Süddeutsche Zeitung

Versiegelung:Viel gefressen

In einer Podiumsdiskussion streiten bayerische Landtagsabgeordnete über zu viel Flächenfraß und zu wenig Wohnungsbau.

Von Ingrid Weidner

Für die nächsten Landtagswahlen in Bayern im Herbst 2018 gibt es noch keinen Termin, doch die Bayerische Architektenkammer lud dennoch schon zu einer politischen Diskussion über "Planen und Bauen in Bayern" ein. Während in Berlin noch um eine Koalition gerungen wird, stritten Abgeordnete in München vor Kurzem über Wohnungsbau, Gewerbegebiete und fehlende Qualitäten in der Baukultur.

Viel diskutiert wird derzeit vor allem über den Landesentwicklungsplan (LEP). Immer mehr Flächen in Bayern werden zubetoniert. Die Landesregierung, kritisiert die Opposition, fördere eine weitere Zersiedelung und heize das Wettrennen der Kommunen um Gewerbegebiete an. Und auch die finanziellen Probleme der Gemeinden würden so nicht gelöst. Zwar verpflichtet sich der Freistaat seit 2003, weniger Landschaft zuzubetonieren, doch täglich werden 13,1 Hektar verbraucht.

Natürlich verteidigt der CSU-Abgeordnete Markus Blume den Plan der Landesregierung - und begründet den Flächenfraß mit dem Zuzug und der wirtschaftlichen Dynamik im Freistaat. Doch die Abgeordneten aus den drei Oppositionsparteien überzeugt das nicht. Ludwig Hartmann von den Grünen etwa betont, dass zwei Drittel der Flächen in Bayern in strukturschwachen Regionen zubetoniert werden - und eben nicht in den prosperierenden Regionen. Das von den Grünen angestrebte Volksbegehren will den Flächenfraß auf fünf Hektar pro Tag begrenzen. Die freiwilligen Selbstverpflichtungen zum Flächensparen hätten nichts gebracht, betont Hartmann, deshalb seien verbindliche Vorgaben notwendig.

Die SPD-Landtagsabgeordnete Annette Karl, ebenso wirtschaftspolitische Sprecherin ihrer Fraktion, sitzt an ihrem Wohnort in Neustadt an der Waldnaab auch im Stadtrat. Die Kleinstadt in der Oberpfalz hat beschlossen, keine neuen Baugebiete auszuweisen, solange es noch freie Flächen im Ort gibt. Doch nur wenige Kommunen in Bayern gehen so behutsam mit der Landschaft um. Von den Metropolen fordert Karl, höher zu bauen, um auf den Siedlungsdruck mit mehr Wohnungen zu reagieren. "Das Wohnungsproblem lässt sich nicht mit Einfamilienhäusern lösen", betont auch Grünen-Abgeordneter Hartmann. Mehr Mietwohnungen, Nachverdichtung und sozialer Wohnungsbau sieht er als Lösung. Auch das hessische Modell, die Bindung von Sozialwohnungen zu verlängern, ließe sich seiner Meinung nach auf Bayern übertragen.

Allerdings: Neubau und Nachverdichtung stoßen immer häufiger auf Widerstände. Die Akzeptanz für Bauvorhaben sei oft nicht da, betont Blume. Es gebe eine große Sorge um die Einzigartigkeit der Stadtlandschaft und die knappen Grünflächen, die nicht komplett bebaut werden dürften. Doch Blume diagnostiziert auch eine gewisse "Schizophrenie, was Heimat ausmacht", denn "die Leute stimmen mit dem Einkaufswagen ab", so seine Befürchtung. Viele Bürger wünschten sich eine intakte Kulturlandschaft - und gleichzeitig den großen Discounter in der Nähe.

Architekt Thorsten Glauber von den Freien Wählern (FW) glaubt nicht, dass sich mit staatlich verordnetem Wohnungsbau die Lücke von 70 000 bis 100 000 fehlenden Wohnungen in Bayern schließen lässt. Stattdessen will der FW-Politiker mit besseren Abschreibungsmodellen mehr private Investoren für den Wohnungsbau gewinnen. Glauber kritisiert die fehlende architektonische Qualität in vielen Nachverdichtungsprojekten. Auch auf die Energieeinsparverordnung (EnEV) ist der Architekt nicht gut zu sprechen. Auch deshalb wünscht er sich, dass sich die Architektenkammer stärker in die Politik einmischen und mit ihren Themen präsent sein sollte.

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Quelle:
SZ vom 08.12.2017
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