Süddeutsche Zeitung

Vermögenssteuern im Vergleich:Reichenparadies Deutschland

In keinem großen Industriestaat werden Vermögen so gering besteuert wie hierzulande. Die britische Regierung etwa verlangt ihren "Reichen" sechs Mal so viel ab wie die deutsche. Für die Berater von Finanzminister Schäuble ist das allerdings noch lange kein Grund für eine radikale Reform.

Von Claus Hulverscheidt, Berlin

Es gibt Schaubilder, deren zentrale Botschaft erscheint so klar und unmissverständlich, dass man sich gar nicht vorstellen kann, wie sich daran ein Streit entzünden kann. Die Grafik der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die im neuen Monatsbericht des Bundesfinanzministeriums gezeigt wird, ist so eine: Sie gibt Auskunft, welches OECD-Land seinen gut betuchten Bürgern wie viel an vermögensbezogenen Steuern abknöpft. Der Befund ist eindeutig: Gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist die Quote in keinem großen Industriestaat so niedrig wie in Deutschland.

Unter allen 34 OECD-Mitgliedern liegt die Bundesrepublik mit einem BIP-Anteil von gerade einmal 0,6 Prozent auf Platz 25. Der Durchschnitt beträgt 1,3 Prozent, und vorne liegen nicht etwa die Sozialstaatsbefürworter aus Frankreich, sondern ausgerechnet die Gralshüter des Kapitalismus: Großbritannien mit 3,6, Kanada mit 3,3 und die USA mit 3,2 Prozent. Die britische Regierung verlangt ihren "Reichen" also sechs Mal so viel ab wie die deutsche.

Nun könnte man meinen, das Finanzministerium nutze die Zahlen, um seine eigene Politik zu hinterfragen. Doch dem ist nicht so: Was folgt, ist vielmehr eine Rechtfertigungsarie, die der wissenschaftliche Beirat des Ministeriums verfasst hat. Er verweist darauf, dass der Wert etwa in Großbritannien nur deshalb so hoch sei, weil dort Immobilien, also vor allem Grundstücke und Häuser, stark belastet würden. Bei den Einnahmen aus der Erbschafts- und Schenkungssteuer liege Deutschland hingegen an elfter Position. Dass jedoch allein das Erbschaftssteueraufkommen in Belgien so hoch ist wie die Summe der vermögensbezogenen Steuern hierzulande insgesamt, wird nicht weiter ausgeführt. Gleiches gilt für die Tatsache, dass Luxemburg und die Schweiz eine echte Vermögenssteuer mit einem Volumen von zwei beziehungsweise mehr als einem Prozent der Wirtschaftsleistung erheben. Stattdessen wird erwähnt, dass in Deutschland stärker über die Einkommenssteuer umverteilt werde als in vielen anderen Ländern.

Immerhin: Die Berater von Finanzminister Wolfgang Schäuble halten eine Reform der Erbschafts-, der Einkommens- und der Grundsteuer zumindest für denkbar, um das Vermögen im Land anders zu verteilen. Die Rückkehr zu einer echten Vermögenssteuer aber lehnen sie strikt ab.

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SZ vom 21.12.2013/mike
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