Von der Arbeit eines Erbenermittlers:Erben verzweifelt gesucht

Was, den Onkel gab's auch noch? Wenn die Verwandtschaft längst vergessen ist, steht manchmal der Erbenermittler vor der Tür - auf der Suche nach den rechtmäßigen Abnehmern für Nachlässe. Die freuen sich über Fotos oft genauso sehr wie über ein kleines Vermögen. Und die Banken, die den Erbenermittler losschicken, können kräftig verdienen.

Hannah Wilhelm

Manchmal bleibt nicht viel von einem ganzen Leben, wenn der Tod dann da ist. Ein paar Zehntausend Euro auf einem Konto. Einige Möbel, nur noch gut genug für den Trödel. Alltagsgegenstände, abgelebt, zerrieben, aufgebraucht. Ein Leben halt.

Rechte und Pflichten - Was Erben beachten müssen

Erbenermittler haben eine heikle Aufgabe: herauszufinden, wem der Nachlass rechtmäßig gehört.

(Foto: dpa-tmn)

Und ein Foto. Ein lächelndes kleines Mädchen im weißen Kleid. "Traudchen, zur Erinnerung an die erste heilige Kommunion", steht auf der Rückseite. Ein Datum und ein Ort. Mehr hat Thomas Lauk nicht. Und nun er soll Traudchen finden.

Thomas Lauk ermittelt Erben. Er arbeitet für eine Bank, ist ausgebildeter Rechtspfleger, aber eigentlich ist er vor allem Historiker und Detektiv. Für die Hoerner Bank sucht er Erben, meist wenn die Gerichte keine gefunden haben. Wenn da ein Nachlass ist, aber kein naher Verwandter. Etwas zu erben, aber niemand, der sich meldet. Dann nimmt Thomas Lauk seine Arbeit auf. Und sucht Traudchen. Oder andere.

Puzzlestück für Puzzlestück setzt er zusammen. Akribisch. Um Traudchen zu finden, suchen er und ein Kollege die Kirchen ab, dort, wo der Verstorbene einst lebte, irgendwo in den ehemaligen deutschen Ostgebieten. Um herauszufinden, ob an dem Datum ein Traudchen die heilige Kommunion empfangen hat. Eine Waltraud vielleicht oder eine Gertrude. Und die Erbenermittler werden tatsächlich fündig.

Traudchen ist eine Tochter aus der ersten Ehe des Verstorbenen. Acht war sie, als die Eltern sich trennten - und sie ihren Vater aus den Augen verlor. Bis heute hatte sie nichts mehr gehört von ihm. Nun ist sie 70 und erbt die paar Zehntausend Euro, die ihr Vater hinterlassen hat. Und sie bekommt das Foto. Eine Erinnerung. Das Überbleibsel eines vergangenen Lebens.

Die Hoerner Bank in Heilbronn, für die Thomas Lauk arbeitet, hat sich darauf spezialisiert, Erben wie Traudchen zu finden. Die Aufträge kommen meist von Nachlasspflegern, wenn diese bei der Suche nicht mehr weiterkommen. Oder eben aus dem Ausland von Rechtsanwälten.

Am Anfang steht der Besuch einer verwaisten Wohnung

Dann bekommt Lauk oder einer seiner Kollegen einen Namen, eine Sterbeurkunde. Und dann suchen sie, tragen alles zusammen: Urkunden, Auszüge aus Kirchenbüchern, alte Telefonbücher. Für jeden Fall gibt es eine Akte, einen Stammbaum. Und einen Zuständigen, der nach und nach den Stammbaum abklärt und die Akte füllt. Bis der Erbe irgendwann gefunden ist.

Am Anfang steht manchmal ein Besuch in der verwaisten Wohnung. Das Durchforsten von Habseligkeiten. Die Ermittler suchen nach Briefen, Fotos, Adressbüchern, Tagebüchern. Alles, was helfen könnte, die Hinterbliebenen zu finden, irgendwo auf der Welt. Und die nichts wissen, von dem Verlust. Aber auch nichts von dem Erbe.

