Süddeutsche Zeitung

Videointerview mit David Rockefeller:"Ich genieße es, Menschen kennenzulernen"

David Rockefeller, Enkel des berühmten Öltycoons, über unerwartete Erfahrungen, überraschende Begegnungen, seine Lebensprinzipien - und die Fähigkeit zur Wut.

Hans von der Hagen, Nina Jauker; Video: Marcel Kammermayer

David Rockefeller, 92, ist der letzte überlebende von fünf Enkeln des Öltycoons John D. Rockefeller, der mit Standard Oil den sagenhaften Reichtum der Dynastie begründet hatte. Als Präsident der zeitweise größten Bank der Welt, der Manhattan Chase Bank (heute JP Morgan Chase), reiste Rockefeller viel und führte mit mehr als 200 Staatschefs persönliche Gespräche. Heftige Kritik erntete er für seine Kontakte mit Diktatoren wie Saddam Hussein, Fidel Castro und Augusto Pinochet. Bekannt ist der Weltbankier für sein ausgeglichenes Temperament und sein einzigartiges Adressverzeichnis von mehr als 100.000 Namen von Menschen, denen er begegnet ist.

sueddeutsche.de: Mr. Rockefeller, Sie haben in Ihrem Leben mehr als fünf Millionen Luftmeilen zurückgelegt - gibt es noch einen Ort, den Sie gerne sehen würden?

David Rockefeller: Da müsste es schon noch einen geben. Momentan fällt mir aber keiner ein.

sueddeutsche.de: Sie haben mehr als 200 Staatsmänner getroffen. Ist Ihnen ein Politiker besonders in Erinnerung geblieben?

Rockefeller: Beeindruckt hat mich vor allem der frühere Präsident Südafrikas, Nelson Mandela. Ich bin ihm einige Male begegnet und durfte ihn auch als Gast in unserem Haus in New York empfangen. Er imponiert mir, weil er 18 Jahre unter sehr harten Bedingungen im Gefängnis verbrachte - und keinerlei Groll gegen die Leute hegt, die ihm das angetan hatten. Das wäre mir sicher nicht gelungen. Aber deshalb konnte Mandela für Südafrika die einzigartige Rolle spielen, das Land zu einigen und zu versöhnen.

sueddeutsche.de: Wenn man die ganze Welt gesehen hat - ist sie dann interessanter oder langweiliger?

Rockefeller: Also, ich bin nicht im Geringsten gelangweilt. Ich genieße es, Menschen kennenzulernen. Manche mag ich natürlich lieber als andere. Aber ich denke, das ist normal.

sueddeutsche.de: Wie wichtig sind Ihnen Ihre Reisen?

Rockefeller: Man versteht die Welt besser. Kürzlich sprach ich mit der neuen Harvard-Präsidentin - eine sehr fähige Person. Ich war glücklich zu hören, dass sie zunehmend darauf besteht, dass ihre Studenten ins Ausland reisen. Jeder, der in Harvard seinen Abschluss macht, soll wenigstens einmal im Ausland gewesen sein. Es ist wichtig, die Ziele anderer kennenzulernen. Erst dann versteht man, warum das geschieht, was geschieht und kann entsprechend ausgewogenere Entscheidungen treffen.

sueddeutsche.de: Welche Lehre haben Sie aus ihrem Leben gezogen?

Rockefeller: Mein Leben wäre weniger interessant gewesen, wenn ich einfach geblieben wäre, wo ich war und mich mit den Leuten in meiner Umgebung zufrieden gegeben hätte - so interessant sie auch gewesen sein mögen.

sueddeutsche.de: Bei welcher Begegnung war der Unterschied zwischen Ihren Erwartungen und der Realität am größten?

Rockefeller: Vielleicht war es das Treffen mit dem Premierminister des kommunistischen China, Zhou Enlai. Ihn traf ich, kurz nachdem China sich geöffnet hatte. In meinem zweistündigen Gespräch mit ihm stellte ich überrascht fest, dass er eine ganze Weile in Europa verbracht hatte und auch über die USA gut informiert war. Er war ein Intellektueller, sehr offen und sympathisch, und er unterhielt sich gern mit den unterschiedlichsten Menschen, um von ihnen zu lernen.

sueddeutsche.de: Gibt es etwas, dass Sie anders machen würden, wenn Sie nochmals die Gelegenheit hätten?

