Währungsumstellung:Die D-Mark im Kopf

Ein Finanzpsychologe sagt: "Wer heute noch umrechnet, macht es sein Leben lang." Zehn Thesen, warum sich die Deutschen so schwertun, ihre alte Währung zu vergessen.

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Die Szene im Restaurant spielt sich regelmäßig ab. Der Münchner Thomas N. sitzt vor der Speisekarte und sagt nach einiger Zeit des nachdenklichen Lesens: "Bah, ist das teuer. 4,50 Euro für ein Glas Wein. Das sind ja neun Mark." Er beschließt darauf, ein Bier für 3,50 Euro zu bestellen, ahnend, dass er damit nicht viel besser fährt. Schließlich sind das sieben Mark.

Vor mehr als sechs Jahren, am 1. Januar 2002, wurde der Euro als Bargeld eingeführt, und noch immer rechnen viele Deutsche in D-Mark um - egal, ob im Restaurant, beim Bäcker oder beim Autokauf. Warum ist das so? Wirtschafts- und Finanzpsychologen haben sich darüber Gedanken gemacht. Die SZ fasst ihre Erkenntnisse in zehn Thesen zusammen. Von Harald Freiberger

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1 Jeder Zweite rechnet um

Der Kölner Volkswirt und Finanzpsychologe Guido Kiell hat sich das anders vorgestellt. "In ein bis zwei Monaten, spätestens in einem halben Jahr, werden wir die Preise in Euro beurteilen, so wie jetzt in Mark", hatte er beim Start des Euro gesagt. Heute weiß er, dass er sich gründlich getäuscht hat. "Ich schätze, dass immer noch ein Drittel der Bundesbürger regelmäßig Preise von Euro in D-Mark umrechnen", sagt er.

Alfred Gebert, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Universität Münster, glaubt sogar, dass mehr als jeder zweite Deutsche die D-Mark ständig im Kopf hat. Er kann das auch statistisch belegen: Seit der Euro eingeführt wurde, befragt Gebert immer wieder stichprobenartig 30 bis 40 Studenten oder ältere Teilnehmer seiner Seminare.

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2 Ältere rechnen häufiger um

Die Quote derer, die noch in D-Mark umrechnen, steigt kontinuierlich mit dem Lebensalter. Die Haupterkenntnis von Gebert: "Unter 30-Jährige rechnen fast nie in Mark um, bei den 30- bis 40-Jährigen geht es dann los."

Häufig sei es abhängig von der Bildung. Je gebildeter, umso weniger greifen die Leute auf die D-Mark zurück. "Bei den über 80-Jährigen ist es ganz auffällig, sie sagen sogar meist Mark, wenn sie den Euro meinen", hat Gebert erkannt.

Kollege Kiell hat eine entwicklungsgeschichtliche Erklärung dafür: "Mit zunehmendem Alter sinkt zwar nicht die Fähigkeit, Neues zu lernen, aber die Motiviation, sich mit Neuem auseinanderzusetzen", sagt er. Junge Menschen sind nach den Lehren der Evolution aufgeschlossener für Neues, weil sie sich ihren Platz in der Gesellschaft sichern müssen, um Nachkommen in die Welt zu setzen.

"Ist die Weitergabe des genetischen Materials abgeschlossen, geht es mehr um das Hüten und Bewahren, um Sicherheit, deshalb sind ältere Menschen automatisch weniger dafür aufgeschlossen, sich umzustellen", sagt Kiell.

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3 Die D-Mark ist tief in uns verankert

Je älter ein Bundesbürger ist, umso länger hatte er Zeit, ein inneres Bezugssystem zur D-Mark aufzubauen. "Man stellt in jungen Jahren automatisch eine Verbindung zwischen Produkten und Preisen her", sagt der Frankfurter Wirtschaftspsychologe Henning Haase. Diese Preise sind oft ein Leben lang im Kopf verankert. So wissen ältere Menschen häufig noch nach Jahrzehnten, dass eine Breze in ihrer Kindheit 15 Pfennig kostete oder ein VW-Käfer 6000 Mark. "Es ist nicht verwunderlich, dass

Menschen umso stärker auf ihr inneres Bezugssystem zurückgreifen, je älter

sie sind", sagt Haase. Ähnlich Dieter Frey, Professor für Sozialpsychologie an der Universität München: "Wer lange mit der D-Mark sozialisiert wurde, wird immer eine zusätzliche Reflexion in seiner ersten Währung darüber anstellen, ob etwas teuer oder billig ist."

Foto: Die ersten DM-Scheine, die in der Bundesrepublik Deutschland ab dem 21. Juni 1948 im Zuge der Währungsreform gültig waren / dpa

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4 Die Falle mit der Inflation

Das Tückische am Umrechnen ist, dass man damit in die D-Mark-Falle tappt. Denn die alte Währung gibt es seit sechs Jahren nicht mehr; alle Preise, die man noch in D-Mark im Kopf hat, sind auf dem Stand von 2001 eingefroren. Inzwischen aber hat die Inflation ihre Wirkung getan, die zuletzt auf mehr als drei Prozent gestiegen ist. Das heißt: "Die Preise wären auch teurer, wenn es die D-Mark noch gäbe", sagt Wirtschaftspsychologe Haase. "Wer in der D-Mark-Zeit groß geworden ist, bezieht sich häufig auf Preise, die gar nicht mehr Realität sind."

