Unfälle im Haushalt:Mehr Tote als auf der Straße

Alles üblich zuhause: Verbrühungen, Prellungen, Stürze. Und der gefährlichste häusliche Ort ist die Küche.

Von Ingrid Brunner

Um halb fünf Uhr morgens riss heftiges Pochen an den Wohnungstüren die Hausgemeinschaft aus dem Schlaf. Da stand der Rauch schon im Korridor, die Flammen fraßen sich ihren Weg in höher liegende Stockwerke. Die Bewohner rannten im Pyjama auf die Straße und sahen fassungslos und ungläubig zu, wie das Feuer mehrere Wohnungen des Mietshauses im Hamburger Stadtteil Altona ausbrannte. Hätte nicht eine Skatrunde im obersten Stockwerk bis frühmorgens getagt und den Rauch bemerkt, wären außer dem Sachschaden wohl auch Menschenleben zu beklagen gewesen.

Unfälle im Haushalt: Passiert immer wieder: brennendes Brot im Toaster

Passiert immer wieder: brennendes Brot im Toaster

(Foto: Foto: "Das Sichere Haus e. V.")

Die Entstehung des Brandes war schnell geklärt. Eine Mieterin hatte ihre Balkonmöbel mit Leinöl imprägniert. Den ölgetränkten Lappen hatte sie in der Abstellkammer aufbewahrt. Über Nacht hatte der Lappen dann mit Sauerstoff reagiert, wobei so viel Wärme entstand, dass er sich schließlich entzündete.

Für Susanne Woelk, Geschäftsführerin der Aktion "Das Sichere Haus e. V.", kein Einzelfall: "In Schreinereien und der Holzverarbeitung kommt es immer mal wieder zu Bränden durch Leinöl. Seit die Verbraucher lieber Naturprodukte für die Holzpflege verwenden, passiert das gelegentlich auch in Privathaushalten." Dass von Leinöl eine Brandgefahr ausgehe, sei weitgehend unbekannt, sagt Woelk.

Anette S., eine Bewohnerin des ausgebrannten Mietshauses, sagt verwundert: "Auf dem Kanister steht groß drauf, dass Leinöl ein reines Naturprodukt ist, frei von Chemie und Giftstoffen. Und ganz kleingedruckt ist die viel wichtigere Info, dass es sich um selbstentzündliches Material handelt."

Mehr Tote als auf der Straße

Während Leinöl eine vielfach unbekannte Gefahr darstellt, gibt es zahlreiche Unfallquellen in den eigenen vier Wänden, die allgemein bekannt sind, aber dennoch von vielen Menschen unterschätzt und ignoriert werden.

Kabel und Putzeimer werden zu Stolperfallen, instabile Leitern führen zu folgenschweren Stürzen, unsachgemäß ausgeführte Reparaturen enden mit Stromschlägen. Die Folgen sind dramatisch: Im Jahr 2006 sind nach der Zählung des Statistischen Bundesamtes (destatis) 6455 Menschen bei häuslichen Unfällen ums Leben gekommen. Das sind mehr als im gleichen Zeitraum im Straßenverkehr (5174). Während die Zahl der Verkehrstoten kontinuierlich sinkt, steigt die Zahl der Todesopfer im häuslichen Bereich stetig an. Das lässt das Sprichwort "Zu Hause sterben die Leute" in einem ganz neuen Licht erscheinen.

Mehr Tote als auf der Straße

Eine genauere Auswertung der Statistik bringt zutage, dass mehr Frauen (3558) als Männer (2682) und mehr alte als junge Menschen unter den Unfalltoten sind: Von den Verunglückten waren mehr als 80 Prozent 65 Jahre und älter.Alles

Dies liegt zum einen an der noch immer verbreiteten Arbeitsteilung, nach der die Frauen für die Hausarbeit zuständig sind, zum anderen aber auch an der höheren Lebenserwartung der Frauen. Haupttodesursache sind - insbesondere bei den älteren Menschen - Stürze, während Kinder und Jugendliche meist durch Brände und Ersticken sowie durch Ertrinken zu Tode kommen.

Der gefährlichste Ort im Haushalt sei mit klarem Vorsprung die Küche, gefolgt von Bad und Flur, sagt Woelk. Schnittwunden, Verbrühungen, Prellungen, Stürze - dort, wo man sich am häufigsten aufhält und am meisten tut, passiert auch am meisten.

Saisonales Muster

Unfallhäufigkeit und Art der Verletzungen folgen einem saisonalen Muster. Während es im Winter und in der Weihnachtszeit die Wohnungsbrände sind, zählen in der warmen Jahreszeit zu den häufigsten Unglücken die Grillunfälle sowie Verletzungen beim Rasenmähen und Heimwerken.

Heimwerker werden unachtsam, weil sie an einem Wochenende eine Arbeit erledigen wollen, die nicht zu schaffen ist. Meist sind es - eher harmlose Blessuren - Schnitte, Prellungen und stumpfe Verletzungen. Strom- und Sägeunfälle, sagt Woelk, seien zwar gravierend, aber seltener.

Am häufigsten ziehen sich Bastler ganz unblutig einen Hexenschuss zu. Sie arbeiten - etwa beim Fußboden verlegen - in gebückter oder verdrehter Körperhaltung, auf kalten Böden und in Zugluft und klemmen sich dabei einen Rückennerv ein.

Mehr Tote als auf der Straße

Auch das nahende Frühjahr ist eine gefährliche Saison. Da wird geputzt, koste es, was es wolle, oftmals gegen jede Vernunft: Wenn keine Leiter zur Hand ist, steigen Menschen auf Blumengestelle, sogar auf Bügelbretter, hangeln sich in schwindelnder Höhe auf Fenstersimse - und retten im Sturz lieber eine Vase oder die Gardine, als Halt zu suchen. Die Folgen sind oft schwerwiegend.

Eine Ursache ist vielen Unfällen unabhängig von der Jahreszeit gemeinsam: die falsche Zeitplanung. Da wird zum Beispiel Brandbeschleuniger ins Feuer gespritzt, wenn die Grillkohle nicht schnell genug glüht und die Gäste schon mit dem Besteck klappern. Da wird weiter gehämmert und gesägt, auch wenn die Helden schon müde sind.

Und trotz aller Errungenschaften ist die Emanzipation in den Haushalten und Familien noch nicht ganz angekommen: "Besonders junge Frauen setzen sich oft selbst unter Druck, um es mindestens so gut zu machen wie ihre Mutter oder die Schwiegermutter", sagt Woelk.

Viele Unfälle in den eigenen vier Wänden ließen sich vermeiden - durch Planung, Zeitmanagement, Hilfsmittel - und durch die Einsicht, sich helfen zu lassen. Auch Wohnungsbrände müssen nicht tragisch enden: Ein Rauchmelder in der Putzkammer hätte rechtzeitig Alarm ausgelöst, als das Leinöl seine Kettenreaktion in Gang zu setzen begann.

Anette S. jedenfalls hat ihre von Grund auf renovierte Wohnung entsprechend ausgerüstet. "Rauchmelder gibt es in jedem Baumarkt, kosten nicht viel und sind leicht zu montieren. Das konnte ich selbst machen."

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