Von 1965 bis heute:Schuhkarton war gestern

Was mit dem Versandhandel und viel Häme begann, hat sich zum Erfolgsmodell entwickelt. Die Fertighausbranche baut nun ganz nach Wunsch, auch Villen für ein paar Millionen. Das Geschäft läuft gut, aber es gibt da ein kleines Problem.

Von Stefan Weber

Die ersten Fertighäuser gab es in Deutschland nur per Versandhauskatalog zu kaufen, von Quelle oder Neckermann. Das war Mitte der Sechzigerjahre. Um die 50 000 Mark kostete so ein Heim, das viel Ähnlichkeit mit einem überdimensionierten Schuhkarton hatte und schon von weitem als "Haus von der Stange" zu erkennen war. Seitdem ist viel passiert. Die meisten Fertighaushersteller planen und bauen ein Haus heute exakt so, wie es die Kunden wünschen. Das hat seinen Preis: Vom Standardhaus für 150 000 Euro bis zur drei Millionen Euro teuren Villa ist alles zu haben. Und statt im Versandhauskatalog präsentieren die Anbieter ihre Produkte heute in natura - in Musterhausausstellungen.

Die erste dieser dauerhaften Hauspräsentationen hatte 1971 in Fellbach bei Stuttgart eröffnet. Mehr als 4,7 Millionen Menschen sind seitdem dort gewesen. Inzwischen gibt es bundesweit 18 solcher Ausstellungen. Dort können Bauwillige zwischen 20 und 60 Objekte begutachten. Hinzu kommen kleinere Häuserparks, in denen meist nur ein oder zwei Anbieter ihre Objekte zeigen. Für die Unternehmen ist das eine ordentliche Investition. Auch wenn sie die Häuser zum Selbstkostenpreis aufstellen können, müssen sie sie komplett mit Bad, Küche und Wohnmöbeln ausstatten. Und sie müssen ihre Exponate in Schuss halten und gelegentlich renovieren. Entsprechen sie dann, nach vielleicht zehn Jahren, nicht mehr dem aktuellen Standard, hilft nur eins: abbauen.

Die meisten Objekte liegen in der Preisklasse zwischen 260 000 und 320 000 Euro

Mitte der Neunzigerjahre waren in Deutschland nur sieben von 100 neu gebauten Häusern industriell vorgefertigte Exemplare gewesen. Inzwischen sind es etwa 16. Konkret heißt das: Von den 49 513 Ein- und Zweifamilienhäusern, für die im ersten Halbjahr 2015 in Deutschland Baugenehmigungen erteilt wurden, waren 8158 Fertighäuser, meist in der Preisklasse zwischen 260 000 und 320 000 Euro. Dabei gab es ein starkes Nord-Süd-Gefälle: Während in Schleswig-Holstein und Niedersachsen nach vor Massivhäuser - oft mit Klinkerfassade - das Straßenbild prägen, werden vor allem in Baden-Württemberg immer mehr vorgefertigte Häuser hochgezogen. Hier kommen die Fertighaushersteller auf einen Marktanteil von gut 25 Prozent. Der Bundesverband Deutscher Fertigbau erklärt dies historisch: In den waldreichen südlichen Regionen schätzten mehr Menschen Holz als Baumaterial.

Die Fertighaus-Branche ist mittelständisch geprägt. Bundesweit agieren knapp 50 meist familiengeführte Unternehmen. Viele haben als kleiner Schreinerbetrieb angefangen und dann nach und nach immer mehr Gewerke übernommen. Wie die gesamte Baubranche bewegen sich die Fertighaushersteller mit dem Auf und Ab der Konjunktur: Wenn die Gesamtwirtschaft schlecht läuft, die Zinsen hoch sind, investieren nur wenige in ein neues Heim. Derzeit geht es den meisten Herstellern gut. 1,8 Milliarden Euro haben die etwa 9000 Mitarbeiter der Branche 2014 umgesetzt.

Die Verkaufszahlen könnten noch besser sein, wenn es mehr Grundstücke gäbe. "Haben Sie auch Grundstücke", ist eine der am häufigsten gestellten Fragen in Musterhausausstellungen. Vereinzelt machen sich Hersteller für ihre Kunden auf die Suche nach Bauplätzen. Aber die meisten haben diesen Service aufgegeben. "Das ist zu aufwendig. Dann kommt man nicht mehr zum Häuserverkaufen", erläutert der Außendienstmitarbeiter eines namhaften Herstellers.

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