US-Notenbank:Neues Feindbild - die Fed

Die Zentralbank verliert in den USA an Vertrauen. Zum ersten Mal seit der Großen Depression drohen tiefgreifende Einschnitte in ihre Kompetenzen.

Moritz Koch

Wer nach den Ursachen der Jahrhundertkrise sucht, hat freie Auswahl auf dem Jahrmarkt der Ideen. Viele Ökonomen machen billiges Geld für die Misere verantwortlich. Die meisten Politiker schieben die Schuld gierigen Bankern in die Schuhe. Ebenfalls im Angebot sind: Schläfrige Kontrolleure, kaufwütige Amerikaner und unfaire Chinesen. Der amerikanische Blogger und Autor Barry Ritholtz bietet eine weitere Erklärung: Am Anfang vom Ende der Prosperität, behauptet er, stand die Gründung der Zentralbank. Die Federal Reserve habe den Kapitalismus verraten.

Federal Reserve, AP

Am Anfang vom Ende der Prosperität, behauptet Autor Barry Ritholtz, stand die Gründung der Zentralbank.

(Foto: Foto: AP)

Ritholtz' Thesen mögen absurd klingen, aber sie haben eine enorme Resonanz gefunden, sogar in Washington. Zum ersten Mal seit der Großen Depression drohen der Fed tiefgreifende Einschnitte in ihre Kompetenzen. Im Kongress formiert sich eine Mehrheit gegen die Zentralbank. Fed-Chef Ben Bernanke wehrt sich nach Kräften, doch sein Rückhalt schwindet. Die Zentralbank ist in den USA unbeliebter als die Steuerbehörde IRS. Nur noch 30 Prozent der Amerikaner glauben, dass die Fed einen guten Job macht.

Der Kongress reagiert auf diese populistischen Impulse. Und es gibt Politiker, die selbst Ritholtz moderat erscheinen lassen, etwa den texanischen Abgeordneten Ron Paul. Der Republikaner und gescheiterte Präsidentschaftsbewerber pflegt seit jeher eine ausgeprägte Fed-Phobie. Seiner Ansicht nach muss die Zentralbank abgeschafft und das Land zurück zum Goldstandard geführt werden. Lange galt Paul als komischer Kauz der Währungspolitik. Doch am vergangenen Donnerstag gelang dem Außenseiter ein Coup.

Trotz eindringlicher Warnungen des Establishments, angefangen bei Bernanke über seine Amtsvorgänger Alan Greenspan und Paul Volcker bis hin zu Präsident Barack Obama stimmte der Finanzausschuss des Abgeordnetenhauses für einen von Paul eingebrachten Gesetzentwurf, der die Fed einer parlamentarischen Aufsicht unterwerfen will. Paul hofft auf einen Dammbruch, eben das befürchtet die Fed. Selbst im Senat, wo gemäßigtere Politiker den Ton angeben, wächst der Widerstand gegen die Zentralbank. Der Bankenausschuss will Bernanke weitreichende Kontrollbefugnisse für das Finanzsystem wegnehmen.

Nicht Wahlversprechen finanzieren

Die Feindseligkeiten gegen die Fed beunruhigen Ökonomen. "Geldpolitik funktioniert nur dann, wenn sich Politiker aus ihr heraushalten", mahnt Beth Ann Bovino, Volkswirtin bei Standard & Poor's. Zentralbanken schweben in reichen Ländern aus gutem Grund über den Niederungen der Tagespolitik. Ihre Zinsentscheidungen sollen dem Wohle der gesamten Wirtschaft dienen, nicht den Wiederwahlinteressen einzelner Politiker.

Notenbanker sollen Inflation bekämpfen, nicht Wahlversprechen finanzieren. Die Angriffe auf die Fed kommen zu einer Zeit, in der die Zentralbank ihre Unabhängigkeit dringender benötigt denn je. Die gewaltigen Staatsschulden dürften schon bald das politische Denken bestimmen. Nach Berechnungen der Regierung wird die jährliche Zinslast in zehn Jahren auf 700 Milliarden Dollar steigen. Die Versuchung, die Fed dazu zu drängen, die Zinserhöhungen zu vertagen und eine Inflation in Kauf zu nehmen, könnte schon bald einen unwiderstehlichen Reiz auslösen.

Neue Nahrung bekommt der Ärger über die Fed durch ein Gutachten über die Rettung des Versicherungskonzerns AIG. Darin heißt es, die Notenbanker seien viel zu großzügig mit Verhandlungspartnern von AIG umgegangen, etwa Goldman Sachs und der Deutschen Bank. Die amerikanischen Steuerzahler seien unnötig stark belastet worden. Im Weißen Haus wird die Debatte mit gemischten Gefühlen betrachtet. So gefährlich die Kontrollwut des Kongresses auch sein mag - ganz ungelegen kommt die Fed-Kritik für Obama nicht. Der Präsident will eine Verbraucherschutzbehörde für Finanzprodukte gründen. Bernanke versucht, den Plan zu verhindern, da die Fed für seine Umsetzung Kompetenzen abgeben müsste. Doch nun lichten sich im Kapitol die Reihen seiner Unterstützer. Obamas Reform hat gute Chancen, verwirklicht zu werden.

Die Verbraucherbehörde gilt als Beispiel dafür, dass nicht alles, was derzeit in Washington diskutiert wird, unvernünftig ist. "Vor der Krise hat die Fed dabei versagt, Amerikaner vor Spekulationsblasen zu schützen", sagt die Volkswirtin Bovino. Auch ein weiteres Vorhaben erachten viele Experten als richtig. In beiden Kammern des Kongresses wird an einem Gesetz gearbeitet, das die Rolle privater Banker in der Fed beschränken soll.

Erst im Mai musste Goldman-Sachs-Direktor Stephen Friedman von einem Kontrollposten bei der Fed zurücktreten. Zuvor war bekannt geworden, dass Friedman mit Goldman-Aktien handelte, während er an Entscheidungen beteiligt war, die das Schicksal der Investmentbank beeinflussten.

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