USA gegen Deutschland:Der große Streit

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Zwei Länder, zwei Ideen: Kanzlerin Merkel will sparen, um die Folgen der Krise zu bewältigen. US-Präsident Obama aber pocht darauf, dass Deutschland mehr Geld ausgeben sollte, um die Wirtschaft in Schwung zu bringen. Wer hat recht?

Nikolaus Piper

Es war noch im alten Bonn, als der Begriff des "Kaputtsparens" erfunden wurde. Seither muss sich jeder Finanzminister den Vorwurf anhören, er übertreibe es mit dem Sparen und mache so die Wirtschaft kaputt.

Die USA und Deutschland streiten sich um den Weg aus der Krise. (Foto: ag.ap)

US-Präsident Barack Obama dürfte zwar noch nie von Kaputtsparen gehört haben, aber in der Sache wirft er der Bundesregierung genau dies vor. In einem offenen Brief an die Staats- und Regierungschefs der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer warnte er davor, Konjunkturprogramme zu schnell zu kürzen und so eine neue Rezession auszulösen. Sparpolitik müsse sich an den "Bedürfnissen der Weltwirtschaft" orientieren. Deutschland wird in dem Zusammenhang zwar nicht genannt, aber es ist klar, wer gemeint ist.

Zwischen Berlin und Washington hat sich eine tiefe Kluft aufgetan: Die Deutschen wollen sparen und die Finanzmärkte bestrafen; die Amerikaner werfen ihnen indes vor, sich auf Kosten anderer zu sanieren, sprich: zu sparen, zu exportieren, aber nicht zu importieren. Auf dem Gipfel der G-20-Staaten, der am Donnerstag in Toronto beginnt, dürfte der Streit ausgetragen werden.

Das Treffen wird deswegen nicht scheitern, aber das Thema absorbiert Kräfte, die eigentlich für die Reform der Finanzmärkte benötigt würden. Die Deutschen werden sich auch deshalb in einer unbequemen Position befinden, weil die größte Exportmacht der Welt, China, vor dem Gipfel geschickt der amerikanischen Kritik ausgewichen ist. Die Führung in Peking ließ erkennen, ohne dabei allzu präzise zu sein, dass sie die eigene Währung ein wenig aufwerten und so Druck von der US-Handelsbilanz nehmen wird.

In dem deutsch-amerikanischen Streit sind drei Dinge zu unterscheiden: Geschichte, amerikanische Innenpolitik und ökonomische Fakten. Dabei ist die Geschichte nicht der unwichtigste Teil. Das zentrale Trauma der deutschen Wirtschaftsgeschichte ist die Hyperinflation von 1923, die alle Ersparnisse der Mittelschicht ausgelöscht und ganze Gesellschaftsgruppen reif für Hitler gemacht hatte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg lernten die Deutschen den Segen stabilen Geldes kennen: Erst kam die D-Mark, dann die Demokratie, dann der Wohlstand. Deshalb hat die Euro-Krise bei den Deutschen eine fundamentale Angst um ihr Geld ausgelöst - was kein Politiker ignorieren kann.

Die zentrale Katastrophe der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte ist dagegen die Große Depression von 1929 bis 1933. Jeder US-Politiker wird alles daran setzen, eine Wiederholung jener düsteren Jahre, in denen der amerikanische Traum am Ende schien, zu verhindern. Auch deshalb begann Obama seine Amtszeit mit einem großen Konjunkturprogramm, und deshalb fordert er jetzt Wachstum ein.

Amerika ist aber auch ein tief gespaltenes Land. Die Lehre, die Obama aus der Geschichte gezogen hat - der Staat soll klotzen, nicht kleckern - wird nur von der Hälfte der Öffentlichkeit geteilt. Die andere Hälfte will das Gegenteil: den Rückzug des Staates und Steuersenkungen. Die Republikaner mobilisieren diese Bevölkerungsgruppe, um den Demokraten bei der Kongresswahl im Herbst eine schwere Niederlage zuzufügen. Insofern ist Obamas Brief an die G-20-Staaten auch ein Stück Wahlkampf.

Was den ökonomischen Gehalt des Streits angeht, ist die Theorie kaum umstritten: Die Staatshaushalte müssen saniert werden, aber nicht zu früh, um den Aufschwung nicht zu gefährden. Die große Frage lautet: Was ist "zu früh"? Eine vorzeitige Sparpolitik kann eine neue Rezession auslösen: so geschehen 1937 unter Präsident Franklin Roosevelt in den USA und 1997 in Japan. Die Schuldenkrise in Südeuropa zeigt aber auch, dass "zu spät" gespart werden kann.

Vor diesem Hintergrund ist die deutsche Haushaltspolitik besser, als sie im Streit nun dargestellt wird. Das öffentliche Defizit, bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt, wird in diesem Jahr noch einmal steigen. Der Staat erhöht also seinen Beitrag zur gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. Erst im nächsten Jahr wirkt die Sparpolitik.

Gegen diesen Zeitablauf lässt sich aus weltwirtschaftlicher Sicht kaum etwas sagen. Das ändert aber nichts daran, dass die Kombination aus niedrigem Wachstum und wachsenden Exportüberschüssen gefährlich ist - wirtschaftlich für Europa und den Rest der Welt, politisch für Deutschland.

Es gibt hier kein einfaches Rezept. Die Bundesregierung darf sich nicht auf eine dauerhafte Schuldenpolitik einlassen, und sie kann die Deutschen nicht zu mehr Konsum zwingen. Sie kann aber Wachstumsbremsen lösen und Irritationen ausräumen. Sie kann Investitionen fördern und die lange verschleppte Sanierung des Bankensektors vorantreiben. Und sie sollte auf Alleingänge (wie beim Verbot von Leerverkäufen) verzichten.

Das bei weitem größte Wachstumsrisiko liegt gegenwärtig darin, dass Frankreich und Deutschland bei der Lösung der Euro-Krise versagen und einen neuen globalen Flächenbrand auslösen. Die Bundeskanzlerin wird ihren Beitrag zu Wachstum dann leisten, wenn sie in Toronto klar macht, dass die Rettung des Euro im ureigenen nationalen Interesse Deutschlands liegt, und dass sie dieser Aufgabe andere Ziele unterordnet.

© SZ vom 23.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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