Währungsraum in der Krise:Der Euro braucht einen Befreiungsschlag

Die Abschaffung des Euro wird leichthin gefordert, doch sie wäre überhaupt nicht sinnvoll. Vielmehr benötigt Euroland eine koordinierte Finanz- und Wirtschaftspolitik.

Rudolf Hickel

Die derzeit notleidenden Mitgliedsländer, für die Rettungsschirme aufgespannt worden sind, lassen eine tiefgreifende Krise des Eurolandes erkennen. Mit einer explosiven Mischung aus hysterischen Spekulationen gegenüber Mitgliedsländern mit exzessiven Defiziten, Hilfen aus den Notfonds sowie fiskalischen Notprogrammen, die die Gesamtwirtschaft in den Krisenstaaten endgültig in die Knie zwingen, gerät der Euro-Raum immer tiefer in die Krise.

60 Jahre Bundesrepublik - Euro

Euroland steckt in einer tiefgreifenden Krise, die aber bewältigt werden könnte.

(Foto: dpa)

In diesem unkontrollierten Treiben nimmt der Druck auf einzelne Krisenstaaten zu, aus dieser Währungsunion auszusteigen und zu ihrer nationalen Währung zurückkehren zu müssen. Nachdem schließlich noch Frankreich und Italien erfolgreich als Krisenländer vor allem durch Spekulanten getestet worden sind, könnte am Ende das Euroland auf den alten D-Mark-Block mit Deutschland, Österreich und den Niederlanden schrumpfen. Diesem Kerneuroland stünden die aus dem Währungsverbund entlassenen Länder gegenüber. Ein neues Nord-Süd-Gefälle wäre vorprogrammiert.

Zumindest als Ultima Ratio ist die Sehnsucht der Radikalkritiker um Wilhelm Hankel nach der D-Mark und damit der Vorherrschaft der Deutschen Bundesbank über die anderen Notenbanken in Europa unüberhörbar. Der Verweis auf ein wiederbelebtes "Europäisches Währungssystem", mit dem die Wechselkurse der künftig ausgeschlossenen Mitgliedsländer an den Euro gebunden werden könnten, bietet keinen Trost.

Radikalkritiker betonen nur die Kosten

In diesem Streit fällt auf, dass die Radikalkritiker oftmals nur vermeintliche Kosten des Euros betonen. Völlig ausgeklammert bleiben die Bewertung der Vorteile dieser Gemeinschaftswährung sowie vor allem die Opportunitätskosten, also die Nachteile eines Rückfalls in nationale Währungen.

Im elften Eurojahr lassen sich durchaus Erfolge auflisten: Trotz vieler Befürchtungen, der Euro werde zum Teuro, hat sich der Geldwert überraschend stabil entwickelt. Jean-Claude Trichet, der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), hob unlängst die vergleichsweise niedrige Inflationsrate von 1,97 Prozent im Durchschnitt der letzten zehn Jahre hervor.

Auch hat sich der Wechselkurs des Euro gegenüber anderen Währungen gut positioniert. Der anerkannte Außenwert hat den Euro in den Status einer weltweit anerkannten Anlagewährung gehievt. Schließlich ist durch den einheitlichen Euroraum den früheren Spekulanten gegen einzelne Währungen ein gigantisches Geschäftsfeld entzogen worden.

Die Spekulationswucht, die eine noch existente D-Mark in der letzten Finanzmarktkrise durchlitten hätte, wäre nicht nur für die exportierende Produktionswirtschaft zur schweren Last geworden. Die Kritiker der Eurounion setzen auf eine unglaublich naive Vorstellung der segensreichen Wirkungen der Wechselkurse zur Steuerung außenwirtschaftlicher Ströme. Die primitive Kaufkraftparitätentheorie schimmert durch. Dass heute Devisen mit einem täglichen Umsatz von 3,9 Billionen US-Dollar zu 95 Prozent nur noch spekulativ veranlasst werden, entgeht den Vertretern einer antiquierten Wechselkurstheorie.

