Süddeutsche Zeitung

Wall Street:Crashgefahr Börse - nur das Licht ist schneller

Computer haben die Macht übernommen - und im Mai die Kurse an der Wall Street fallen lassen. Jeder Meter Kabel weniger hilft den Händlern, sagt Eric Hunsader. Auf ihn hört die US-Börsenaufsicht.

Bastian Brinkmann

New York an einem Donnerstag im Mai. An der Wall Street schreien die Börsenhändler übers Parkett, alles ist wie immer. Kurse gehen hoch, Kurse gehen runter. Doch um 14:42 Uhr und 43 Sekunden kommt der Schock. In einem Augenblick fällt der Dow Jones um tausend Punkte, einzelne Aktienkurse verlieren fast ihren gesamten Wert. Die Börse spielt verrückt. Seither gibt es wüste Spekulationen über die Ursache.

Monate später haben die Ermittler der US-Börsenaufsicht am Wochenende einen Bericht vorgelegt: Zehntausende Transaktionen, die ein Investmentfonds in kurzer Zeit ausgeführt habe, stürzten demnach die Börse ins Chaos, die bereits durch die Griechenlandkrise verunsichert war. Eric Hunsader, 48, war einer der Ersten, der die Algorithmen identifizierte, die automatisierten Kauf- und Verkaufsbefehle, die die Krise auslösten. Der Programmierer ist Besitzer der Firma Nanex, die Börsendaten analysiert und auf deren Daten sich die US-Börsenaufsicht stützt. Er und seine Mitarbeiter untersuchen, wie sogenannte Hochfrequenz-Händler in Lichtgeschwindigkeit Aktien umherschieben.

sueddeutsche.de: Herr Hunsader, kann nur noch ein Programmierer die Börse verstehen?

Eric Hunsader: Zumindest kurzfristig kann er das tatsächlich besser als ein Ökonom. Denn die Wirtschaft spielt an der Börse nur mittelbar eine Rolle. Zunächst geht es darum, Angebot und Nachfrage der Händler zusammenzubringen. Das ist nur eine Frage der Technologie. Die Ökonomen kommen erst wieder ins Spiel, um die langfristigen Trends zu analysieren.

sueddeutsche.de: Ist die Wall Street zu einer Bit Street geworden, an der die Computer regieren?

Hunsader: Bit Street, absolut. Eigentlich ist die Börse nur ein Bitstream, wo digitale Informationen fließen. Ich habe schon 1986 Algorithmen für den elektronischen Handel geschrieben. Aber die hatten damals keinen großen Einfluss auf das Börsengeschehen. Erst seit etwa zwei Jahren hat sich das geändert, weil der Hochfrequenz-Handel massiv zunimmt.

sueddeutsche.de: Der Hochfrequenz-Handel macht in New York mittlerweile 60 Prozent der Transaktionen aus und kann Aktien in Millisekunden anbieten und verkaufen, also im Bereich von Tausendstel-Sekunden. Wo ist da die Grenze?

Hunsader: Eigentlich nur die Lichtgeschwindigkeit. 50 Millisekunden braucht das Licht, um von New York nach Kalifornien und wieder zurück zu kommen. Doch die Realität ist schneller. Am Tag des Börsencrashs wurden nach unseren Daten fast die Hälfte der Anfragen in weniger als 50 Millisekunden abgegeben. Danach wurde diskutiert, dass manche Handelsfirmen Vorteile haben, allein weil ihre Computer näher an der Börse stehen, und sie damit die Signale früher empfangen. Die New Yorker Börse hat deswegen für 500 Millionen Dollar einen neuen Datenserver gekauft. Jetzt verlangen sie von jeder Firma, dass sie ein etwa 300 Meter langes Kabel zu ihnen legt - unabhängig davon, wie nah ihre Rechner stehen. Weil die Kabel dann für jeden gleich lang sind, hat jeder die Infos zur selben Zeit, etwa nach einer Millionstel Sekunde. Börsenaufsicht ist hier zur Aufgabe von IT-Ingenieuren geworden.

sueddeutsche.de: Hat die unterschiedliche Distanz zur Börse am Tag des Kurseinbruchs zum Chaos beigetragen?

Hunsader: Absolut. Etwas früher zu wissen, ist ein großer Vorteil. Der US-Sender CNBC hat zum Beispiel zum Zeitpunkt des Crashs berichtet, dass die Aktie von Procter & Gamble auf 20 Dollar gefallen war, auf ein Drittel des jetzigen Werts. "Das würde ich bei dem Preis sofort kaufen", sagte der Moderator. Aber das Problem war: Das Fernsehen zeigte Informationen von vor einer Minute - total veraltet. Der Chart war da schon wieder auf dem Weg nach oben.

sueddeutsche.de: Wie konnte es dazu komment? Was ist am 6. Mai 2010 in New York passiert?

