Süddeutsche Zeitung

Vor dem Euro-Krisengipfel:Die Masken der Heuchler

Endlich ein Durchbruch oder doch die nächste Enttäuschung? Europa blickt gespannt auf den EU-Gipfel in Brüssel. Vorschläge zur Lösung der Krise gibt es viele - aber das Problem ist, dass jedes Land zuerst an sich selbst denkt. Dabei geht es um viel mehr als nur die Rettung Griechenlands.

Cerstin Gammelin, Brüssel

Für die einen sind es kleine Verschiebungen im Kalender, für andere Vorzeichen eines dramatischen Euro-Gipfels, für wieder andere Diplomaten nur Nebelkerzen. Unmittelbar vor dem Treffen der Staats- und Regierungschefs aus den 17 Staaten an diesem Donnerstag gibt es viele Gerüchte, ist die Lage nur noch unübersichtlich.

Das liegt sowohl an zu engen Terminplänen als auch an diplomatischen Notlügen und handfesten Interessenkonflikten. Eigentlich sollten sich am Mittwochabend die Chef-Unterhändler des elitären Währungsklubs mit der Euro-Arbeitsgruppe in Brüssel treffen, um das Anti-Ansteckungs-Programm für die Länder der Währungsunion so weit vorzubereiten, dass sich die Staats-und Regierungschefs am Donnerstag von 12 Uhr an damit beschäftigen können.

Doch kurzfristig wurde alles verschoben. Die Sherpas kommen erst am Donnerstagmorgen nach Brüssel, heißt es, die Chefs am frühen Nachmittag. Es müsse noch verhandelt werden, erklärt ein hoher EU-Diplomat. Die Gespräche mit den Banken seien noch nicht abgeschlossen.

Es gibt noch ein viel grundsätzlicheres Problem, sagt ein Diplomat aus einem anderen Staat. Tatsächlich sei es so, dass sich die Unterhändler aus den 17 Euro-Ländern, der Europäischen Zentralbank, diversen Entwicklungsbanken, der Europäischen Kommission und dem Internationalen Währungsfonds bis Mittwoch noch nicht über die vier zentralen Elemente einigen konnten, die in dem Anti-Ansteckungsprogramm für die Euro-Zone enthalten sein könnten.

Soll es einen Schuldenschnitt für Griechenland geben? Sollen private Banken und Versicherer auch dann substantiell an den Kosten weiterer Hilfspakete für klamme Länder beteiligt werden, wenn das dazu führt, dass die betroffenen Länder von den Ratingagenturen als pleite bewertet werden? Und wenn ja, wie können die Kollateralschäden gemildert werden - schließlich triebe eine vorübergehende Pleite der Regierung in Athen die griechischen Banken in die Zahlungsunfähigkeit, was wiederum die Institute in Zypern, Malta und auf dem Balkan ruinieren könnte.

Schließlich ist offen, welche zusätzlichen Aufgaben der bis 2013 befristete Euro-Rettungsfonds EFSF übernehmen und um welches Kreditvolumen er aufgestockt werden soll. Im Gespräch ist, dass der EFSF zu einer Art Euro-Währungsfonds ausgebaut wird. Er soll Anleihen klammer Länder vom Markt aufkaufen dürfen, was diese unabhängiger von Spekulanten machen und ihnen helfen könnte, Schulden zu reduzieren.

Erwogen wird auch, jedem Euro-Land vorbeugend eine Kreditlinie einzurichten. Darauf könnten die Regierungen in der Not zurückgreifen, es entfiele das aufwendige Schnüren von Rettungspaketen. Und schließlich gibt es die Diskussion um eine Bankenabgabe.

Die Bankenabgabe, eine Art Steuer für Finanzgeschäfte, hat Paris ins Spiel gebracht mit der Begründung: Würden alle Banken diese Steuer zahlen, könnten die Erlöse für die Hilfspakete genutzt und so der private Sektor an den Kosten der Krise beteiligt werden. Das klingt gut, ist aber kaum umsetzbar.

Zum einen, weil die Franzosen alle Banken zahlen lassen wollen, also auch die Institute, die von der Krise nicht betroffen sind. Doch der innenpolitische Vorteil der Franzosen - ihre eigenen Banken haben für viele Milliarden Euro griechische Staatsanleihen gekauft, die sie womöglich nur mit hohen Verlusten verkaufen oder umtauschen könnten, wenn die privaten Gläubiger über ein Umtausch-Modell an den Kosten der Krise beteiligt würden - entpuppt sich auf der Euro-Bühne für andere Länder als großer Nachteil, beispielsweise für die Niederländer: Deren Banken haben so gut wie keine griechischen Papiere und deshalb nichts umzutauschen.

Hinzu kommt, dass die Bundesregierung gerade erklärt hat, dass sie keine europäische Steuer einführen will. Ein schlichter Grund spricht dagegen: Um eine europaweite Steuer einzuführen, müssten alle 27 Länder zustimmen, auch Großbritannien, und ihre Einführung würde wohl Jahre dauern. EU-Diplomaten halten den französischen Vorschlag deshalb für "einen politischen Formelkompromiss oder eine Nebelkerze".

Auch anderswo liegen die Euro-Länder über Kreuz. Etwa bei der Frage, ob riskiert werden kann, dass die Beteiligung privater Gläubiger zu einem vorübergehenden Zahlungsausfall führt. Jean-Claude Trichet, Präsident der EZB, ist strikt dagegen. Käme es so weit, dürfte er dem als zahlungsunfähig erklärten Land kein Geld mehr leihen, weil es keine Sicherheiten mehr bieten könnte.

Griechenlands Banken würden also keine Kredite mehr bekommen, die Regierung müsste ihre Tätigkeit einstellen. Und dann kämen die Banken in Zypern, Malta und auf dem Balkan ins Schleudern. In den Niederlanden und auch in Deutschland mehren sich Stimmen, die das riskieren und die Folgeschäden mit einem Banken-Rettungsprogramm abfedern wollen. Alle die Länder jedoch, die als nächste von einem solchen Schuldenschnitt betroffen sein könnten, lehnen es ab. Sie fürchten, dass Anleger aus ihren eigenen Staatsanleihen flüchten könnten.

Einzig der Europäischen Kommission gelang es am Mittwoch, einen konstruktiven Beschluss zu verkünden. Griechenlands Premier Giorgos Papandreou habe die Euro-Länder endlich um technische Hilfe beim Aufbau seines Landes gebeten, erklärte die Sprecherin von Präsident José Manuel Barroso. Die Behörde habe dafür die spezielle Arbeitsgruppe Griechenland gegründet, deren Experten ab sofort in Athen helfen werden.

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SZ vom 21.07.2011/lom
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