US-Finanzminister Henry Paulson:Revolutionär wider Willen

Ex-Investmentbanker und nun Retter der Welt: US-Finanzminister Henry Paulson hat in einer Woche das amerikanische Wirtschaftssystem verändert wie kaum ein anderer vor ihm.

Nikolaus Piper

Es war am Donnerstag voriger Woche, in den möglicherweise gefährlichsten Stunden dieses Jahres: Der amerikanische Finanzminister Henry Paulson und der Chef der Notenbank, Ben Bernanke, ließen sich ins Kapitol fahren, um in einem kleinen Kreis von Kongressabgeordneten eine Revolution zu verkünden: Die Regierung würde dem Finanzsektor für Hunderte Milliarden Dollar die faulen Kredite abnehmen. Das war zwar noch keine Verstaatlichung der Banken, aber doch so ziemlich das Gegenteil von dem, wofür die USA als Land der freien Marktwirtschaft stehen. "Was wird passieren, wenn das Gesetz scheitern sollte?", wollte ein Abgeordneter wissen. "Dann gnade uns Gott", soll der Minister geantwortet haben.

US-Finanzminister Henry Paulson: US-Finanzminister Paulson hat mit der Finanzkrise derzeit viel zu tun.

US-Finanzminister Paulson hat mit der Finanzkrise derzeit viel zu tun.

(Foto: Foto: AP)

Ein paar Stunden später, kurz vor 15 Uhr Ortszeit, meldete der Wirtschaftssender CNBC, dass die Regierung ein "bail-out", eine Rettung der Finanzwirtschaft, von Staats wegen plant. An den Börsen brach Euphorie aus, der Dow Jones schloss nach einem der wildesten Tage der Geschichte um 410 Punkte höher. Henry Merrit ("Hank") Paulson hatte die Welt verändert, noch ehe sein Gesetzentwurf im Kongress war.

Es gab keine Alternative

Über die historische Dimension lässt Paulson seither niemanden in Zweifel: Zu Euphorie gebe es keinen Anlass, ganz im Gegenteil. "Dies ist ein sehr, sehr demütigender Augenblick für die Vereinigten Staaten", sagte er am Sonntag im Fernsehsender Fox News. Er finde es "schrecklich, dass wir es tun mussten, aber es war besser als die Alternative." Die Alternative, das wäre der Zusammenbruch des Finanzsystems Amerikas, wenn nicht sogar der ganzen Welt, unter einem Berg von einer Billion fauler Kredite gewesen.

Für eine so gigantische Aufgabe wie die staatlich orchestrierte Rettung des Finanzwesens ist der 62-jährige Paulson einer der unwahrscheinlichsten Kandidaten, die man sich vorstellen kann. Andererseits ist er vielleicht genau der richtige, es kommt ganz auf die Perspektive an. Paulson ist ein Gewächs der Wall Street, er verbrachte fast sein ganzes Berufsleben dort, wo die Krise ihren Anfang genommen hat. Ehe ihn Präsident George Bush im Juli 2006 nach Washington holte, stand Paulson unangefochten an der Spitze der Investmentbank Goldman Sachs; 1999 hatte er das Traditionshaus an die Börse gebracht.

"Viel trockener Zunder"

In seiner ersten Zeit in Washington passte sein Programm durchaus in die Denkweise der Wall Street. Er wollte sich um die Regulierung des Finanzsektors kümmern, wobei es ihm nicht um mehr, sondern um weniger Regulierung ging. Konkret wollte er verhindern, dass der Finanzplatz New York gegenüber der Konkurrenz in London ins Hintertreffen gerät. Außerdem wollte er die Wirtschaftsbeziehungen zu China verbessern und den unter Bush völlig aus dem Ruder gelaufenen Bundeshaushalt sanieren.

Es ist nicht ganz klar, wann Paulson merkte, dass sein Thema ein völlig anderes sein würde. Angeblich hat er dem Präsidenten schon beim Amtsantritt gesagt: "Es gab seit langem keine Störung an den Finanzmärkten mehr, da liegt viel trockener Zunder herum." Aber noch im Herbst 2007, als die Krise längst da war, sprach er, zumindest öffentlich, nur von einer "Korrektur" der Märkte.

Lesen Sie weiter, was den Menschen Paulson ausmacht.

Revolutionär wider Willen

Die Wende kam im März. Da organisierte Paulson zusammen mit Ben Bernanke die Rettung der Investmentbank Bear Stearns. Erstmals wurde dabei das Geld der Steuerzahler aufs Spiel gesetzt, zumindest in Gestalt eines Notenbankkredits. Das Tabu war gefallen. Im August übernahm das Finanzministerium die Kontrolle bei den Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac, dann kam der Zusammenbruch von Lehman Brothers, die Rettung der Versicherung AIG und schließlich die Auffanglösung für den gesamten Banksektor für unvorstellbare 700 Milliarden Dollar.

Seit Juli arbeitet Paulson mit einem kleinen Team von Experten an der Rettung der Welt - an sieben Tagen pro Woche und gelegentlich auch 20 Stunden pro Tag, wie er dem Wall Street Journal sagte. Einige seiner Experten kommen, kein Wunder, von der Wall Street. Dazu gehören zum Beispiel Dan Jester und Steve Shafran, zwei ehemalige Goldman-Sachs-Leute. Jester ist Experte für Finanzinstitutionen, Shafran für Restrukturierungen. Noch wichtiger allerdings dürfte für ihn sein Stabschef Jim Wilkinson sein, ein Nachwuchsstar der Republikanischen Partei, der zuvor Außenministerin Condoleeza Rice beraten hat und alle und jeden in Washington kennt. Paulson, obwohl selbst Republikaner, pflegt allerdings auch gute Beziehungen zur anderen Seite, den Demokraten. Sein wichtigster Partner dort ist Barney Frank, der Vorsitzende des Bankenausschusses im Repräsentantenhaus.

Möglicherweise kommt Paulson nun zugute, dass er schon immer ein Einzelgänger war. Auch in New York schwamm er nicht mit dem Strom. Er entsagte vielen der an der Wall Street üblichen Vergnügungen: Nach einem Dinner ging er früh nach Hause, er trank nicht, spielte nicht Golf und blieb seiner Kirche, den Christlichen Wissenschaftlern, verbunden. Sein Ferienhaus baute er nicht auf Long Island, sondern in Barrington Hills, einem Kaff im Bundesstaat Illinois, wo er aufwuchs und wo heute noch seine Mutter lebt. Er wandert, beobachtet Vögel und ist Mitglied diverser Naturschutzorganisationen.

Aus Jugendzeiten - er war ein kleiner Star im Football-Team seines Colleges behielt er einen Spitznamen: "der Hammer". Wahrscheinlich braucht man auch Kämpfereigenschaften, um die Rolle eines Revolutionärs wider Willen anzunehmen. Barack Obama jedenfalls deutete an, er könne Paulson für eine Übergangszeit in seinem Team behalten.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: