US-Lebensversicherungen:Todsichere Geschäfte auf dem Sterbebett

Todsichere Rendite: US-Investoren nutzen Sterbenskranke, um kräftig Kasse zu machen. Die Zeche zahlen Lebensversicherungen.

Krankheit im Endstadium? 2000 Dollar - sofort in bar!

US-Lebensversicherungen: Profitgierige Investoren nutzen die Lücken bei US-Lebensversicherungen. Todkranke profitieren von dem Geschäft zwar in geringem Ausmaß - dennoch ist die Empörung bei Betroffenen groß.

Profitgierige Investoren nutzen die Lücken bei US-Lebensversicherungen. Todkranke profitieren von dem Geschäft zwar in geringem Ausmaß - dennoch ist die Empörung bei Betroffenen groß.

(Foto: Foto: dpa)

So lautete das Versprechen einer Anzeige, die in den Jahren 2007 und 2008 in einer amerikanischen Kirchenzeitung erschien. Das Geld komme von Wohltätigkeitsorganisation, die Todkranken finanzielle Hilfe leisten wolle, so die Annonce weiter.

Einem Bericht des Wall Street Journal zufolge stand hinter der Anzeige tatsächlich aber kein Mitleid - sondern der ausgeklügelte Investmentplan des Anwalts Joseph Caramadre aus dem US-Bundesstaat Rhode Island.

Caramadre habe die Todkranken dafür rekrutiert, förmlich todsichere Investments auf dem Aktienmarkt zu platzieren, so die Zeitung. Der Anwalt und andere Investoren sollen dabei Dutzende Millionen Dollar in Lebensversicherungspolicen gesteckt haben. Das Kalkül dabei: Wenn die Todkranken schließlich starben, sollte für die Anleger ein satter Profit herausspringen.

Wie ein Rentensparplan

Caramadre machte sich dabei eine Besonderheit des amerikanischen Marktes für Lebensversicherungen zunutze, so das Wall Street Journal. Bestimmte Policen sind dort zwar formal Lebensversicherungen, funktionieren aber - ähnlich wie in Deutschland - wie ein steuerbegünstigter Rentenansparplan. Nach der Pensionierung kann der Versicherungsnehmer sein investiertes und verzinstes Geld entweder abheben, eine jährliche Rente beziehen oder den Betrag für seine Erben liegenlassen.

Interessant wird die Sache für professionelle Investoren durch die häufig vereinbarte "Geld-Zurück-Garantie", die sogenannte "Leistung im Todesfall" (Death Benefit). De facto erhalten die Versicherungsnehmer oder deren Erben dabei die Garantie, mindestens das eingezahlte Geld abzüglich der Abbuchungen zurück erstattet zu bekommen.

Das gilt auch für fondsgebundende Lebensversicherungen, die am Aktienmarkt investiert sind. Wenn der Versicherungsnehmer also eine Million Dollar eingezahlt hat, bekommen die Erben eine Million Dollar zurück, auch wenn der Aktienmarkt eingebrochen sein sollte. Für die Versicherungen lohnte sich dieses Geschäft in der Regel, weil sie im Lauf der jahrelangen Versicherungsdauer deftige Gebühren einstrichen.

Markante Unterschiede zu klassischen Produkten

Caramadre, der sich auf das genaue Lesen von Versicherungspolicen spezialisiert hat, habe schon vor 15 Jahren herausgefunden, dass sich diese Form von Lebensversicherung in zwei Punkten markant von klassischen Produkten dieser Art unterscheide, so das Wall Street Journal.

Da die Versicherer selbst ihr Produkt mehr als ein Investmentangebot als eine Versicherung betrachteten, kümmerten sie sich häufig nicht um die Gesundheit des Versicherungsnehmers. Als wichtiger noch habe sich aber ein weiteres Leck erwiesen. Denn bei Versicherungsnehmer und Käufer der Police kann es sich oft um zwei verschiedene Personen handeln. Die Versicherungen verzichten dabei häufig auf eine Prüfung, in welchem persönlichen Verhältnis diese beiden Parteien zueinander stehen.

Diese Vertragslücke habe sich Caramadre zunutze gemacht, schreibt das Wall Street Journal. Denn je kürzer die Lebenserwartung des Versicherungsnehmers war, umso profitabler wurde der Death Benefit. Praktisch verwandelte sich dadurch ein extrem langfristig angelegtes Finanzprodukt mit hohen Gebühren in ein kurzfristiges Investment mit hohen Rendite-Chancen am Aktienmarkt - und das ohne Ausfallrisiko.

"Jeder machte Geld"

Denn wenn die Aktien stiegen, strich der Investor den Gewinn ein. Fielen sie hingegen, war die Versicherung für die Verluste zuständig, schließlich gab es die vertraglich vereinbarte "Geld-Zurück-Garantie". Der todkranke Versicherungsnehmer selbst wurde mit einem kleinen Almosen abgespeist.

Konkrete Erfahrungen mit dieser Art von Geschäft machte nach Angaben des Wall Street Journals der Autohändler Dan Bulpitt aus Rhode Island. Als seine Frau Sandra im Jahr 2008 mit Magenkrebs im Sterben lag, sei ein Angestellter Caramadres vorstellig geworden - die Bulpitts hatten auf die Anzeige in dem Kirchenblatt geantwortet.

Bei einem ersten Besuch habe der Abgesandte des smarten Anwalts einen Betrag von 1000 Dollar übergeben. Bei einer zweiten Visite seien dann 5000 Dollar geflossen. Die Zahlung sei mit "Menschenliebe" begründet worden. Sandra Bulpitt, die massiv unter Medikamenteneinfluss stand, habe lediglich einige Unterschriften für eine Spendenbescheinigung beim Finanzamt unterschreiben sollen, so das Wall Street Journal.

"Nur Drecksäcke benutzen Kranke"

Vier Monate später sei Sandra Bulpitt tot gewesen und es sei deutlich geworden, was sie wirklich abgezeichnet habe. Denn da habe der Caramadre-Mann die Police dem niederländischen Versicherungsmulti Aegon NV präsentiert und eine Million Euro plus Zinsen gefordert. Dieser Betrag war zunächst auf den Namen der Verstorbenen zwar eingezahlt worden, doch da der Aktienmarkt einbrach, war der ursprünglich angelegte Betrag nicht mehr vorhanden. Für den Verlust zuständig sei zunächst Aegon gewesen.

Der Versicherungskonzern klagte und erhielt vor Gericht Unterstützung von Sandra Bulpitts Ehemann Dan: "Ich glaube, nur Drecksäcke benutzen Kranke, die derartig leiden, so massiv aus." Weder er noch seine Frau hätten gewusst, was sie da unterschrieben hätten.

Caramadres Anwalt Robert Flanders habe dieser Version allerdings widersprochen, so das Wall Street Journal. Jeder, der unterschrieben habe, sei vollständig informiert worden. "Das war das Gegenteil von Bernie Madoff. Jeder der mit Caramadre in Berührung gekommen ist, machte Geld", so der Anwalt. Der US-Finanzjongleur Bernard Madoff war im vergangenen Jahr zu einer 150-jährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden, weil er mit einem betrügerischen Scheeballsystem einen Schaden von circa 50 Milliarden Dollar verursacht hatte.

Etliche Verfahren anhängig

Bulpitt, der seinen Job aufgegeben hatte, um seine Frau zu pflegen, habe dem nicht widersprochen: "Das Geld wurde definitiv gebraucht", so der zweifache Familienvater, der in der Leidenszeit seiner Frau auf Lebensmittelmarken angewiesen war.

Inzwischen seien gegen Caramadre und seine Kompagnons etliche Verfahren anhängig. Gerichtsunterlagen zufolge sollen sie allein mit Aegon und dem US-Versicherungskonzern Nationwide Mutual Insurance Policen im Wert von 50 Millionen Dollar abgeschlossen haben.

Wer sich am Schluss juristisch durchsetzt, sei aber völlig offen. Die Fälle berührten bislang rechtsfreien Raum, so das Wall Street Journal unter Berufung auf Versicherungsexperten.

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