US-Finanzminister Timothy Geithner:Der Blitzableiter

US-Finanzminister Timothy Geithner steht zwischen den Fronten: Viele sehen ihn als Handlanger der Wall Street, andere als deren Feind.

Nikolaus Piper

Die Stimmung ist feindselig an diesem Morgen auf dem Kapitol. Timothy Geithner muss aussagen vor dem gemeinsamen Wirtschaftsausschuss von Senat und Repräsentantenhaus. Es geht um die Regulierung der Finanzmärkte, aber auch um die bedrohlich steigende Arbeitslosigkeit, um das Rekorddefizit von 1,2 Billionen Dollar im Staatshaushalt und die Abermilliarden, die bisher in die Rettung der Wall Street geflossen sind.

US-Finanzminister Timothy Geithner: In einer schwierigen Position: US-Finanzminister Timothy Geithner.

In einer schwierigen Position: US-Finanzminister Timothy Geithner.

(Foto: Foto: AFP)

"Die Öffentlichkeit hat jedes Vertrauen verloren, dass Sie fähig sind, ihren Job zu machen," giftet der republikanische Abgeordnete Kevin Brady aus Texas. Der sonst eher ruhige und schüchterne Geithner bellt zurück: "Ich übernehme keine Verantwortung für die Erblast der Krisen, die Sie diesem Land hinterlassen haben."

Nicht mehr Bushs, sondern Obamas Krise

Wenn jemand die Stimme erhebt, zeugt dies meist von Unsicherheit, und Timothy Geithner, der 48 Jahre alte Finanzminister von Präsident Barack Obama, hat Grund unsicher zu sein. Den regierenden Demokraten sind bei den letzten Wahlen in Virginia und New Jersey die Wähler davongelaufen, die Wirtschaftskrise ist heute nicht mehr Bushs, sondern Obamas Krise. Und Geithner zum Blitzableiter geworden, nicht nur für den Zorn der Republikaner, sondern auch den der eigenen Leute.

Peter DeFazio, ein linker Demokrat aus Oregon, forderte bereits den Rücktritt des Ministers, weil dieser der Wall Street zu nahe stehe.

Auch sonst gibt es schlechte Nachrichten für Geithner. Neil Barofsky, der Inspektor für das Bankenrettungs-Programm Tarp, wirft Geithner schwere Versäumnisse bei der Rettung der Versicherung AIG im vergangenen September vor.

Die ganze Aktion sei eine "Hilfe durch die Hintertür" für die großen AIG-Kunden, darunter Goldman Sachs und die Deutsche Bank, gewesen, heißt es in in Barofskys Bericht. Aber auch die Mächtigen in den Banken scheinen mit Geithner nicht zufrieden zu sein.

Die US-Handelskammer startete eine viele Millionen Dollar teure Kampagne gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung Obama. Hauptkritikpunkt dabei ist, neben der Gesundheitsreform, Geithners Plan, eine Verbraucherschutzbehörde für den Finanzmarkt zu installieren.

Der Schlüssel zum Verständnis des Streits um Geithner liegt aber weniger in seiner gegenwärtigen Politik, als in seiner Vergangenheit. Der Minister hat selber nie bei einer Wall-Street-Firma gearbeitet. Seine Karriere startete er in der Kanzlei von Ex-Außenminister Henry Kissinger; später war er Abteilungsleiter und Staatssekretär im US-Finanzministerium und arbeitete als Ökonom für den Internationalen Währungsfonds.

Besonderheiten des Federal Reserve Systems

Auf Empfehlung seines Mentors, Ex-Finanzminister Robert Rubin, wurde er 2003 schließlich Präsident der Federal Reserve Bank of New York. An dieser Stelle sind nun einige Besonderheiten des Federal Reserve Systems relevant.

Anders als die Europäische Zentralbank und die Deutsche Bundesbank ist die amerikanische Notenbank keine rein staatliche Organisation. Zwar wird der Rat der Fed vom Präsidenten ernannt und vom Senat bestätigt, die Basis der Fed, also die zwölf Landeszentralbanken der USA jedoch werden von ihren Mitgliedern getragen, und das sind private Banken.

Mitglieder der New York Fed sind alle großen Banken des Bundesstaates und von Puerto Rico. An der Spitze steht ein Verwaltungsrat, der sich aus Vertretern der Banken und der Allgemeinheit zusammensetzt; derzeit gehören ihm, neben Gewerkschaftern und Professoren, Jeffrey Immelt, der Boss von General Electric, und Jamie Dimon von JP Morgan an.

Die Nähe zur Wall Street liegt in den Genen

Die Nähe zur Wall Street ist also schon in die Gene der New York Fed eingebaut. Deren Präsident soll einerseits die Wall Street überwachen, wird aber auch von der Wall Street beauftragt.

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Das kann skurrile Nebeneffekte haben. Während der Amtszeit Geithners zum Beispiel saß Richard Fuld im Rat der Fed, der Chef von Lehman Brothers. Fuld war also formell Geithners Aufseher, und einige Beobachter schlossen aus dieser Tatsache im Herbst 2008, dass Lehman niemals untergehen werde. Das sollte sich als fataler Irrtum erweisen.

