Warren Buffett:Der gute Geist fällt aus dem Rahmen

Als bester Investor aller Zeiten erlebt er nun das schlechteste Jahr seines Lebens - ist der Multimilliardär Buffett gerade dabei, seinen Nimbus einzubüßen?

N. Piper

Alle machen Verluste in diesen Tagen, schreckliche Verluste zuweilen. Aber Warren Buffett? Der 78-Jährige aus Omaha im Bundesstaat Nebraska, den viele für den besten Investor der Welt halten, hat 2008 das schlechteste Jahr seiner Karriere erlebt, wie er jetzt in einem Aktionärsbrief mitteilte. Der Gewinn seiner Holding Berkshire Hathaway ist im vierten Quartal praktisch verschwunden, der Buchwert seiner Anlagen ging 2008 um 9,6 Prozent zurück, und der Kurs der Berkshire-Aktie verlor binnen zwölf Monaten 44 Prozent.

Milliardär Buffett

Der Milliardär Warren Buffett leidet unter der Finanz- und Wirtschaftskrise.

(Foto: Foto: dpa)

An derartige Zahlen hat sich die Öffentlichkeit in der Weltrezession gewöhnt. Bei Warren Buffett jedoch horchen auch abgebrühte Börsenprofis auf: Wenn es dem "Weisen von Omaha" so schlecht geht, dann sind die Zeiten wirklich schlimm. Buffett ist so etwas wie der gute Geist des Kapitalismus.

Mit seinen grauen Schlabberanzügen und der Fünfziger-Jahre-Brille hat er sich zu einem Gegenmodell zum Typus des Wall-Street-Bankers entwickelt: Ein Selfmademan aus dem Mittleren Westen, der seit Jahrzehnten in der gleichen, spießigen Nachbarschaft lebt, der sich am liebsten von Hamburgern und Cola ernährt und dabei zeigt, dass man auf anständige Weise Geld verdienen kann, sehr viel Geld sogar. Der Wert von Berkshire Hathaway hat sich seit 1965 von 19 auf 70.530 Dollar erhöht. Seit Jahren teilt sich Buffett den Titel des reichsten Mannes der Welt mit seinem Freund, dem Microsoft-Gründer Bill Gates; zuletzt ist noch der mexikanische Milliardär Carlos Slim zu dem Club dazugestoßen. Den größten Teil seines Vermögens, 2008 waren es 62 Milliarden Dollar, vermachte Buffett mittlerweile der Stiftung von Bill und Belinda Gates.

Woodstock des Kapitalismus

Im Laufe der Jahre hat Buffett rund um seinen Erfolg eine Reihe von Ritualen aufgebaut. Dazu gehört vor allem die Jahreshauptversammlung von Berkshire Hathaway, die immer am ersten Wochenende im Mai stattfindet und sich zu einer Art Woodstock des Kapitalismus entwickelt hat. Über zehntausend Buffett-Fans versammeln sich alljährlich im Qwest Center, der großen Sporthalle von Omaha, um den Ausführungen des Meisters zu lauschen. Die Aktionäre kommen aus allen Ecken der USA und zunehmend auch aus dem Ausland. Besonders groß ist die Buffett-Gemeinde in Deutschland.

Teil des Rituals ist auch Buffetts Brief an die Aktionäre, der immer im Februar auf die Internetseite von Berkshire Hathaway gestellt wird. Letztere ist ungefähr so altmodisch wie Buffetts Brille und besteht aus Buchstaben, Zahlen, Weißflächen und sonst nichts. Der Brief selber - er hat in diesem Jahr 22 Seiten - ist eine eigentümliche Mischung aus harten Finanzinformationen, dem Bekenntnis eigener Fehler, kleinen Bösartigkeiten über die Konkurrenz an der Wall Street und Grundsatzüberlegungen zum Zustand der Welt. Sein größter Fehler war es, so schreibt er, auf dem Höhepunkt des Rohstoffbooms im vorigen Jahr große Mengen der Ölgesellschaft ConocoPhillips gekauft zu haben, was Berskhire "wahrscheinlich mehrere Milliarden Dollar" gekostet haben dürfte. Ein anderer Fehler: Er kaufte für 244 Millionen Dollar zwei kleinere Banken im krisengeschüttelten Irland. Sie sind heute noch 27 Millionen Dollar wert.

Der gute Geist fällt aus dem Rahmen

Ein Buffett-Brief wäre aber nicht komplett ohne ein Fülle von farbigen, leicht zitierbaren Sätzen. Mit Blick auf die Praktiken an der Wall Street postuliert er das "Erste Gesetz des Überlebens für ehrgeizige Chefs". "Durchschnittliche Inkompetenz reicht nicht, man muss die Dinge auf komplett irre Weise in den Sand setzen." Ganz am Anfang des Briefes gibt es eine Passage, die selbst für Buffett ungewöhnlich blumig und zart ist. Am Ende des vorigen Jahres, so schreibt er, seien die Anleger "blutig und verwirrt gewesen, so wie Vögelchen, die sich in ein Badminton-Spiel verirrt haben".

Kauzigkeiten zum Seelenschutz

Die Vermutung ist nicht allzu weit hergeholt, dass Buffett mit diesem Satz ein wenig Einblick in seine eigene Seele gegeben hat. In der Regel schützt er diese Seele durch allerlei Kauzigkeiten, im vorigen Jahr jedoch erschien die erste autorisierte Biographie des Investors, und die erlaubte erstmals einen Blick hinter die Fassade. Buffett wuchs auf als ein äußerst verletztes Kind, von der eigenen Mutter abgelehnt, für das der Umgang mit Zahlen und mit Geld ein innerer Halt war, ein Weg, um Angst und Minderwertigkeitskomplexe zu überwinden. Man kann nur ahnen, was Marktverhältnisse wie diese Buffetts Inneres aufwühlen.

Wird der Meister jetzt seinen Nimbus verlieren? Vermutlich nicht, denn seine Zahlen sind, so schlecht sie auch sein mögen, immer noch besser als im Rest der Wirtschaft. Berkshires Versicherungsgeschäft ist krisenfest, und seine Holding hat als eines der wenigen US-Unternehmen die höchste Stufe der Kreditwürdigkeit. Noch immer blicken die Amerikaner nach Omaha, wenn sie nach Vertrauen suchen. Vorigen September, nach dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers, stieg Buffett mit Milliarden Dollar bei Goldman Sachs ein und stabilisierte so die extrem gefährliche Lage auf den Finanzmärkten.

Zeitweise wurde sogar spekuliert, Buffett werde Finanzminister unter Präsident Barack Obama werden. Das war zwar von vorneherein Unsinn, es zeigt aber, welche Rolle der Mann aus Omaha immer noch hat. Denn tatsächlich ist Buffett jetzt informeller Berater des Präsidenten. Einiges von dem , was er zur allgemeinen Lage sagt, ist vor diesem Hintergrund tief beunruhigend: Die Wirtschaft werde für den Rest des Jahres miserabel laufen, möglicherweise sogar darüber hinaus. Wegen der Milliarden, die die Regierungen in die Banken pumpen, drohe vor allem ein massiver Anstieg der Inflation. Aber, auch das ist Buffett, plötzlich liest sich sein Aktionärsbrief dann doch wie eine Obama-Rede: "Amerikas besten Tage liegen noch vor uns", schreibt er. Bis jetzt scheinen ihm die Amerikaner zu glauben.

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