Unfallrente:Der Sieben-Millionen-Euro-Fall

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Seit einem Unfall ist Sarah T. ein Pflegefall. Ihr Anwalt verlangt mehrere Millionen, doch die Versicherung blockt und fürchtet sich vor einem Grundsatzurteil zur Unfallrente.

Ralf Wiegand

Dafür, dass es um so viel geht, geschieht wenig. "Nicht ein Blatt Papier, nicht einen Telefonanruf" habe er seit dem 11. Juni erhalten, sagt Jürgen Hennemann, Fachanwalt für Versicherungsrecht aus Buchholz. Das Papier, das er erwartet, müsste von der Generali-Versicherung kommen und ein Vergleichsangebot enthalten. Mit dem Unternehmen streitet sich Hennemann im Auftrag seiner Mandantin Sarah T., 24, um die höchste je in Deutschland eingeklagte Entschädigung: 7,25 Millionen Euro. An jenem 11. Juni hatte das Hamburger Landgericht die Parteien aufgefordert, einen Vergleich anzustreben. Geschehen ist bis heute nichts. Doch nun könnte Bewegung in die Sache kommen.

Erst ein Unfall, dann ein juristisches Nachspiel - wie entscheidet das Gericht über die geforderte Zahlung im Fall Sarah T.? (Foto: Foto: dpa, Istock / Montage: Sueddeutsche.de)

Seit dieser Woche liegt Hennemann ein Gutachten des Berliner Juristen Hans-Peter Schwintowski vor, das sich mit der gesetzlichen Grundlage der spektakulären Millionenforderung auseinandersetzt: dem Paragraphen 843 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Dort ist geregelt, wann ein Opfer eine Entschädigung als Rente bekommt und wann es eine Einmalzahlung verlangen kann; nämlich dann, wenn "ein wichtiger Grund" für die Kapitalisierung vorliegt.

Fremde Hilfe - lebenslänglich

Um diesen "wichtigen Grund" geht es auch im Sieben-Millionen-Euro-Fall. Sarah T. ist seit einem Verkehrsunfall 2004 körperlich und geistig behindert, ein Pflegefall. Ihre Mutter kümmert sich um sie und Sarahs kleinen Sohn; sie leben in einer viel zu kleinen Wohnung. Sarah T. wird lebenslang fremde Hilfe rund um die Uhr brauchen, teure Therapien, eine neue Bleibe. Sie wird nie Geld verdienen. All das hat ihr Anwalt hochgerechnet - auf 7,25 Millionen Euro. Dass Sarah T. nicht ständig mit der Generali über die Rentenhöhe oder die Notwendigkeit von Behandlungen streiten muss, dass sie also mit dem sofort gezahlten Geld sofort ihr Leben planen kann, - das ist der wichtige Grund für die Einmalzahlung.

Doch die Generali lehnt das ab. "Ein außergerichtliches Angebot über eine Einmalzahlung wird es nicht geben", sagt Firmensprecher Wolfgang Leix. Er wähnt das Gericht auf seiner Seite, das als Vergleich eine Mischform empfohlen hatte: Etwa eine Million Euro sofort, zuzüglich einer Rente in zu verhandelnder Höhe. Der Großteil des Schadens würde demnach per Rente reguliert - im Sinne des Versicherers, der nicht mehr zahlen muss, sobald Sarah stirbt.

Das Gutachten könnte den Fall nun drehen: Experte Schwintowski von der Humboldt-Uni hält den Anspruch von Sarah T. für gerechtfertigt. Die Entscheidung darüber, ob ein wichtiger Grund vorliege, habe allein der Geschädigte - und nicht Versicherer oder Gerichte. Wenn der Verletzte glaube, sein Leben verlaufe günstiger, wenn sein Schaden auf einmal beglichen wird, ließe der Paragraph 843 das zu. Thorsten Rudnik, Vorstandsmitglied im Bund der Versicherten, fordert gar ein neues Gesetz. "Das Wahlrecht für den Versicherten muss klarer festgelegt werden", sagt er, um den Opfern jahrelangen Streit zu ersparen. Viele Geschädigte würden nach zermürbenden Debatten mit dem Versicherer zu niedrige Abfindungen annehmen.

Sollte der Fall Sarah T. von einem Gericht in ihrem Sinne entschieden werden, "würde das die gängige Praxis komplett ändern", sagt Rudnik - weshalb er kein Urteil erwartet. Bisher sei es stets so gewesen: Deutete sich vor Gericht ein verbraucherfreundliches Urteil an, lenkten die Versicherer ein, regulierten außergerichtlich großzügig und vereinbarten Stillschweigen. Das nächste Opfer fängt dann bei null an.

© SZ vom 21.08.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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