Umzugsfreundliches Möbeldesign:Das Prinzip Bauernschrank

Immer mehr Menschen müssen immer öfter umziehen. Inzwischen reagieren Möbeldesigner auf diesen Trend - mit recht ansehlichem Ergebnis und gerne ohne Schrauben.

Christiane Bertelsmann

Der natürliche Feind des Großstadtnomaden ist die Schraube. Ein harmloses, an sich nützliches Element aus der Verbindungstechnik, mit dem man Werkstücke befestigen kann. Schrankwände beispielsweise, Bettgestelle, Regale natürlich.

Möbel Umzug Stadtnomaden

Portabel: Das Küchensystem "A la carte"

(Foto: Foto: Stadtnomaden)

Für manche Schrauben braucht man nicht mal einen Schraubenzieher, um sie zu fixieren, sondern einen Winkel, der meist gleich vom Hersteller mitgeliefert wird. Eigentlich praktisch, doch was passiert, wenn nach diversen Umzügen der metallene Helfer verschwunden ist? Und kein Werkzeug zur Hand?

Doch das ist nicht die einzige Tücke beim häufigen Umziehen. Manchmal macht bei so viel Mobilität auch das Material schlapp. "Wenn man die Schrauben oft auf- und zudreht, wird das Möbelstück nicht unbedingt besser", sagt Oliver Krapf. Krapf ist Schreinermeister und staatlich geprüfter Gestalter. Umgezogen ist er in seinen 33 Lebensjahren 14 Mal.

Jetzt lebt und arbeitet er in Waiblingen bei Stuttgart - in einer gemieteten Werkstatt. Zusammen mit der Industriedesignerin Linda Altmann hat er sich darauf spezialisiert, Möbel für Menschen zu entwerfen, die häufig umziehen. "Stadtnomaden" heißt seine Firma.

Eines der Stadtnomaden-Produkte ist Tiefschlaf: Sechs Einzelschalen mit Metallfüßen, die per Druckknopf zu einem immerhin 200 mal 120 Zentimeter großen bequemen Bett zusammengefügt werden. 25 Kilogramm wiegt Tiefschlaf und passt bequem ins Auto. Auspacken, Rollmatratze drauf und gute Nacht - dieses Jahr in München, nächstes Jahr in Berlin, und ein paar Monate später vielleicht in Dresden oder anderswo.

Hauptsache, die Schrauben fehlen

Bei allem, was die beiden Möbelgestalter austüfteln, gilt das Prinzip Bauernschrank - der funktioniert auch ohne Schrauben. Leicht und einfach zu transportieren müssen die Möbel sein - und dennoch so stabil, dass es bei der ersten unfreiwillen transportbedingten Berührung mit der Wand im Treppenhaus nicht gleich splittert.

All diese Dinge haben Krampf und Altmann auch bei ihrer Kleinküche "à la Carte" bedacht. "Leider gibt es ja nicht in jeder Mietwohnung Herd und Spüle", sagt Krapf, "deshalb haben wir eine Küche konstruiert, die man überall hin mitnehmen kann."

Um Herd, Abwaschbecken und Aufbewahrungs-Modul zu transportieren, braucht es keinen Umzugswagen. Ein Auto genügt. 35 Kilo wiegt ein Block, seitlich hat er Griffe - alles sehr umzugsfreundlich. Und der Preis? "Bislang ist das noch ein Prototyp, aber wir haben so kalkuliert: Wenn Sie sich bei jedem Umzug eine Billigküche einbauen würden, haben Sie den Preis für unsere Küche nach dem zweiten Mal wieder drin."

Auf der nächsten Seite lesen Sie, warum der Hang zum häufigen Umzug nicht neu ist, und wie sich andere Designer mit dem Thema beschäftigen.

Das Prinzip Bauernschrank

Dass urbane Menschen häufig umziehen, ist kein neues Phänomen. Wenn man zurückschaut in die Zeit der Industrialisierung, kann man da die ersten Großstadtnomaden ausmachen. Menschen, die vom Land in die Stadt zogen, der Arbeit wegen. Die Städte wuchsen beträchtlich, und es kam durch die ständig steigenden Mieten zu einer Art innerstädtischen Migrationsbewegung: Der Mensch auf der Flucht vor den steigenden Mietpreisen.

Dem Job hinterher

Schon damals sprach man von sozialen Vagabunden, von Nomaden der Industrie, die ständig auf Wanderschaft waren. Was man mitnahm auf die Reise, dafür reichte oft ein Handkarren, ein paar Koffer und Rucksäcke. Oder die Familienhabe wurde kurzerhand in den Kinderwagen gepackt, das Baby auf den Arm genommen, und los ging's in die neue Wohnung. Meistens waren es ganze Familien, die den Wohnort ihren finanziellen Verhältnissen anpassen mussten.

Der moderne Nomade reist meist alleine, dem Job hinterher - denn nur wer flexibel ist, reüssiert. Und die beruflichen Mobilitätsanforderungen nehmen zu. Jeder Fünfte muss heute aus Berufsgründen seinen Wohnort wechseln. Und noch häufiger die Arbeit, besonders dann, wenn man hoch klettern will auf der Karriereleiter: eine Umfrage im Auftrag der Internetplattform Immobilienscout24 unter 100 Personalberatern ergab, dass 70 Prozent der Befragten den heutigen Einsteigern fünf oder mehr Wechsel in ihrem Berufsleben voraussagten.

Fast ein Drittel ging sogar von acht oder mehr verschiedenen Arbeitsplätzen im Laufe der Karriere aus. Das entspräche einer Verdoppelung innerhalb von sieben Jahren. Dieser Trend werde zunehmen, hieß es.

Der zeitknappe Grobmotoriker als Idealkunde

Leichtes Gepäck brauchen sie also, die Großstadtnomaden. Papp- und Aufblasmöbel können damit nicht gemeint sein, sie sind zu kurzlebig, zu instabil. Auf der diesjährigen Berliner Schau Designmai konnte man sich ein Bild davon machen, wie die mobilen Großstadtmenschen leben wollen. Was alle Entwürfe verbindet: Leichte Handhabbarkeit - auch für zeitknappe Grobmotoriker - Stabilität, gutes Design, häufig Multifunktionalität und ein Hauch Provisorisches.

So erinnert das Clipbox-System des jungen Berliner Designers Alexander Augsten an die guten alten Bananenkisten. Zwar garantiert stabiler und gut durchdesignt, aber Kiste bleibt Kiste - charmant-provisorisch. Schönes und Praktisches - wie der gerade mal fünfteilige Stecktisch des Möbeldesigners Björn Hammer - das wünschen sich nicht nur urbane Mobilitätsfanatiker.

Dass es selbst bei Großstadtnomaden manchmal nicht ohne Schrauben geht, beweist das Buchregal von Werner Aisslinger, das während des Designmais im Haus am Waldsee ausgestellt war: Der flexible Bücherhort besteht selbst aus (ausrangierten) Büchern, die in eine ausgeklügelte kreuzförmige Steckvorrichtung geschoben werden.

Damit das bunte und höchst individuelle System auch hält, benötigt man lediglich Klammern - und Schrauben. Aber die kriegt ja vielleicht sogar der Großstadtnomade eingedreht.

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