Urteil des BGH:Lebensversicherer müssen bei Kündigung mehr zahlen

Golfplatz am Hinterbrühler See, 2010

Viele sorgen mit Lebensversicherungen fürs Alter vor: Golfspielerin in München

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Wer seine Police kündigt, darf nicht mit zu hohen Abschlägen abgespeist werden. Das hat der Bundesgerichtshof nun entschieden. Die Konzerne kassieren aber immer noch viel - und Betroffene müssen sich sputen.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe, und Herbert Fromme

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat Klarheit über die Rückzahlungsansprüche der Kunden geschaffen, die vorzeitig aus ihrem Lebensversicherungsvertrag aussteigen. Nach einem am Mittwoch verkündeten Urteil sind die Abschläge gedeckelt - auch dann, wenn der Verbraucher seinen Vertrag in den ersten Jahren der Laufzeit storniert. Dem Kunden muss mindestens die Hälfte des "ungezillmerten Deckungskapitals" ausgezahlt werden. Darunter ist das Guthaben zu verstehen, das der Kunde durch Prämien und Zinsen angespart hat - und zwar ohne Abzug von Abschlusskosten. (Az: IV ZR 17/13 u.114/13)

Damit werden vor allem die "Frühstornierer" deutlich besser gestellt. In einem der beiden BGH-Fälle hatte der Kunde seinen 2004 abgeschlossenen Vertrag mit der HDI-Gerling Lebensversicherung nach fünf Jahren gekündigt. Das Unternehmen überwies ihm knapp 600 Euro. Nach einem früheren Urteil des BGH überwies die Gesellschaft dann 2340 Euro zu. Das reichte den Klägern nicht. Sie wollten, dass für ihre Altverträge die seit 2008 geltenden neuen gesetzlichen Regeln analog gelten. Das lehnte der BGH ab, bestätigte aber die Regel, dass mindestens die Hälfte ohne Kostenabzug fließen muss.

Die grundlegende Entscheidung hatte sich nach mehreren Urteilen des BGH abgezeichnet. Ausgangspunkt war ein BGH-Urteil vom Juli 2012. Damals hatte das Gericht Klauseln für unwirksam erklärt, die den Unternehmen eine Verrechnung der Abschlusskosten - namentlich der Versicherungsprovisionen - mit den ersten Beiträgen erlaubt hatten. Diese in den seit 2001 abgeschlossenen Verträgen verwendeten Bestimmungen hatten zur Folge, dass der Rückkaufwert bei einer Kündigung in den ersten Jahren nur einen Bruchteil der eingezahlten Prämien ausmachte. Der vierte BGH-Zivilsenat sah darin eine unangemessene Benachteiligung der Verbraucher - ließ damals aber offen, nach welcher Formel die Ansprüche berechnet werden müssen.

Mit seiner Vorgabe, dass dafür nunmehr das halbe Deckungskapital maßgeblich ist, hat der BGH die Lücke geschlossen. Er wiederholte damit sein eigenes Urteil von 2005. Bereits damals hatte das Gericht im lang währenden Streit um dürftige Rückkaufswerte die Verrechnung der Provision mit den ersten Beiträgen für unwirksam erklärt - freilich bezogen auf die vor 2001 abgeschlossenen Lebensversicherungen. Nach dem neuerlichen Urteil gilt die Untergrenze von 50 Prozent nun einheitlich für alle von 1995 bis 2007 abgeschlossenen Verträge. Weil es sich um einen Mindestwert handelt, wird er aber nur für jene Kunden relevant, die frühzeitig aus ihrem Vertrag aussteigen, etwa, weil sie sich finanziell übernommen haben oder das Geld in eine Immobilie stecken wollen. Wenn der Rückkaufwert ohnehin über der Hälfte des Deckungskapitals liegt, bleibt es dabei.

Brisant war der BGH-Prozess deswegen, weil für die seit 2008 abgeschlossenen Lebensversicherungen eine andere Berechnungsmethode gilt. Seither schreibt das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) nämlich vor, dass die Abschlusskosten der Versicherer gleichmäßig auf die ersten fünf Jahre der Laufzeit verteilt werden. Die beiden Kläger wollten vor dem BGH durchsetzen, dass dies auch für Altverträge gelten soll. Damit scheiterten sie: Die Senatsvorsitzende Barbara Mayen verwies in der Verhandlung auf den Willen des Gesetzgebers, der eine Ausdehnung der Vorschrift auf frühere Verträge abgelehnt hatte.

Welche Auswirkungen das Urteil für die Versicherer haben wird, lässt sich nicht exakt ermitteln. Die Zahl der stornierten, also nicht bis zum Laufzeitende weitergeführten Verträge liegt bei 3,2 Millionen pro Jahr - rund 3,5 Prozent der gut 90 Millionen Lebensversicherungsverträge in Deutschland. Darin sind aber auch reine Risikopolicen ohne Kapitalansammlung enthalten. Von allen Kunden, die kündigen, haben nur ein Viertel Rückzahlungsansprüche, glauben die Verbraucherschützer.

Der Talanx-Konzern, zu dem die HDI-Gerling Lebensversicherung gehört, gab sich zufrieden. "Wir begrüßen das Urteil", so ein Sprecher. "Jetzt herrscht Rechtssicherheit." Auch der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft sieht die Branche als Gewinner. "Das Gericht hat die Lücken geschlossen, die nach Urteilen des BGH vom vergangenen Jahr entstanden waren." "Jetzt ist auch klar, dass Kunden bei Kündigung die Abschlusskosten nie komplett los sind", sagte Fachanwalt Jan Schröder von der Kanzlei Allen & Overy. Das sei wichtig für die Branche. Dort gab es Befürchtungen, die Gerichte könnten auch für ab 2008 geschlossene Verträge weitergehende Regeln festlegen.

Jetzt ist klar: Ab dann gilt die gesetzliche Regel des VVG. Die finanzielle Belastung für die Branche ist umstritten. Verbraucherschützer sprechen von Hunderten von Millionen, der GDV kann die Zahlen "nicht nachvollziehen". Allerdings zahlen die Gesellschaften ohnehin nur an Kunden, die ihre Ansprüche selbst geltend machten. Weil die Forderungen binnen drei Jahren verjähren, müssen Verbraucher, die ihren Vertrag im Jahr 2010 gekündigt haben, daher bis Ende dieses Jahres Ansprüche stellen.

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