Süddeutsche Zeitung

Vor Sondergipfel zur Griechenland-Krise:Die Rufe nach einem Schuldenerlass werden lauter

Vor dem nächsten Krisengipfel zu Griechenland wächst der Druck auf die 17 teilnehmenden EU-Staaten: Immer mehr Experten sehen den Schuldenschnitt als einzigen Ausweg aus der Misere. Das jetzige Krisenmanagement gleiche einem Schildkrötenrennen, kritisieren Beobachter - und fordern eine Urlaubssperre für die Regierungschefs, sollte nicht bald eine Entscheidung fallen.

Am kommenden Donnerstag werden sich die Staats- und Regierungschefs der 17 Euro-Länder zu einem weiteren Krisengipfel treffen. Ihre Aufgabe ist gleich geblieben: Es gilt, die Märkte zu beruhigen und die Gemeinschaftswährung zu retten. Kaum hatte EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy am vergangenen Freitag die Einladungen verschickt und die Finanzminister gebeten, bis zu dem Treffen Beschlüsse auszuarbeiten, meldeten sich Experten und Politiker zu Wort: Der Ruf nach einem Erlass griechischer Schulden wird immer lauter.

Der Wirtschaftsweise Wolfgang Franz sagte dem Magazin Focus, er halte einen Schuldenschnitt letztlich "für unausweichlich". Allerdings müsse er so gestaltet werden, "dass daraus für die Euro-Zone kein Desaster erwächst". Eine Möglichkeit bestünde darin, "dass der derzeitige Euro-Rettungsschirm EFSF griechische Staatspapiere mit einem gehörigen Abschlag in von ihm ausgegebene und garantierte Anleihen umtauscht". Einerseits wäre dann ein Schuldenschnitt - also ein teilweiser Schuldenerlass - realisiert, andererseits verfügten Banken und Versicherungen dann über Wertpapiere mit bester Bonität.

Eine etwas andere Lösung wird derzeit in Brüssel diskutiert: Demnach könnte der Rettungsschirm künftig direkt Staatsanleihen von Griechenland kaufen. Van Rompuy hatte die Konferenz der 17 Staats- und Regierungschefs bereits in dieser Woche abhalten wollen. Doch insbesondere Deutschland war auf die Bremse getreten. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte darauf gepocht, dass das neue Griechenland-Programm erst entscheidungsreif sein müsse. Auf der anderen Seite hatten Griechenland und Spanien zur Eile gedrängt. Ein harter Schuldenschnitt gilt unter den EU-Diplomaten derzeit als unwahrscheinlich.

Gefordert wird dieser etwa vom haushaltspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider. "Mit einem Schuldenschnitt und Forderungsverzicht von 40 bis 50 Prozent wäre auch ein substantieller Beitrag der privaten Gläubiger gewährleistet", sagte er Handelsblatt Online. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, unterstützte den Vorschlag von Commerzbank-Chef Martin Blessing, dass die Gläubiger Griechenlands auf 30 Prozent ihrer Kredite verzichten sollten. "Wer die Sicherheit bekommt, 70 Prozent seiner Forderungen durchsetzen zu können, steht besser da, als wenn er ein noch größeres Ausfallrisiko zu befürchten hat", sagte Oppermann der Neuen Osnabrücker Zeitung.

Mehrere deutsche abgeordnete des Europaparlaments drängen die Politiker der schwarz-gelben Koalition zur Eile. "Kein Regierungschef darf jetzt in Urlaub fahren", sagte der deutsche Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff (FDP) der Welt. Die Krise werde "schlimmer, je länger gewartet wird."

Der CSU-Europaparlamentarier Markus Ferber sagte dem Blatt: "Die EU darf nicht mit einer offenen Wunde in die Sommerpause gehen." Der Vorsitzende der Sozialisten im EU-Parlament, Martin Schulz (SPD), forderte ebenfalls eine baldige Einigung: "Das Rauszögern und Taktieren, die Uneinigkeit und die Kakophonie der verantwortlichen EU-Politiker in der Euro-Krise müssen ein Ende haben. Sie verwirren die Menschen und beflügeln die Spekulanten." Sonst würden sich die Märkte nie beruhigen. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Willsch sagte dem Kölner Stadt-Anzeiger, er glaube angesichts der anstehenden Entscheidungen nicht, "dass wir den Sommer ohne Sondersitzung des Bundestages überstehen werden"

Die deutsche Industrie wünscht sich neben einem Schuldenerlass auch wirtschaftliche Wiederaufbauhilfen für Griechenland. In einem Brief von BDI-Präsident Hans-Peter Keitel an Führungskräfte der Industrie heißt es laut Bild am Sonntag: "Erstens muss die Gesamtschuldenlast des Landes auf ein tragfähiges Niveau gesenkt werden. Zweitens braucht Griechenland einen Business-Plan im Sinne eines Schumanplans." Mit dem Schumanplan wurde der deutschen Montanindustrie nach dem Zweiten Weltkrieg auf die Beine geholfen.

Auch der frühere Wirtschaftsweise und Politikberater Bert Rürup hält einen teilweisen Schuldenerlass für Griechenland für nötig. "Deutschland wird Geld in die Hand nehmen müssen", sagte er dem Portal heute.de. Mit dem aktuellen Krisenmanagement ging er hart ins Gericht: Das Tempo der Maßnahmen, mit denen das Euro-System stabilisiert werden solle, gleiche einem Schildkrötenrennen. Der Vorsitzende der CSU-Mittelstandsunion, Hans Michelbach, erklärte, ein neues Hilfspaket ohne eine Umschuldung werde nicht zum Ziel führen: "Die Kappung der griechischen Staatsschulden ist unumgänglich. Die Verunsicherungen für Wirtschaft und Verbraucher müssen schnellstens beendet werden."

Angesichts der Schuldenkrise braucht Europa aus Sicht der SPD einen eigenen Finanzminister, der auch auf die nationalen Haushalte Einfluss nehmen kann. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sagte der Rheinischen Post, neben besserer Koordination würden auch Institutionen benötigt, die solche Krisen in den Griff bekommen könnten: "Und deshalb sage ich: Ja, wir brauchen einen europäischen Finanzminister, der auch Durchgriffsmöglichkeiten auf die Schuldenpolitik von einzelnen Ländern hat."

Das Institut der Deutschen Wirtschaftsprüfer (IDW) empfiehlt den deutschen Banken, Abschreibungen auf Griechenland-Anleihen bereits in den Abschlüssen für das erste Halbjahr 2011 vorzunehmen. Dies sagte Vorstand Klaus-Peter Feld der Wirtschaftszeitung Euro am Sonntag. Es mehrten sich die Anzeichen, dass von einem Schuldenschnitt oder einer Beteiligung privater Gläubiger in anderer Form ausgegangen werden müsse. Bezogen auf das nominelle Griechenland-Engagement aller deutschen Banken von rund 17 Milliarden Euro läge das Abschreibungsvolumen bei einem Schuldenschnitt von 30 Prozent bei etwa fünf Milliarden Euro, heißt es in dem Bericht weiter.

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