Strombranche:Und ewig steigt der Preis

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Beeinflussen die Energiekonzerne im großen Stil den Strompreis? Die EU-Kommission hat da einen bösen Verdacht. Millionen Kunden zahlen womöglich zu viel für ihren Strom.

Markus Balser und Cerstin Gammelin

Die Europäische Kommission will gegen überzogene Preise und Manipulationen auf dem Strommarkt vorgehen. Nach Angaben aus Kommissionskreisen hat die Kommission den Verdacht, in der Energiebranche könnten Unternehmen im großen Stil Preise beeinflussen. Mangelnde Kontrollen sorgten offenbar dafür sorgen, dass Millionen Stromkunden zu viel für Energie zahlten, heißt es in Kommissionskreisen. Durch Insidergeschäfte im Stromhandel entstünden Energiekunden Schäden in Milliardenhöhe. Mit Strafen und scharfen Kontrollen will Brüssel solche Praktiken stoppen. Am Mittwoch stellt EU-Energiekommissar Günther Oettinger eine entsprechende Initiative vor.

Einer Studie der Europäischen Kommission zufolge werden allein in Deutschland jährlich 4540 Terawattstunden Strom gehandelt - aber nur 540 Terawattstunden verbraucht. (Foto: dpa)

Seit langem klagen Verbraucherschützer über die wachsende Intransparenz auf Europas Energiemärkten. Immer öfter wird Strom erst über viele Zwischenhändler an den Kunden verkauft. Einer Studie der Europäischen Kommission zufolge werden allein in Deutschland jährlich 4540 Terawattstunden Strom gehandelt, aber nur 540 Terawattstunden verbraucht. Da der Großhandel in weiten Teilen ohne Aufsicht verläuft und gleichzeitig die Preise für Strom ständig steigen, besteht nach Informationen aus der Brüsseler Behörde der begründete Verdacht, dass über Insiderhandel die Preise und Stromrechnungen für Kunden im großen Stil künstlich in die Höhe getrieben werden. Konkrete Fälle aus den USA haben auch in Europa die Behörden alarmiert.

Undurchsichtige Grauzone

In den Vereinigten Staaten konnte die Regulierungsbehörde dem Hedge Fund Amaranth Advisors LLC kürzlich nachweisen, dass dieser über Marktmanipulationen die Preise gepuscht und daran zwischen 59 und 168 Millionen Dollar verdient habe. Nur ein kleiner Fisch, doch er zeigt, was auch in Europa möglich ist. Denn vor allem in Deutschland hat sich beim Stromhandel eine undurchsichtige Grauzone entwickelt. Der Kommission zufolge besteht Grund zur Annahme, dass der unbeaufsichtigte Großhandel gerade die deutschen Preise in die Höhe treibt.

Deutschland ist der größte Handelsmarkt in Europa. Zwischen Nordsee und Zugspitze werden jährlich rund 4540 Terawattstunden Strom gehandelt, 90 Prozent davon allerdings abseits jeder Aufsicht über bislang völlig unkontrollierte Plattformen, die wie Internetbörsen für Strom funktionieren. Es bestehe keinerlei Klarheit darüber, wie viele Unternehmen Strom anbieten und ob sich auch der Handelsmarkt weitgehend in den Händen der vier großen deutschen Stromkonzerne befindet, verlautet aus der Kommission. Damit sei Deutschland für illegale Praktiken viel anfälliger als der Rest Europas. In Skandinavien zum Beispiel sieht die Situation besser aus. Dort werden insgesamt 2580 Terawattstunden jährlich gehandelt. Nur die Hälfte entfällt auf den unkontrollierten Markt.

Doch selbst beim vergleichsweise transparenten Geschäft über Strombörsen lauerten Gefahren, glaubt die Kommission. Denn einer unabhängigen Kontrolle unterliegt auch die Leipziger Strombörse nicht, der wichtigste deutsche Handelsplatz für Strom. Sie kontrolliere sich weitgehend selbst, kritisieren Experten. Energiekommissar Günther Oettinger will den Großhandel von Strom und Gas künftig europaweit einer unabhängigen Kontrolle unterwerfen und an diesem Mittwoch in Brüssel erste Vorschläge präsentieren. Insidergeschäfte auf dem Energiemarkt sollen künftig wie beim Kauf von Aktien mit Haftstrafen geahndet werden können, so das Ziel Oettingers. Unternehmen solle zudem untersagt werden, den Preis durch künstliche Verknappung des Stroms in die Höhe zu treiben. In einem Entwurf sei auch eine Meldepflicht für alle Stromgeschäfte vorgesehen, heißt es weiter.

"Riesige Lücken"

Die Zeit drängt, warnen Experten. "Es gibt bei der Kontrolle riesige Lücken", sagt Volker Lüdemann, Professor für Wirtschafts- und Wettbewerbsrecht an der Hochschule Osnabrück. "Wir wissen nicht, was wirklich auf den Energiemärkten passiert." Dabei sind die Probleme seit langem bekannt. Bei einer Anhörung im Finanzausschuss des Bundestages attestierte der Augsburger Juraprofessor und Fachmann für Kapitalmarktrecht Thomas Möllers dem Stromhandel schon 2006 eine "Aura der Gesetzlosigkeit". Das Fehlen eines Insiderhandelsverbot sei "eine eklatante Rechtslücke".

Die Strategie künstlicher Preisanhebung stand bereits im Mittelpunkt eines Kartellverfahrens der EU gegen Deutschlands größten Energiekonzern Eon aus dem Jahr 2007. Der Verdacht: Das Düsseldorfer Unternehmen soll versucht haben, Preise zu manipulieren, indem der Konzern nicht zuerst die teuersten, sonder billige Kraftwerke vom Netz nahm. Zu einem Urteil kam es nicht. Eon lenkte schnell ein und einigte sich auf einen Vergleich mit Brüssel. Ein Eon-Sprecher wies am Dienstag den Verdacht zurück. Der Konzern habe weder damals noch heute Preise manipuliert.

© SZ vom 07.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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