Villaggio:Venedig in der Wüste

qatar Shopping mall

Das Villaggio in Katar wurde 2006 eröffnet und gehört zu den beliebtesten Einkaufszentren des Landes.

(Foto: Catrina)

Künstlichkeit ist Trumpf: Die Shopping-Stadt ist typisch für das moderne Katar. Und bei Besuchern begehrt, täglich kommen 40 000 Besucher.

Von Werner Catrina

Schwarz verhüllte Frauen trippeln mit H&M-Einkaufstaschen über eine von Renaissance-Palästen gesäumte Piazza - nicht in Venedig, sondern in Doha, der Hauptstadt des Emirats Katar am Persischen Golf. Mitten durch die geklonte Lagunenstadt fließt ein Canale Grande aus entsalztem Meerwasser, überspannt von einer nachempfundenen Rialtobrücke; Gondolieri rudern ihre in Burkas gehüllten Passagierinnen durch die Fata Morgana am Saum der Wüste.

Die Villaggio Mall liegt in der Aspire Zone am westlichen Ende von Doha und umfasst 220 Läden, darunter bekannte Markenshops mit amerikanischen, italienischen und deutschen Waren. Im Center gibt es zudem einen französischen Boulevard mit einem Carrefour Hypermarket und teuren Boutiquen. Flanierstraßen, kleine Plätze und die Freizeiteinrichtungen des "Gondollania Theme Parks" mit Kinderparadies, Spielsalons, Kinos und einem Eisfeld finden sich hier auch. Das außergewöhnliche Shoppingcenter ist 2006 mit einer Handelsfläche von 100 000 Quadratmetern eröffnet worden. Besitzer der Anlage ist Abdul Aziz Mohammed Al-Rabban, einer der reichsten Geschäftsleute des Emirats.

Der Geschäftsmann hat schon Rückschläge hinnehmen müssen; Die Mall wurde 2012 von einem Brand heimgesucht, der 19 Tote forderte, darunter 13 Kinder. Die nahe der Kinderkrippe ausgebrochene schreckliche Feuersbrunst hatte wenigstens zur Folge, dass der Brandschutz im Villaggio entschieden verbessert und die Vorschriften gleich für das ganze Emirat verschärft wurden.

Sehr vieles wird ins Emirat importiert. Das authentisch Arabische verschwindet zusehends

Katar, mit 11 000 Quadratkilometern siebenmal kleiner als Bayern und einst ein armes Beduinenland, ist dank seiner enormen Öl- und Gasvorkommen reich worden. Die Wüstenhalbinsel am Persischen Golf wird seit Jahrhunderten bewohnt vom früher armen, aber stolzen Beduinenstamm Al Thani. 1971 rief sich Katar zu einem eigenständigen Staat und einer absoluten, islamischen Monarchie aus. Gegenwärtig ist Scheich Tamim bin Hamad Al Thani fast unumschränkter Herrscher des Emirats. Mit der wachsenden Ausbeutung der Öl- und Gasvorkommen begann der steile Aufstieg zu einem der reichsten Länder der Welt, kaum gebremst durch die aktuelle Flaute der Rohstoffpreise. Das neue Zentrum der Hauptstadt Doha gleicht einem exotischen Manhattan mit Wolkenkratzern. Die Menschen sitzen in gekühlten Autos und klimatisieren Großraumbüros oder shoppen eben in riesigen Malls. Von den 2,1 Millionen Landesbewohnern sind nur gerade 300 000 Bürger von Katar. Wer als Ausländer hier ein Geschäft betreiben will, muss dies per Gesetz mit einem Einheimischen gemeinsam realisieren, der mitverdient und weitgehend das Sagen hat.

Hunderttausende Gastarbeiter aus aller Welt arbeiten als Köche oder Kellner in Hotels und Restaurants, als Ingenieure oder Architekten - oder rudern eben im Villaggio als Gondolieri. Die Arbeiter aus Indien oder Nepal sind bei großer Hitze auch auf den vielen Großbaustellen der Stadien für die umstrittene Fußballweltmeisterschaft 2022 im Einsatz. Sie ziehen Autobahnen und Pipelines durch die Wüste und stampfen Wohnquartiere aus dem Boden, wie zum Beispiel die teure Siedlung "The Pearl" auf künstlich aufgeschütteten Inseln, einem Komplex mit exklusiven Villen und Tausenden von Luxuswohnungen.

Sehr vieles wird ins Emirat importiert; das authentisch Arabische schwindet schnell. Und selbst das, was authentisch wirkt, ist oft nicht mehr original, zum Beispiel der älteste Basar von Doha. Männer im wallenden Burnus, Frauen in der Burka und Touristen in Freizeitkleidung schlendern durch die verwinkelten Gassen des Souq Waqif im historischen Zentrum. Dort duftet es nach Muskat und Zimt, Händler bieten Perserteppiche, Wellensittiche oder Falken an, getrockneten Fisch und Gewürze. Im pulsierenden Souk locken einige stimmungsvolle, arabisch dekorierte Boutique-Hotels, durch die der Geist von Sultan Aladin zu wehen scheint. Authentischer könnte dieser Souk in der Hauptstadt des Emirats nicht sein, denkt der Besucher. Doch das frühere Doha mit seinem staubigen, alten Souq Waqif gibt es nicht mehr, dafür den blitzsauberen, historisch getreuen Nachbau des alten arabischen Marktes.

Der auf alt getrimmte neue Souq Waqif ist typisch für das frisch aus dem Boden gestampfte, neue Doha, wo das authentisch Arabische oft nur noch als Exponat in den beeindruckenden neuen Museen oder eben als voll klimatisierte Kulisse zu finden ist.

Künstlichkeit ist Trumpf in Doha, und im Villaggio wird diese Künstlichkeit auf die Spitze getrieben. Die Menschen lockt das an - täglich strömen 40 000 Besucher durch das Wüsten-Venedig, dessen Läden zum Teil bis Mitternacht geöffnet sind. Fast alle Kunden kommen übrigens mit dem Auto in die Shopping-Stadt, denn der öffentliche Verkehr ist im Emirat noch rudimentär. Und das Benzin kostet weniger als ein Katar-Riyal, nicht einmal 20 Eurocent pro Liter.

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