Der Teilnehmer eines Diskussionsforums im Internet hat das messerscharf erkannt: "Der Brotpreis ist von 1950 bis 1998 um das Achtfache gestiegen, und das in Zeiten der D-Mark", schreibt er. "Hätten wir jetzt immer noch die D-Mark, wäre das Brot dann genauso teuer wie 1998?"

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5 Die Falle mit dem Fortschritt

Auch der technologische Fortschritt führt leicht zu einer Täuschung beim Umrechnen. Haase nennt ein Beispiel: "Die Leute sagen sich, ein VW Golf für 25.000 Euro, das sind ja 50.000 Mark, mein erster Golf vor 30 Jahren hat noch 25.000 Mark gekostet."

Dabei vergäßen sie aber, dass der Golf mit jeder Entwicklungsstufe größer und technisch ausgefeilter geworden ist; die beiden Autos seien nicht mehr vergleichbar.

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6 Teures wird öfter umgerechnet

Es fällt auf, dass viele Deutsche die D-Mark vor allem dann ins Spiel bringen, wenn sie etwas übermäßig teuer finden. "Gerade dann, wenn man sich wundert, ob etwas zu teuer ist, fragt man, was das eigentlich in D-Mark war", sagt Professor Frey. Die Rückversicherung zur D-Mark gebe ein Gefühl der Urteilssicherheit.

Laut einer Theorie von Leon Festinger strebe der Mensch nach Klarheit darüber, ob er eine richtige Meinung oder ein richtiges Urteil habe. Die D-Mark werde dabei zum Ankerpunkt für die eigene Sicherheit.

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7 Die Legende vom Teuro

Die Euro-Teuro-Diskussion begann in Deutschland gleich nach Einführung des Euro und ist bis heute nicht abgeschlossen. Viele Bundesbürger hatten das Gefühl, dass die Preise mit der Währungsumstellung in die Höhe schossen.

Das Sonderbare: Die Statistiker konnten derartiges nicht bestätigen, die Inflationsrate verharrte über Jahre unter zwei Prozent, so wie zu D-Mark-Zeiten auch. Erst 2007 hat die Inflation einen Sprung gemacht, vor allem, weil Energie und Lebensmittel teurer wurden.

Bald kam das Wort von der "gefühlten Inflation" auf. "Das ist wie in der Meteorologie", sagt Psychologie-Professor Haase. "Dort kann die gemessene Temperatur auch von der gefühlten abweichen, je nachdem, wie stark Luftfeuchtigkeit oder Wind sind."

Übertragen auf die Inflation bedeutet das: Produkte des täglichen Bedarfs, die man stärker wahrnimmt, wurden nach 2002 besonders teuer, so Frischwaren, Kino-Eintrittskarten, Dienstleistungen oder der Gaststättenbesuch. Größere Posten wie das Auto oder die Miete verteuerten sich dagegen weniger stark oder wurden sogar billiger - siehe Computer oder Flachbildschirmfernseher.

Fasst man alle Produkte zusammen, ergibt sich daraus eine relativ niedrige Inflationsrate, die nur höher gefühlt wird - "zumal der Mensch das Negative, also den gestiegenen Preis, stärker wahrnimmt als das Positive, also den gleich bleibenden oder sinkenden Preis", sagt Haase.

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8 Das Umrechnen ist zu einfach

Eine Besonderheit erleichtert es Deutschen, an der D-Mark festzuhalten: der praktische Umrechnungskurs. Man braucht den Euro-Preis nur mal zwei zu nehmen, schon hat man vermeintlich den alten D-Mark-Preis. "In anderen Ländern ist die Umrechnung wegen der krummen Beträge viel schwieriger", sagt Wirtschaftspsychologe Gebert.

Die Österreicher zum Beispiel müssten den Euro mit dem Verhältnis von 1 zu 13,7603 in Schilling umrechnen - eine Prozedur, die vielen zu kompliziert ist. Deshalb waren die Österreicher von Anfang an stärker gefordert, ein Gespür für Preise in Euro zu entwickeln.

Foto: Entwertete Schillingmünzen / dpa

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9 Die Falle mit der Mathematik

Übrigens geraten die Bundesbürger beim Umrechnen auch in eine mathematische Falle. Eigentlich beträgt der Umrechnungskurs nämlich nicht 1 zu 2, sondern nur 1 zu 1,95583.

Das bedeutet: Wer 1 zu 2 umrechnet, schlägt auf den eigentlichen Preis pro Euro exakt 0,04417 Pfennig drauf. Das entspricht immerhin einem Plus von 2,26 Prozent. Auch dies trägt zur stärker gefühlten Inflation bei.

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10 Endgültig stirbt die D-Mark erst um das Jahr 2080 herum

Wann wird der letzte Deutsche die Mark vergessen haben? "Ich glaube, dass das eine Generationenfrage ist", sagt Haase. "Endgültig nicht mehr in D-Mark umrechnen werden nur jene, die sie nicht mehr bewusst kennengelernt haben, also die nach 1990 bis 1995 Geborenen."

Erst wenn diese Generation ausgestorben ist, wird die D-Mark nicht mehr in den Köpfen der Deutschen spuken, also um das Jahr 2080 herum. Finanzpsychologe Kiell ist überzeugt: "Wer heute noch in D-Mark umrechnet, der wird es sein Leben lang machen."

Foto: ddp SZ vom 19./20.4.2007/gal

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