Süddeutsche Zeitung

USA: Abschlussbericht zur Finanzkrise:Entfesselte Profitsucht

Politiker in den USA wie in Europa brauchen den Mut, die Finanzmärkte anzugehen - damit sich der Crash nicht wiederholt. Vor allem aber gilt: Sie dürfen sich nicht von der Branche einseifen lassen.

Alexander Hagelüken

20 Monate haben sie geprüft, Hunderte Zeugen gehört, Tausende Akten gelesen. Monumental untersuchte ein Ausschuss des US-Kongresses jenes Ereignis, das die Weltbevölkerung in den vergangenen Jahren beeinflusste wie kaum ein anderes: die große Finanzkrise. Das Ergebnis ist bitter für Millionen Menschen, die mühsam erspartes Geld oder ihren Job verloren haben - oder als Steuerzahler jahrzehntelang staatliche Schuldengebirge abtragen werden. Denn es hätte gar nicht sein müssen. Die Bilanz der US-Kommission lautet: Die Finanzkrise war vermeidbar. Hätten zentrale Akteure in der Firmen- und der Politikwelt anders gehandelt, wäre die Katastrophe dem Globus wohl erspart geblieben.

Der Abschlussbericht des Kongresses zeigt, dass es keinen Sinn hat, mit dem Finger nur auf die Banker oder nur auf die Politiker zu zeigen. Beide gemeinsam hoben sie das Finanzsystem aus den Fugen. Die Geldhäuser durch eine entfesselte Profitsucht, die im Dienste der Gier immer größere Risiken in immer intransparenteren Produkten anhäufte, bis am Ende alles in die Luft flog. Und die Politiker durch falsch verstandenen Liberalismus. Ja, Märkte brauchen Entfaltung, um im Dienst der Menschen größtmöglichen Wohlstand zu erzeugen. Aber die Märkte brauchen auch Grenzen, um Schaden von der Allgemeinheit abzuwenden.

Dieses Prinzip hat US-Präsident George W. Bush verletzt. Er nahm den Staat an die Leine, um den Bankern freien Lauf zu lassen. Die Geldhäuser mussten trotz immer gefährlicherer Geschäfte nicht das nötige Kapital anhäufen, das sie im Moment der Krise gestützt hätte - diese Aufgabe fiel den Steuerzahlern mit milliardenschweren Rettungspaketen zu. Die US-Behörden versäumten es auch, die Inflation an giftigen Wertpapiere zu verhindern und scharfe Regeln für Kredite einzuführen. Ex-Notenbankchef Alan Greenspan, der durch billiges Geld einen trügerischen Boom erzeugte, steht auch als Bankenregulierer schwach da.

Der größte Absturz des Finanzsystems seit 80 Jahren sollte Anlass genug sein, gemeinsam an der Verhinderung des nächsten Desasters zu arbeiten. Doch Amerika ist politisch zerrissen. Demokraten und Republikaner einigen sich nicht auf eine Version des Untersuchungsberichts. Zu gerne möchten die Konservativen die Schuld für die Krise allein auf die finanzielle Förderung armer Hausbauer schieben, um ihre Ideologie vom überbordenden Staat zu bestätigen. Ein peinliches Eingeständnis der Verblendung: Die Lehre aus der Krise kann doch nicht "noch weniger Staat!" lauten. Es war ja gerade die ideologisch motivierte Deregulierung, die die Krise befeuerte.

Die Lehre aus der Krise heißt aber auch nicht einfach "mehr Staat!" Die Finanzbranche muss nicht einfach mehr, sondern besser kontrolliert werden. Ein Beispiel dafür ist die Erhöhung des Eigenkapitals der Banken für ihre Geschäfte: Sie bietet jenseits aller Ideologie einen wirksamen Schutz dagegen, dass Geldhäuser beim ersten Sturm umfallen.

Es gibt leider viele Bereiche, in denen die Kontrolle der Finanzbranche unausgegoren erscheint. Nach wie vor können sich große Banken darauf verlassen, dass sie im Zweifel der Staat rettet, weil sonst das Finanzsystem wankt - eine Einladung zu riskanten Geschäften. Nach wie vor ist der Anspruch uneingelöst, den die 20 großen Industrienationen nach der Krise formulierten: die Kontrolle jedes Finanzgeschäfts, egal von welchem Akteur in welchem Land. Schattenbanken außerhalb des regulierten Sektors wie Hedgefonds oder Private-Equity-Gesellschaften haben in den USA bereits höhere Schulden als die klassischen Geldhäuser selbst. Da baut sich eine neue Gefahr auf, deren Dimension gewaltig erscheint.

Teurer Lobbyismus

Politiker in den USA wie in Europa brauchen den Mut, die Finanzmärkte anzugehen - und sie dürfen sich nicht von der Branche einseifen lassen. In den Jahren vor der Finanzkrise investierten US-Banken fast drei Milliarden Dollar in Lobbying. Die Rechnung bezahlte am Ende der Steuerzahler.

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SZ vom 28.01.2011/mel
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