Vor der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs:Gehaltssystem für Beamte wankt

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Wie gerecht ist das Besoldungsystem für Beamte in Deutschland?

(Foto: dpa)

Darf ein 25-jähriger Staatsdiener nach mehreren Dienstjahren weniger verdienen als ein 31-jähriger Berufseinsteiger? Nein, sagt der Gutachter am Europäischen Gerichtshof. Nun drohen Bund und Ländern Milliardenkosten.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Bund und Länder müssen wegen möglicherweise europarechtswidriger Regeln bei der Beamtenbesoldung mit Forderungen in Milliardenhöhe rechnen. Das zeichnet sich nach dem Schlussantrag des Generalanwalts beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Beamtenbesoldung ab. Generalanwalt Yves Bot hält Besoldungsregeln, die an das Lebensalter des Beamten statt an dessen Dienstzeit anknüpfen, für europarechtswidrig, weil sie Menschen wegen ihres Alters diskriminieren. Konkret geht es um Beamte des Bundes und des Landes Berlin.

Benachteiligt sind dort vor allem Menschen, die bereits mit Anfang oder Mitte zwanzig die Beamtenlaufbahn eingeschlagen haben. Sie wurden früher in die unterste Besoldungsstufe eingruppiert, während Berufsanfänger mit 31 Jahren bereits höher eingestuft wurden. Das ist seither zwar geändert worden: Denn bereits 2011 hatte der EuGH die Altersdiskriminierung im öffentlichen Dienst beanstandet. Das Gehalt steigt seither mit den Dienstjahren - unabhängig davon, wie alt der Beamte ist. Allerdings haben der Bund sowie Berlin Übergangsregeln getroffen, damit ältere Beamte mit relativ kurzer Dienstzeit nicht herabgestuft werden.

Diese Übergangsregeln verfestigen den Nachteil für Früheinsteiger: Wer als junger Beamter angefangen hat, kann den Rückstand kaum aufholen. Die bisherige Gehaltsstufe der Beamten wurde einfach ins neue System übertragen - das Dienstalter wurde erst mit der Reform bedeutsam. Aus Sicht des Generalanwalts ist damit die Benachteiligung nicht beseitigt, sondern fortgeschrieben worden: "Das diskriminierende Überleitungssystem besteht somit zeitlich unbegrenzt fort", schreibt Bot. Zwar ist der Schlussantrag für den EuGH nicht bindend. Allerdings folgt das Gericht in drei Vierteln der Fälle dem Generalanwalt, der als Mitglied des Gerichtshofs eine zentrale Funktion für die EuGH-Verfahren hat.

Weil auch die anderen Bundesländer solche Übergangsregeln haben, könnte ein Urteil eine Vielzahl der rund 1,6 Millionen Beamten betreffen. Die Bundesregierung soll die möglichen Folgekosten nach einem Bericht des Spiegel auf etwa 3,6 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt haben. Diese Mehrkosten dürften die Verhandlungen über die Verteilung der Lasten zwischen Bund und Ländern erschweren, mit denen sich die neue Bundesregierung befassen muss.

Unklar ist bisher, welche Beamten einen Anspruch auf Nachzahlung des ihnen entgangenen Soldes gerichtlich geltend machenkönnten. Es gibt nämlich zwei verschiedene Fristen, die hier in Frage kommen. Entweder müssen die Ansprüche - wie im Beamtenrecht vielfach üblich - noch im laufenden Haushaltsjahr geltend gemacht werden. Dann könnten beispielsweise Beamte in Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen klagen, wo die Besoldung erst dieses Jahr reformiert wurde.

Der Generalanwalt ließ aber offen, ob diese Frist europarechtlich gültig ist. Wenn nicht, gilt sogar eine Dreijahresfrist. Dann könnten Beamte in fast allen Bundesländern klagen; nur die Staatsdiener auf Bundesebene nicht - hier wurde die Reform schon 2009 vollzogen.

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