Wie viele andere unterschätzte Geithner zunächst die Dimension der Finanzkrise völlig. Im März 2007 sagte er der Süddeutschen Zeitung: "Die großen Finanzinstitutionen sind viel stärker, als sie es noch vor fünf oder sechs Jahren waren."

Hinter der Entscheidung, AIG zu retten

Als diese Meinung von der Realität überholt war, entwickelte er zusammen mit Notenbankchef Ben Bernanke und dem damaligen Finanzminister Henry Paulson die Plänen zur Eindämmung der Krise. Er war dabei, als Bear Stearns gerettet und Lehman Brothers die Rettung verweigert wurde.

Vor allem stand er hinter der Entscheidung, AIG zu retten und die Ansprüche der großen AIG-Kunden komplett zu erfüllen. Das führte notwendigerweise dazu, dass das Geld der Steuerzahler direkt in die Kassen von Goldman Sachs und anderen floss. Kritiker sagen, Geithner hätte von den Kunden ein Opfer verlangen sollen; das wäre damals zu riskant gewesen, entgegnet Geithner.

Der Name Goldman ist insofern kritisch für Geithner, als sein Förderer Robert Rubin früher einmal an der Spitze der Investmentbank gestanden hatte. Mit Rubin, der zuletzt für Citigroup arbeitete, stimmte sich Geithner immer wieder ab.

Den Ernst der Lage übersehen

Auch mit anderen Größen der Wall Street traf er sich regelmäßig oder telefonierte zumindest mit ihnen: Sanford Weill, der frühere Chef von Citigroup, und dessen Nachfolger Charles Prince: außerdem Lloyd Blankfein von Goldman Sachs, Jamie Dimon und John Mack von Morgan Stanley. Trotz all der Mittagessen und Telefonate habe Geithner völlig übersehen, wie ernst die Lage bei Citi war, so die New York Times.

Aus all diesen Gründen war Geithner schon umstritten, als er am 20.Januar sein Amt antrat. Zudem war herausgekommen, dass er während seiner Zeit beim IWF zu wenig Steuern gezahlt hatte. Das führte dazu, dass ihn der Senat mit einem der schlechtesten Ergebnisse bestätigte, das je ein US-Finanzminister in der Geschichte erreicht hatte.

Gegen die Verstaatlichung der Banken

Ein entscheidendes Datum für das Geithner-Drama war der 15. März 2009. An diesem Sonntag trat das Wirtschaftsteam Obamas zusammen, um über den weiteren Kurs in der Finanzkrise zu beraten. Einige Ökonomen, darunter die Nobelpreisträger Paul Krugman und Joseph Stiglitz, hatten zuvor vehement eine Verstaatlichung der gescheiterten Banken gefordert.

Doch das Team entschied sich dagegen, wobei Präsidenten-Berater Larry Summers und Geithner den Ausschlag gabene. Sie wollten den Banken "Stress-Tests" unterziehen, aber ihnen dann die Chance geben, selbst Kapital auf dem Markt aufzunehmen. Genau dies ist dann geschehen - für Geithner ein Beleg dafür, dass sein Modell funktionierte. Paul Krugman erklärte Geithner in seinen Kolumnen in der New York Times daraufhin den Krieg.

Ein großer Stab von Beratern

Das hatte auch mit Geithners Beratern zu tun. Der Finanzminister hatte zunächst große Schwierigkeiten, führende Positionen in der Treasury zu besetzen. Deshalb heuerte er für die Rettung und Neuregulierung der Banken einen großen Stab von Beratern an.

Viele unter ihnen haben einen Wall-Street-Hintergrund, ganz einfach deshalb, weil es schwer ist, Finanzmarktexperten zu finden, die noch nie auf Finanzmärkten gearbeitet haben. Lee Sachs zum Beispiel, der das Konzept der Stress-Tests entwickelte, kommt von Bear Stearns; Lewis Alexander war früher Chefvolkswirt von Citigroup; Matthew Kabaker kommt vom Finanzinvestor Black Stone.

Der Ökonom Gene Sperling hat selber zwar nie für eine Finanzfirma gearbeitet, aber er verfolgte als Staatssekretär im Finanzministerium unter Bill Clinton eine sehr finanzmarkt-freundliche Politik. Schließlich hat auch der oberste Wirtschaftsberater im Weißen Haus, Larry Summers, zwei Jahre für einen Hedgefonds namens DE Shaw gearbeitet.

Vorerst sicher

All dies bringt Geithner in eine extrem schwierige Position. Er muss gegen erheblichen Widerstand der Wall Street ein ziemlich weit gehendes Gesetz nur Bankenkontrolle durch den Kongress bringen. Und er muss sich ständig mit dem Vorwurf auseinandersetzen, er sei eine Marionette der Wall Street.

Das Boulevardblatt New York Post spekulierte bereits über den Rücktritt und einen möglichen Nachfolger Geithners. Dies könne ausgerechnet ein Mann der Wall Street sein: Jamie Dimon, der Chef von JP Morgan Chase.

Das ist insofern bemerkenswert, als Dimon schon nach dem Wahlsieg Obamas im vorigen Jahr als Kandidat für den Posten galt. Fürs erste scheint Geithners Job allerdings noch sicher zu sein. Der einflussreiche demokratische Senator Charles Schumer hat ihn bereits ausdrücklich gestützt.

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