Bei Rückkehr zur D-Mark Aufwertung um 40 Prozent

Ein Beispiel: Behauptet wird, durch die Abwertung der Drachme würde die griechische Exportwirtschaft erblühen. Wie soll das bei einer kaum vorhandenen Exportwirtschaft funktionieren? Dieses D-Mark-Denken trifft für strukturell exportschwache Länder nicht zu. Dazu müssen vielmehr Instrumente der Wirtschaftsstruktur- und insbesondere der Industriepolitik eingesetzt werden.

Rudolf Hickel

Der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel ist Professor für Finanzwissenschaft und Direktor am Institut für Arbeit und Wirtschaft (IAW) an der Universität Bremen.

(Foto: picture-alliance/ dpa/dpaweb)

Die deutsche Exportwirtschaft, die über 43 Prozent der Exporte in die anderen Mitgliedsländer liefert, profitiert vom Euro. Bei einer Rückkehr zur D-Mark wäre mit einer Aufwertung um bis zu 40 Prozent zu rechnen. Die Folgen für die Export- und Binnenwirtschaft sind klar. Zum Ausgleich der Verluste an internationalen Preisvorteilen würde eine restriktive Lohnpolitik, die am Ende die Binnenwirtschaft belastete, propagiert.

Zur Rettung des Eurolandes ist ein Befreiungsschlag, ein Pakt zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion ökonomisch sinnvoll und notwendig. Orientierung bietet der von Jacques Delors 1989 vorgelegte Bericht zu einer Währungs- und Wirtschaftsunion.

Mit dem Schutzschirm, der über ein Gesamtvolumen einschließlich des Internationalen Währungsfonds von 750 Milliarden Euro verfügt, ist die Illusion vom Nichtauftreten solcher Länderkrisen im Maastrichter Vertrag beendet worden. Gebraucht wird ein "Europäischer Krisenmechanismus" mit einer Insolvenzordnung für notleidende Staaten. Dazu gehört auch eine präventive Regelung zur Beteiligung von Gläubigern mit Staatsanleihen durch Teilverzichte im Krisenfall. Vorgeschlagen wird der Einsatz gemeinsam durch die EU aufgelegter Anleihen. Diese Euro-Bonds (blue bonds) sollten im Normalfall für ein Mitgliedsland auf die geltenden Schuldenregeln begrenzt werden.

Koordinierte Finanzpolitik notwendig

Monetäre Hilfen aus den Rettungsfonds für notleidende Mitgliedsländer müssen mit einem Programm zur Stärkung deren Wirtschaft verbunden werden. Die Beispiele Griechenland und Irland zeigen, dass die verordneten drakonischen Maßnahmen zum Abbau öffentlicher Schulden die Gesamtwirtschaft belasten und am Ende mangels Sanierung der Wirtschaft zu zusätzlichen Staatsschulden führen.

Die vergangenen Jahre zeigen, dass die einheitliche Geldpolitik der EZB im Währungsraum unterschiedlich in den Mitgliedsländern wirkt. In Spanien und Portugal fiel der EZB-Leitzins wegen der inflationären Situation zu niedrig aus. In Deutschland wurde die gesamtwirtschaftliche Entwicklung infolge einer zu teuren Liquiditätsversorgung vor der Finanzkrise belastet. Die Antwort ist klar: Eine einheitliche Zinspolitik im Euroraum verlangt eine stärkere Koordination der Finanzpolitik.

Zur koordinierten Finanzpolitik gehört auch eine Harmonisierung der Unternehmensteuern in den Mitgliedsländern. So hat Irland mit einem vergleichsweise niedrigen Körperschaftsteuersatz für Unternehmen von 12,5 Prozent die ökonomische Integration und letztlich den Euro belastet.

Der Abbau von Außenhandelsungleichgewichten zwischen den Mitgliedsländern steht auf der Agenda wirtschaftspolitischer Koordination. Hierbei stehen die massiven Handelsbilanzüberschüsse Deutschlands im Blickfeld. Denn durch diese wird in den importierenden Ländern heimische Produktion verdrängt.

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