Rockefeller: Ehrlich gesagt erscheint mir die Vorstellung absurd, dass ich ein glücklicheres oder lohnenderes Leben hätte führen können. Ich zweifele nicht, dass es während meiner langen Jahre als Vorsitzender der Chase Manhattan Bank Entscheidungen gab, die nicht perfekt waren. Ich würde aber das, was ich tat, nicht ändern wollen.

sueddeutsche.de: Auch nicht Ihre Geschäfte mit umstrittenen Politikern wie Pinochet, Jaruzelski oder Castro?

Rockefeller: Nein. Ich hatte mit Menschen zu tun, deren politische Meinungen sich von meiner unterschieden und die Dinge getan hatten, über die ich nicht glücklich war. Sie zu treffen, bedeutete aber nicht, dass ich ihre Taten billigte. Ich war lediglich interessiert, die Gründe für ihr Handeln herauszufinden und zu verstehen, welche Ansichten sie vertraten. Es gab einige Begegnungen, bei denen mir der Gegenüber unsympathisch war. Andererseits war das auch ein Grund für mein interessantes Leben: Dass ich Menschen getroffen habe, die andere Ansichten vertraten als ich.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Rockefeller über seine Begegnung mit Saddam Hussein sagt.

sueddeutsche.de: Haben Sie nie ein schlechtes Gefühl zurückbehalten?

Rockefeller: Nun, Saddam Hussein zum Beispiel hat ein Leben geführt, das meiner Meinung nach weder für sein Land noch für die Menschheit gut war. Und als ich ihm begegnete - was 30 Jahre her ist, als er bereits unter internationaler Kritik stand - empfand ich ihn als unangenehm. Aber es war kein Grund, ihn nicht zu treffen.

sueddeutsche.de: Sie waren Chef der weltgrößten Bank. Wie würden Sie Ihren Managementstil beschreiben?

Rockefeller: Das Wichtigste in einer solchen Position ist, fähige Mitarbeiter auszusuchen, deren Beurteilungen und Philosophie sich mit der eigenen vertragen. Wenn man ein großes Unternehmen besitzt oder leitet, kann man unmöglich alles machen. Deshalb sollte man einen Überblick über die Geschäfte besitzen, aber die Umsetzung vertrauenswürdigen Mitarbeitern überlassen. Die Leute, die im Geschäftsleben oder in der Politik am erfolgreichsten sind, sind diejenigen, die nicht versuchen, alles selbst zu entscheiden, sondern die Entscheidungen delegieren. Deshalb halte ich das für ein wichtiges Prinzip.

sueddeutsche.de: In Ihrem Buch beschreiben Sie detailliert Ihr Gespräch mit dem früheren Präsidenten der Sowjetunion, Nikita Chruschtschow. Es war weitgehend politischer Natur. Waren Sie ein politischer Unternehmer?

Rockefeller: Nun, mein persönlicher Hintergrund und meine Ausbildung haben dafür gesorgt, dass meine Interessen breit gestreut sind und ich nicht nur als Geschäftsmann denke. Chruschtschow war eine interessante Person und wir haben zwei Stunden miteinander gesprochen. Meine Tochter Neva hatte mich begleitet. Als das Gespräch einmal sehr lebhaft wurde, zeigte er auf sie und sagte: "Eines Tages wird sie so denken wie ich". Zum Glück ist es nicht so gekommen. Wir waren beide neugierig aufeinander und so haben wir unsere Ansichten ausgetauscht. Wann immer ich die Gelegenheit dazu hatte, habe ich das gemacht.

sueddeutsche.de: Was ist der Schlüsselfaktor für Erfolg?

Rockefeller: Engagierte Eltern und eine gute Erziehung, damit man mit Grundsätzen und Überzeugungen ins Leben geht, die einem Sicherheit geben. Ich denke, die Werte, die mir durch meine Eltern mitgegeben wurden, gaben mir die Grundlage für eine Lebensführung, mit der ich zufrieden sein konnte.

sueddeutsche.de: Und was ist Ihre persönliche Philosophie?

Rockefeller: Man sollte sich immer fragen: Für wen macht man etwas? Man liest manchmal, dass Firmenchefs einen Kurs verfolgen, der ihnen vor allem selbst nützt. Doch Unternehmenslenker müssen auch das Wohl der Gesellschaft im Auge behalten.

sueddeutsche.de: Sie gelten als außerordentlich beherrscht, als jemand, der niemals aus der Haut fährt. Wünschen Sie sich manchmal die Fähigkeit zur Wut?