Das Risiko der Bank

Lauk, jung, schwarzer Nadelstreifen-Anzug, lila Hemd, passende Krawatte, liest keine Analystenberichte über Aktienmärkte, verwaltet keine Kontounterlagen, verkauft keine Immobilien. Stattdessen sitzt er in Bibliotheken, Stadtarchiven oder blättert im Keller der Hoerner Bank in einem der zahlreichen eingelagerten Jahrzehnte alten Telefonbücher. "Kassel 1890", steht auf einem braunen Buchrücken. Und "Lübeck 1939". "Kiel 1914". Die Bank kauft solche Bücher in Antiquariaten auf. "Meist schaut man zehn Jahre lang nicht rein", sagt Lauk, "aber dann findet man dort genau den Hinweis, der in einem Fall nötig ist."

Außerdem stehen hier unten Geschichtsbücher über Vertreibung, Gebietsreformen, Auswanderungsströme. "Das Gedenkbuch, Opfer der Verfolgung" in mehreren Bänden, und Namenslexika. Und an den Wänden hängen Landkarten. Von Ländern und Grenzen, die es so nicht mehr gibt.

Von Städten und Orten, die heute anders heißen. Und Listen von Straßen und Plätzen, die nach dem Zweiten Weltkrieg umbenannt wurden. Vergangenheit, Geschichte, Kriege, Auseinandergerissenes: All das ist wichtig für den Job von Thomas Lauk. Denn oft hat die Geschichte die Familien auseinandergerissen, die Spuren zerstreut.

Lauk leitet die Abteilung, die nach Erben von im Ausland Verstorbenen fahndet. Er arbeitet dabei mit mehr als 150 freien Mitarbeitern weltweit zusammen. Für Traudchen war er zuständig, weil der Verstorbene in den ehemals deutschen Gebieten im Osten geboren wurde. Oder er sucht die Nachkommen eines verschollenen Onkels, der 1930 aus Deutschland vor den Nazis nach Südamerika floh. Oder in der Türkei oder in Italien die Nachkommen eines Auswanderers, der in den 1960er oder 70er Jahren nach Deutschland kam.

Wenn Lauk fündig wird, erbt die Bank mit. Er schließt dann einen Vertrag mit dem gefundenen Erben. Die Bank bekommt zwischen 20 und 35 Prozent der Erbschaft. Finden sie niemanden, bleiben sie auf den Kosten sitzen. "Das ist unser Risiko", sagt Lauk. Doch in vier von fünf Fällen sind die Ermittler erfolgreich, sagt er. Vermutlich sogar eher öfter. Aber Lauk will bescheiden sein.

"Die Kundenzufriedenheit liegt bei 99 Prozent"

Es ist ein Job, bei dem er viele glücklich macht. In Lauks Worten heißt das dann: "Die Kundenzufriedenheit liegt bei 99 Prozent." Denn die Menschen erben oft, ohne den Verstorbenen gekannt zu haben. "Die Menschen freuen sich, auch über ein paar hundert Euro." Geschenktes Geld, sie haben ja nicht damit gerechnet. Gleichzeitig weckt die Arbeit von Lauk oft Interesse, für die Familie, die da irgendwo war, den verschollenen Onkel, vergessene Großtanten.

"Viele fragen dann nach dem Stammbaum, den wir erarbeitet haben, und fangen an, sich für die Familiengeschichte zu interessieren." Nicht wenige freuen sich mindestens so sehr über die Informationen wie über das Geld.

Wie eben auch Traudchen, die eigentlich Waltraud heißt. Sie durfte sich über das Foto freuen und über die eigentlich längst vergessene Widmung: "Traudchen, zur Erinnerung an die erste heilige Kommunion".

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