen auftreten, fordern, dass Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und Italien der Haushaltskonsolidierung Priorität einräumen. Andernfalls liefen deren Kreditkosten aus dem Ruder, sagen sie, was deren Marktzugang gefährden und eine Staatsschuldenkrise auslösen würde. Ihnen ist es egal, dass eine vorgezogene Etatkonsolidierung die Rezession verschärft und so die angestrebte Reduzierung von Schulden und Defiziten fast unmöglich zu erreichen macht.

Um eine anhaltende und destruktive Rezession zu verhindern, sollten die Fiskal- und Strukturreformen, die von den "Bond vigilantes" erzwungen werden, in der Eurozone von anderen politischen Schritten begleitet werden, die Wachstum wiederherstellen und eine verhängnisvolle Dynamik verhindern. Die Europäische Zentralbank sollte die Geldpolitik lockern, um den Wert des Euro zu senken und das Wachstum der Staaten an ihren Rändern aus eigener Kraft zu fördern. Und Deutschland sollte vorübergehend Steuern senken, um das verfügbare Einkommen und die deutsche Nachfrage für die Güter und Dienstleistungen der Randstaaten zu erhöhen.

Doch leider hat keiner der beiden größten Akteure in der Euro-Zone eine Politik beschlossen, die mit der Wiederherstellung von nachhaltigem Wachstum an den Rändern der Euro-Zone im Einklang stünde. Die Geldpolitik der Zentralbank ist zu streng, und Deutschland gibt dem Sparen den Vorrang. Folglich sind die Randstaaten zu einer destruktiven deflationären und rezessiven Politik verurteilt. Dies verstärkt aber nur die Risiken für Rezessionen, Insolvenzen, spätere Zahlungsausfälle und möglicherweise einen Ausstieg aus dem Euro.

In Großbritannien hat die neue Regierung mehrere Gründe für eine frühzeitige Haushaltskonsolidierung genannt: Die "Bond vigilantes" hätten aufwachen können, wären die Sparbeschlüsse nicht früh getroffen worden; das Defizit war sehr groß und der staatliche Sektor aufgebläht; und es ist politisch immer einfacher, harte Schritte gleich nach Amtsantritt durchzusetzen, wenn die Unterstützung der Öffentlichkeit noch groß und die nächste Wahl weit weg ist.

Großbritannien hat sicherlich finanzpolitisch mit dem Feuer gespielt und brauchte eine gewisse Verpflichtung zu frühem Sparen. Doch hätte eine allmählichere Einführung des Sparprogramms ein geringeres Risiko für die Wirtschaft dargestellt, vor allem, wenn gleichzeitig ein glaubhaftes Bekenntnis zur Etatkonsolidierung aufrechterhalten worden wäre. Nun aber könnte die Regierung am Ende ohne Plan B dastehen, falls Plan A - massiv vorgezogene Sparbeschlüsse - zu einer zweiten Rezession führt.

Optimale Sparpolitik würde heißen: die Verpflichtung zur mittelfristigen Konsolidierung zurückstellen, aber glaubhaft die Verpflichtung dazu eingehen. Kurzfristig zusätzliche Konjunkturausgaben bewilligen. Dadurch würde die Möglichkeit einer deflationären und rezessiven Spirale verhindert. Leider folgen die meisten Industrieländer nicht einem solchen Kurs.

© SZ vom 10.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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