Rockefeller: Es gibt möglicherweise Momente, in denen Wut nützlich sein kann. Doch ich habe das Gefühl, dass Wutausbrüche nicht die besten Ergebnisse bringen.

sueddeutsche.de: Sie verdanken viel Ihrer Familie. Wie hätte Ihr Leben ausgesehen, wenn Sie nicht den Namen Rockefeller getragen hätten? Hätten Sie einen ganz anderen Beruf gewählt?

Rockefeller: Gut möglich. Allerdings haben auch meine Geschwister völlig unterschiedliche Leben gelebt, obwohl wir die gleichen Eltern hatten. Jeder hat seine eigenen Interessen verfolgt - ich beispielsweise habe viel Zeit an der Hochschule verbracht und meinen Doktor in Wirtschaftswissenschaften gemacht. Das war wichtig für meinen späteren Beruf, damit die Leute nicht sagen konnten, ich hätte meinen Job nur aufgrund meines Namens und nicht aufgrund meiner Fähigkeiten bekommen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Rockefeller 1933 in München machte

sueddeutsche.de: Sie interessieren sich sehr für Kunst. Haben Sie je daran gedacht, selbst Maler zu werden?

Rockefeller: Ich liebe schöne Kunstwerke und ich freue mich, sie zu betrachten und auch zu besitzen. Ich glaube aber nicht, dass ich Talent habe. Das wäre sicher nicht mein Weg gewesen.

sueddeutsche.de: Haben Sie es probiert?

Rockefeller: Nicht ernsthaft. Aber wann immer ich in einer Stadt mit guten Museen bin, versuche ich sie zu besuchen. Auch jetzt hier in München.

sueddeutsche.de: Sie mussten nicht arbeiten, um sich den Lebensunterhalt zu verdienen. Welchen Wert hat tägliche Arbeit für Sie?

Rockefeller: Nichts auf dieser Welt lässt sich ohne Arbeit erreichen - das gilt gleichermaßen für Kunst, Ausbildung oder die Wirtschaft. Ich sehe das als Selbstverständlichkeit und habe einen guten Teil meines Lebens damit verbracht, zu arbeiten.

sueddeutsche.de: Ihre Kinder hatten zeitweilig völlig andere Auffassungen vom Leben als Sie selbst, vor allem zu Zeiten des Vietnam-Kriegs. Haben Sie selbst auch gegen Ihre Eltern aufbegehrt?

Rockefeller: Als ich aufwuchs, gab es keine derart kontroversen Themen wie den Vietnam-Krieg, bei denen die Jugend fast geschlossen anderer Meinung als die ältere Generation war. Ich hatte zwar auch einige kontroverse Diskussionen mit meinem Vater, aber es ging nie soweit, dass ich ihn nicht mehr sehen wollte.

sueddeutsche.de: Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Aufenthalt in München?

Rockefeller: Oh ja. Ich hatte gerade mein erstes Jahr in Harvard abgeschlossen und verbrachte 1933 einen wundervollen Sommer in München, um Deutsch zu lernen. Meine Deutschlehrerin war eine Frau Berman. Sie war Jüdin, eine brillante und faszinierende Persönlichkeit.

sueddeutsche.de: Wissen Sie, wie es ihr später erging?

Rockfeller: Sie konnte wohl Deutschland verlassen. Ich traf sie 1935 erneut, aber nach dem Krieg nicht mehr. Wir haben uns aber noch geschrieben.

sueddeutsche.de: Waren Sie noch öfter in dieser Zeit in Deutschland?

Rockefeller: Ja. Es war sehr spannend, Deutschland gerade in jenen Jahren kennenzulernen. 1937 fotografierte ich auch Hitler. Er war zur Beerdigung von Erich Ludendorff nach München gekommen und fuhr durch die Ludwigstraße. Ich machte das Foto mit meiner ersten Kamera, einer Leica, die ich gerade gekauft hatte.

sueddeutsche.de: Haben Sie die Leica noch?

Rockefeller: Leider nein. Ich habe sie meiner Tochter geschenkt.

sueddeutsche.de: Und, können Sie noch etwas Deutsch?

Rockefeller: Ja. Es gab zwar wenig Gelegenheit in den letzten Jahren, es zu sprechen, aber - "ein bisschen".

sueddeutsche.de: Wenn Sie Ihren Besitz aufgeben müssten und nur noch einen Gegenstand behalten dürften - was wäre das?

Rockefeller: Ich hoffe, ich werde das nicht erleben. Ich habe noch nie darüber nachgedacht. Aber es wäre mir sicher wichtiger, statt eines Gemäldes die Möglichkeit zu behalten, engen Kontakt zu meinen Kindern und Freunden zu haben. Freundschaften sind mir viel wichtiger als Gegenstände.

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