Ursachen der Finanzkrise:"Doktrin 'Too big to fail' ist schlicht falsch"

Die USA gelten als Auslöser der Finanzkrise. Der Ökonom Ricardo Caballero erhebt Einspruch: Das Ausland ist mitschuldig, sagt er.

Paul Katzenberger

Warnsignal aus berufenem Munde: Der Ökonom Ricardo Caballero von der renommierten US-Universität Massachusetts Institute of Technology (MIT) plädiert für einschneidendere Konsequenzen aus der Finanzkrise als diese derzeit diskutiert werden.

Ursachen der Finanzkrise: Der Ökonom Ricardo Caballero sieht die USA und ihr ungehemmtes Finanzsystem nicht als alleinigen Auslöser der globalen Finanzkrise. Sein Einspruch: Das Ausland trägt eine gehörige Portion Mitschuld.

Der Ökonom Ricardo Caballero sieht die USA und ihr ungehemmtes Finanzsystem nicht als alleinigen Auslöser der globalen Finanzkrise. Sein Einspruch: Das Ausland trägt eine gehörige Portion Mitschuld.

(Foto: Foto: Massachusetts Institute of Technology)

Es sei zwar richtig, dass die Wall Street stärker reguliert werden müsse. Doch gierige Banker allein hätten das Weltfinanzsystem nicht ins Chaos gestürzt. "Weltweit gibt es stärkere ökonomische Kräfte, die diese Entwicklung ermöglicht haben", sagte Caballero zu sueddeutsche.de.

Ungestillter Hunger

Insbesondere bestehe auf der ganzen Welt nach wie vor ein ungestillter Hunger nach sicheren Finanzanlagen, der das Finanzsystem erheblich unter Druck setze, diese Investments anzubieten. Und das jenseits des wirtschaftlich vernünftigen Angebots.

Eine schärfere Regulierung der Finanzmärkte und die Bekämpfung von Auswüchsen wie exorbitante Boni, wie sie derzeit politisch durchgesetzt werden sollen, seien kein Allheilmittel. Solche Maßnahmen hätten in der Anbahnung der Finanzkrise möglicherweise zwar verhindert, dass riskante Hypothekenkredite verbrieft und als sicher erscheinende Anlagen vermarktet worden wären, räumt der 50-Jährige ein.

Doch dann hätte es eben anderswo gekracht: "Denn die stärkere Regulierung hätte bedeutet, dass die Realzinsen noch stärker in den Keller gegangen wären als dies ohnehin schon der Fall war. Allein das hätte das Finanzsystem unter Druck gesetzt, weitere Finanzanlagen zu schaffen, die zumindest sicher ausgesehen hätten."

Das überschüssige Kapital aus Ländern wie China und Saudi-Arabien hätte dadurch mit einiger Wahrscheinlichkeit eben eine andere Blase provoziert, so der gebürtige Chilene.

Von wegen "Too big to fail"

Caballero hält deswegen auch Barack Obamas Pläne für verfehlt, die amerikanischen Großbanken aufzuspalten. Der US-Präsident hatte Ende Januar angekündigt, dass den Instituten künftig nicht mehr gewährt werden solle, im klassischen Einlagengeschäft und gleichzeitig als Investmentbanken mit wesentlich riskanteren Geschäftsmodellen zu operieren.

Die Finanzkrise habe aber gar nichts mit der Verschmelzung dieser beiden Sparten zu tun, wendet Caballero ein. Vielmehr wäre seiner Meinung nach die Finanzkrise wahrscheinlich sogar wesentlich milder verlaufen, wenn jede große US-Investmentbank eine Geschäftsbank mit ihren Einlagen im Rücken gehabt hätte. De facto gelte doch vielmehr: "Die Doktrin 'Too big to fail' (Zu groß, um zu scheitern) ist schlicht falsch. Große Banken machen das System stabiler und nicht instabiler."

Was zu tun wäre

Die derzeit diskutierte Deckelung der Boni schätzt Caballero hingegen als durchaus sinnvoll ein: "Corporate Governance ist ein ernstzunehmendes Thema. Es gibt ein Problem mit der Bezahlung und den Anreizen." Hier sollten Mechanismen gefunden werden, wie die tatsächliche Leistung der Bank an die Bezahlung der Manager angepasst werden kann, sagt der MIT-Ökonom.

Dies sei deswegen wichtig, weil der private Bankensektor auch in Zukunft nicht das systemische Risiko eines globalen Finanzkollapses tragen könne: "Finanzinstitute mit hohem Fremdkapitalanteil können am Schluss nicht als Kreditgeber der letzten Instanz dastehen. Das wird auch künftig eine Aufgabe für Regierungen bleiben", so Caballero illusionslos.

Einem "Weiter so" redet der Wissenschaftler allerdings nicht das Wort: "Meine Empfehlung sieht vielmehr vor, dass sich die Banken für den Anteil des systemischen Risikos an ihren Investments fortan bei der Regierung versichern müssen." Die Kosten für diese Versicherung solle sich nicht nur an der Größe des Instituts und seiner Risikostruktur orientieren, sondern auch an der Leistung des Managements, die nur bei einer guten Corporate Governance ausreichend bewertet werden könne.

Immenser Druck

Caballero gibt zu, dass es mühselig werden könnte, sein öffentlich-privates Versicherungsmodell praktisch durchzusetzen. Möglich sei es aber allemal: "Ich habe dazu verschiedene Mechanismen vorgeschlagen." Sollte sein Vorschlag dennoch kein Gehör finden, sieht der Ökonom nur einen weiteren Ausweg, erneute Auswüchse im Weltfinanzsystem zu verhindern.

Diese Hintertür hätte allerdings einen Nachteil - sie wäre mit der Ausübung von Druck verbunden: Ausländische Investoren müssten gezwungen werden, neben Papieren höchster Bonität auch unsicherere Anlagen in den USA anzukaufen. Von ausländischen Regierungen, die sich nur mit US-Staatsanleihen und -Hypotheken eindeckten, könne beispielsweise verlangt werden, einen Teil ihrer Anlagesumme bei der US-Notenbank zu parken: "Bevor sie dann das Geld rumliegen lassen, gehen sie dann wohl lieber doch auch unsichere Investments ein."

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