Vom Tauschhandel leben:Eine Welt ohne Geld

Geld macht nicht glücklich: Heidemarie Schwermer löste vor 13 Jahren ihre Wohnung auf, kündigte die Versicherungen und verschenkte ihre Habe. Wie sie heute lebt.

Franziska Brüning

Jede Woche füllen 15 Millionen Deutsche einen Lottoschein aus. Sie wollen reich werden. Davon versprechen sie sich die totale Freiheit, ein sorgloses und unbeschwertes Leben in Luxus. Sie hoffen, dass sich das Glück mit dem Geld einstellt. Nur Heidemarie Schwermer glaubt nicht daran.

Vom Tauschhandel leben: Heidemarie Schwermer lebt ihre Ideale und fühlt sich wohl.

Heidemarie Schwermer lebt ihre Ideale und fühlt sich wohl.

(Foto: Foto: ddp)

Die 68-jährige ehemalige Psychotherapeutin und Lehrerin sitzt auf der Terrasse ihrer Freundin Olga Hoch in Heitersheim bei Freiburg, blinzelt zufrieden in die Sonne und nippt an ihrem Kräutertee. Lottoträume gehen ihr völlig ab. Geld ist ihr geradezu eine Last: "In Dortmund habe ich 1994 einen Tauschring gegründet und schnell festgestellt, dass ich immer weniger Geld brauchte.

"Das kapitalistische System ist am Ende"

Daraufhin habe ich entschieden, ganz auf Geld zu verzichten. Ich habe meine Wohnung und meine Praxis aufgelöst, meinen Besitz verschenkt und bin aus meinen Versicherungen ausgetreten". Sie erzählt das so entspannt, als sei sie gerade von einer Kaffeefahrt heimgekehrt. "Die Leute denken immer, ich sei verrückt. Dabei ist die Welt verrückt. Das kapitalistische System ist doch am Ende."

Die weißhaarige Frau im schicken Seidenrock mit grüner Strickjacke, an der nur die Wollknubbel unter den Achseln verraten, dass sie zu oft getragen wird, glaubt, dass mit dem Geld die Gier kam: "Das Herz ist auf der Strecke geblieben". Ein Tauschhandel, in dem selbstlos gegeben und genommen werde, sei darum die Zukunft, ist Schwermer überzeugt: "Es wäre genug für alle da. Eine völlig andere Welt wäre möglich, aber einige nehmen sich zu viel".

Sich selbst empfindet sie nicht als arm. "Ich lebe in Fülle, weil ich nur das haben will, was ich wirklich brauche", sagt sie. Ihr Experiment, ohne Geld zu leben, dauert nun schon 13 Jahre. Dabei hat Schwermer erst einmal lernen müssen, nur das zu wollen, was sie wirklich braucht: einen Schlafplatz, Essen und etwas zum Anziehen. "Über meinen Tauschring ,Gib und Nimm', wo die Teilnehmer Materielles gegen Hilfsdienste tauschen, habe ich Leute kennengelernt, für die ich Arbeiten verrichten konnte und die mich dafür bei sich beherbergten", sagt Schwermer.

Verzicht zu üben, war nicht einfach

Sie hat Häuser, Kinder und Hunde gehütet, eine alte Frau betreut und danach ihre Schlafplätze organisiert. "Ich habe jede Nacht woanders geschlafen und mit Schlafproblemen zu kämpfen gehabt", sagt sie, "die musste ich mir schnell abgewöhnen." Verzicht zu üben, war für sie kein leichter Lernprozess. Sie musste beispielsweise Phasen mit wenig Essen überbrücken und sich an die Lebensweisen anderer Menschen anpassen. Trotzdem habe sie mehr gewonnen als verloren: "Egal, wo ich heute hinkomme, ich fühle mich wohl. Ich lebe volle Pulle meine Ideale."

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Armut unter den "kulturell Kreativen" neuerdings als cool gilt.

Eine Welt ohne Geld

Über die Jahre ist aus den Kontakten ein gut funktionierendes Netzwerk entstanden. Es gibt nämlich viele, die wie Schwermer kein Rädchen im Getriebe einer Konsumgesellschaft mehr sein wollen und bewusst ein einfaches Leben wählen.

Im Jahr 2006 schrieb der britische Kultautor Tom Hodgkinson in seinem Bestseller "Die Kunst, frei zu sein": "Statt uns um Reichtum zu bemühen, sollten wir versuchen, arm zu sein, indem wir sparsam sind und die Kinkerlitzchen der Konsumwelt ablehnen.

Neues Lebensmotto der "kulturell Kreativen"

Kein Geld zu benötigen, indem man seine Bedürfnisse zurückschraubt, kann die gleiche befreiende Wirkung haben, wie kein Geld zu benötigen, weil man eine Menge davon verdient." Sein "Lasst Armut cool werden!" ist längst zum Lebensmotto der "kulturell Kreativen" avanciert.

So bezeichnet der amerikanische Soziologe Paul Ray eine neue Bevölkerungsgruppe, zu der allein in den USA schon 24 Prozent der Menschen zählen. Sie haben sich bewusst für ein einfaches Leben als Alternative zur konsumorientierten Überflussgesellschaft entschieden.

Dabei reicht die Spanne von radikalen Aussteigern wie der Schenker-Bewegung im sächsischen Pommritz, die ausschließlich davon lebt, was ihr die Natur und die Mitmenschen schenken, bis hin zu konsumkritischen Normalverbrauchern.

Schwermer steht irgendwo in der Mitte. Sie kann zwar nicht einfach in ein Café gehen und eine Limonade oder ein Sandwich bestellen, aber sie erhält selbst in manchen Läden Essen dafür, dass sie beispielsweise im Hinterhof Balken wegräumt.

Lesen Sie auf der nächstem Seite, warum Heidemarie Schwermer heute kaum noch Interviews gibt.

Eine Welt ohne Geld

"Ich will unsere Gesellschaft von Grund auf ändern"

Ihren Personalausweis hat jemand anders bezahlt, ihr Handy wird mit Prepaid-Karten aufgeladen; diese bekommt sie statt eines Honorars für ihre Vorträge, die sie regelmäßig hält. Bei der Postbank hat sie ein Sparbuch für ihre Einkünfte aus ihrem Buch "Das Sterntalerexperiment", das sie über ihr neues Leben geschrieben hat. "Ich habe so viel verdient, dass ich daran gedacht habe, doch noch reich zu werden, um alles an Arme verschenken zu können, aber das wäre nur ein Tropfen auf den heißen Stein gewesen. Ich will unsere Gesellschaft von Grund auf ändern", sagt Schwermer.

So hat sie ihre Tantieme an Bedürftige verteilt und setzt auf ihre Utopie: "Einfach das Geld abzuschaffen, das würde Mord und Totschlag bedeuten, aber ich möchte, dass die Menschen nicht mehr abrechnen, sondern teilen. Dafür muss jeder lernen, wer er ist, was er braucht, wo er steht und wohin er will".

Schwermer ist überzeugt, dass alles wie bei der wundersamen Fischvermehrung in der Bibel funktionieren könnte. Dabei klaubt sie Gedanken aus allen Religionen zusammen, ist spirituell und glaubt an Wunder: "Wenn ich etwas brauche, bekomme ich es auch." Obdachlosen und Sozialhilfeempfängern kann sie damit nicht kommen. "Die denken, ich mache mich über sie lustig", sagt sie.

Bis vor einem Jahr wurde Heidemarie Schwermer wie eine Außerirdische in Talkshows ausgestellt. Das ist heute vorbei. Heidemarie Schwermer hat sich eine Auszeit genommen.

Keine Angst vor dem Alter

An ihrem Lebensstil hat sie zwar nichts geändert, aber sie hat Angst, nicht mehr authentisch zu wirken und gibt deswegen kaum noch Interviews. Sie hat nämlich ihre Rente beantragt - um sie zu verschenken - und ist wieder in die Krankenversicherung eingetreten.

Seit dem 1. April 2007 gilt die Rückkehrpflicht. "Ich war aber schon seit 20 Jahren nicht mehr beim Arzt. Ich vertraue auf meine Selbstheilungskräfte", sagt sie. Auch das habe sie gelernt: "Als ich nicht mehr in der Krankenkasse war, musste ich darauf achten, wie ich mit mir umgehe. Ich esse nicht jeden Mist, ich schaue auf meine Gefühle und haushalte mit meinen Kräften". Krank sei sie deswegen schon lange nicht mehr gewesen. Das Alter mache ihr auch keine Angst.

In ihrer kompromisslosen Haltung erinnern manche der "kulturell Kreativen" an die Bettlerorden im Mittelalter. Andere schrammen haarscharf am Gedankengut kommunistischer und anarchistischer Ideologen vorbei.

Schwermers Freundin Olga Hoch, die in Heitersheim ein sogenanntes "offenes Haus" unterhält, in dem fremde Besucher kostenlos übernachten dürfen, betrachtet beispielsweise Mieten als "Schutzgelder für Möbel" und spricht von einer "Revolution im Geiste", die auf vollen Touren laufe.

Die Suche nach alternativen Lebensmodellen funktioniert aber auch weniger martialisch. Hoch ist Mitglied im Hospitality Club, dessen Mitglieder über die ganze Welt verteilt sind. Das Prinzip ist einfach: Jeder, der ein freies Bett im Haus hat, stellt das kostenlos Reisenden zur Verfügung.

Das ist absolute Freiheit für Olga Hoch. "Ich bin willkommen, egal wohin ich komme", schwärmt Hoch, und Heidemarie Schwermer nickt. "Das Leben wird so leicht", sagt sie, "es ist phantastisch."

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