Hunsader: Kurz vor dem Crash kamen auf auf einen Schlag derart viele Anfragen an die Server der New Yorker Börse, dass das System unter dem Datenverkehr zusammengebrochen ist. (Offenbar vom Investmentfonds Waddell & Reed Financial, wie der Untersuchungsbericht der Börsenaufsicht ergeben hat; Anm. d. Red.) Das hat dazu geführt, dass weitere Anfragen verzögert wurden, um bis zu 24 Sekunden. Die Lage wurde schlimmer und schlimmer - wie bei einem Schneeball, der den Abhang hinunterrollt und immer größer wird. Auf manchen Handelsplätzen spielten sich Abnormalitäten ab, es wurden Tausende Angebote gleichzeitig zu einem irrwitzig geringen Preis gemacht. Plötzlich gab es auf unterschiedlichen Plattformen unterschiedliche Preise, was manche Algorithmen automatisch ausnutzten. So wurde die Krise verschärft. Dieser Zustand dauerte etwa vier Minuten. Zu diesem Zeitpunkt wusste keiner, was da gerade abging.

sueddeutsche.de: Und wie haben Sie herausbekommen, was passiert war? Wie rekonstruiert man einen Börsencrash?

Hunsader: Wir archivieren und analysieren die Handelsdaten jeden Tag, Sekunde für Sekunde, das ist unser Geschäft. Deswegen haben wir einfach den 6. Mai im Computermodell nachgespielt, um nach Unregelmäßigkeiten zu gucken. Mehr als 1000 Mal haben wir den Crash nachgestellt. So konnten wir die Zusammenhänge aufzeigen zwischen Futures, Optionen und Indizes. Die Ergebnisse haben wir auf unsere Website gestellt und auch an die Börsenaufsicht weitergeleitet.

sueddeutsche.de: Da helfen sie also, die Maschinen. Ohne Computer wäre der Handel an der Börse doch lange nicht so effizient, oder?

Hunsader: Klar ist die Börse heute effizienter. Menschen reagieren einfach viel langsamer. Wenn Sie beispielsweise Auto fahren und es springt ein Hirsch auf die Straße - bis Sie auf die Breme treten, vergehen erst mal mindestens 200 Millisekunden, um das Tier wahrzunehmen. Software könnte das locker innerhalb einer Millisekunde schaffen.

sueddeutsche.de: Wenn die Algorithmen so mächtig sind - wie kann man sie zähmen? Welche Regulierung ist notwendig?

Hunsader: Die bestehende Regulierung deckt eigentlich die meisten Missbräuche ab, die wir beobachtet haben. Die Börsenaufsicht müsste nur durchgreifen und ein Exempel statuieren.

sueddeutsche.de: Eine Strafe könnte ja aber immer erst greifen, wenn es schon zu spät ist. Eine Kontrolle in Echtzeit ist also nicht möglich?

Hunsader: Nein. Dafür gibt es nur die sogenannten Circuit Breakers, die sich automatisch einschalten, wenn Kurse dramatisch fallen, damit der Handel ausgesetzt wird. Die wurden nach dem Schwarzen Montag 1987 eingeführt.

sueddeutsche.de: Vom Mai-Crash hat sich die Börse relativ schnell wieder erholt. Warum?

Hunsader: Dieser Absturz war nicht durch eine Wirtschaftskrise ausgelöst worden. Da sind unglückliche Umstände zusammengekommen. Die Händler waren nervös wegen Griechenland, dann war der Informationsfluss gebremst. Dieser Crash war nicht so schlimm wie jene 1929 oder 1987. Im Nachhinein betrachtet, hatte der Markt nur ein kleines Problem mit der modernen Technologie.

sueddeutsche.de: Aber könnte es auch passieren, dass solche Computerprobleme eine veritable Krise auslösen?

Hunsader: Klar, wenn die Börse sich nicht erholt, und der Kurs unten bleibt. Da müssten dann aber auch handfeste wirtschaftliche Probleme dazukommen, richtig miese Nachrichten beispielsweise. Börsenturbulenzen, die allein technischer Natur sind, schaffen das von selber nicht. Die Börse reflektiert eher, wie es um die Wirtschaft steht. Sie ist weniger ein Motor der Wirtschaft.

sueddeutsche.de: Wie wahrscheinlich ist es, dass sich so ein Crash wiederholt?

Hunsader: Die Menschen lernen schnell. Das nächste Mal, wenn die Kurse so einstürzen, werden Händler die Gelegenheit beim Schopfe packen - und billig auf Einkaufstour gehen.

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