Umwelt:"Deutschland döst vor sich hin"

15 01 2015 Bottrop An der peterstrasse werden jetzt Pflastersteine verlegt die die Luft filtern und

Burkhard Drescher, 66, war Oberbürgermeister von Oberhausen. 2004 stieg er aus der Politik aus und übernahm Aufgaben in der Immobilienbranche. Seit 2011 ist er Geschäftsführer der Innovation City Management Gmbh.

(Foto: imago/biky)

Was Burkhard Drescher, Geschäftsführer der Innovation City Management GmbH, von der deutschen Klima-Technologie hält und warum die staatliche Förderbank KfW ihre Strategie unbedingt ändern sollte.

Interview von Stefan Weber

Burkhard Drescher würde hierzulande gern einiges ändern. Der Geschäftsführer der Innovation City Management GmbH (ICM), der auch schon mal Chef des börsennotierten Wohnungsbauunternehmens Gagfah war und Oberbürgermeister von Bottrop, spricht über alte Heizungsanlagen, deutsche Klima-Technologie und finanzielle Anreize für Immobilienbesitzer.

SZ: Herr Drescher, warum sind gerade Stadtquartiere für den Klimaschutz wichtig?

Burkhard Drescher: Etwa drei Viertel aller Wohngebäude in Deutschland sind älter als 30 Jahre und müssten saniert werden. Der Austausch alter Heizanlagen gegen moderne Technik ist einer der größten Hebel, die Klimaziele zu erreichen und nachhaltig Energie einzusparen.

Aber die Sanierungsrate stagniert bundesweit bei knapp einem Prozent. Von hundert Immobilien wird in jedem Jahr nur eine energetisch umgebaut. Warum ist das so?

In den Umweltämtern der Städte liegen Klimaschutzpläne, gespickt mit guten Konzepten und vielen klugen Ideen. Doch diese Pläne sind meistens nur kommunal getrieben. Die Kommunalverwaltungen allein entwickeln jedoch nicht die Schubkraft, um Tausende Menschen zu motivieren und Investoren zu aktivieren. Wir in Bottrop dagegen bringen alle an einen Tisch - Wohnungswirtschaft, Industrie, Gewerbebetriebe, Handwerker, Bürger, Politiker und Verwaltung.

Am fehlenden Know-how kann es nicht liegen. Es gibt in Deutschland zahlreiche Unternehmen, die in der Klima-Technologie weltweit vorne dabei sind.

Aber Deutschland döst vor sich hin. Unsere Strukturen sind viel zu kompliziert. Wir haben die Energiewende in Bottrop von unten, also vom Bürger her, durchdacht und setzen sie um. Wenn Politik und Industrie das nicht auch lernen, werden schon bald Google & Co. mit ihren vollautomatisierten Smart-Häusern deutsche Technologien einfach zur Seite schieben.

Benötigen Immobilienbesitzer bessere finanzielle Anreize, damit sie in eine energetische Sanierung investieren?

Bei der Förderung ist noch viel Luft nach oben. Nötig sind eine Ausweitung der Förderinstrumente und bessere Konditionen. Deshalb hat die Stadt Bottrop eine neue Förderrichtlinie geschaffen. Wenn die KfW-Bank davon Abschied nehmen würde, nur den höchsten Energiespar-Standard zu fördern und stattdessen wie wir in Bottrop auch weniger ehrgeizige Projekte unterstützen würde, wäre bereits viel gewonnen.

War das der Grund, weshalb Sie in Bottrop so viele Akteure zum Mitmachen bewegen konnten?

Sicher nicht allein deswegen. Ein entscheidender Grund war auch, dass wir die sozial Schwachen überzeugen. Wir zeigen, dass wir Warmmieten-neutrale Sanierungen initiieren können. Wir senken also die Hemmschwellen. In Bottrop hat das große Sogwirkung und einen wirklichen Aufbruch erzeugt.

Wenn ein Quartier gemessen an der Bausubstanz relativ homogen ist und große Immobilienbestände in der Hand weniger Wohnungsgesellschaften sind, ist es vergleichsweise leicht, einen klimagerechten Umbau anzustoßen.

Das mag so sein, aber wir haben es in fast allen Quartieren mit einem völlig heterogenen Baubestand zu tun. Gründerzeit neben Nachkriegssiedlung, Reihenhäuser der Achtzigerjahre neben Tankstelle, Schule, Tennishalle, Supermarkt und Gewerbebetrieb. Ebenso unterschiedlich sind die Eigentumsverhältnisse. Und bei jedem Objekt sind andere Effizienzmaßnahmen möglich und nötig - von der Dämmung bis hin zur Energieoptimierung durch Wärmekopplung, Photovoltaik, Fern- oder Erdwärme sowie neue Lichtanlagen.

Reicht eine energetische Gebäudesanierung denn, um den Ausstoß von Kohlendioxid in deutlichem Umfang zu reduzieren?

Nein, und deshalb tun wir weit mehr als das. Wir bringen mehr Grün in die Städte, entsiegeln Böden, reduzieren den Verkehr, fördern E-Mobilität und zeigen den Bürgern, wie sie in ihrem Alltag Energie sparen können. Die Quartiere sollen lebens- und liebenswerter werden.

Wie weit lässt sich das Modell Bottrop ausrollen?

Wir haben mit Bottrop einen Maßstab gesetzt und ein Konzept entwickelt, das funktioniert. Von den Instrumenten, Verfahren und Erfahrungen, die wir hier entwickelt haben, werden auch andere Kommunen profitieren. Wir sind zusammen mit unseren Partnern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik auf alle Ruhrgebietsstädte zugegangen und erstellen derzeit für zwanzig ausgewählte Stadtquartiere integrierte energetische Quartierkonzepte. Zudem sind wir in anderen Bundesländern unterwegs und verzeichnen auch Interesse aus dem Ausland. Ich bin mir sicher: Innovation City wird eine internationale Marke.

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