Umgang mit ausländischen Kunden:Sparschwein? Bei Türken problematisch

Konsumenten als Zielgruppe: Ferat Kocak, ein junger Versicherungskaufmann aus Berlin, umwirbt seine Landsleute - ganz ohne Klischees geht das kaum.

Catherine Hoffmann

"Bizim için önemli olan" - "Ihre Gesundheit ist uns wichtig", wirbt die Allianz in einem zweisprachigen Prospekt. Zu sehen ist eine sechsköpfige türkische Familie, drei Generationen sind um einen Couchtisch versammelt auf dem Çay-Tee und süße Baklava stehen. Die farbenfrohe Botschaft ist unmissverständlich: Man spricht nicht nur Deutsch in Europas größtem Versicherungskonzern. Ferat Kocak zum Beispiel, der Allianz-Manager im fliederfarbenen Hemd mit lila Krawatte, spricht auch Türkisch und sogar Kurdisch.

Umgang mit ausländischen Kunden: Ferat Kocak (r.) verkauft Versicherungen für die Allianz in Berlin.

Ferat Kocak (r.) verkauft Versicherungen für die Allianz in Berlin.

Kocak ist in Berlin aufgewachsen, genauer gesagt in Kreuzberg, dem "türkischen Ghetto", wie er selbst sagt. Seine Großeltern zogen 1968 in die Stadt, um dort zu arbeiten. Damals kamen viele türkische Familien nach Berlin, angelockt von einem Gastarbeiterprogramm und vertrieben von einem Erdbeben in ihre Heimat Ostanatolien. Ferats Vater Ali Kocak folgte wenig später, er wollte studieren.

Heute zählt Ali Kocak zur Elite der Verkäufer im Allianz-Konzern: Er ist Mitglied im legendären Heß-Club. Einlass finden dort nur die 100 besten Vertriebsleute des Unternehmens, in dem insgesamt 10.000 Versicherungsbüros um die Gunst der Kunden buhlen.

Nach dem Wirtschaftsstudium stieß auch Ali Kocaks Sohn Ferat zur Allianz. Seit kurzem überwacht er von den Treptowers am Berliner Spreeufer aus die Geschäfte von 18 Agenturen. Vor allem aber ist Ferat Kocak verantwortlich für das Projekt "We speak your language" in Berlin. Diese Sprache ist natürlich Türkisch. "Das Eis schmilzt schneller, wenn sie den Menschen kulturell nahe sind", sagt der 31-Jährige mit den fingerdünnen Koteletten, die sich bis zum Kinn hinunter ziehen. "Unter Landsleuten kann man offener über Geld reden als mit Fremden."

Bevor allerdings über Versicherungen gesprochen wird, plaudern türkische Kunden gern über Fußball, Politik, Familie, Tee, Wetter und die Heimat. Kommen sie dann endlich zum Thema, malt Kocak zwei Kreise auf seinen Block; in den einen schreibt er "Hab und Gut", in den anderen "Leib und Leben". "Der Kunde entscheidet, was ihm wichtiger ist", sagt Kocak und guckt verschmitzt. Nicht selten ist es das Auto. Also stimmt das Klischee vom Türken, der am liebsten einen dicken Mercedes fährt? Kocak lässt die Mine seines Kulis rein- und rausschnappen, bevor er zugibt: Natürlich seien Autos in der türkischen Gemeinschaft ein Statussymbol.

Zögerlich schiebt der Deutschtürke nach: "Auch ich fahr' einen Benz, mein Vater auch, und mein Onkel auch." Er weiß schon, dass ihn Kenan Kolat, der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, dafür tadeln wird. "Aber Klischees leben eben nicht nur in den Köpfen, sondern auch dort draußen in Kreuzberg", gesteht der Vertriebsprofi, der zum Verdruss seiner Mutter und trotzt seines stattlichen Einkommens noch immer in einer Studenten-WG lebt, nicht weit vom Kottbusser Tor.

Milliardengeschäfte mit ausländischen Konsumenten

Die Werbung bedient sich gern der Klischees, sie spricht gezielt türkische Großhaushalte an, schließlich verbrauchen die massenhaft Strom. Und weil die Verwandtschaft aus Istanbul oft anruft, ist die Telefonrechnung nicht gerade niedrig. Ausländische Konsumenten als Zielgruppe: Dahinter verbirgt sich ein Millionengeschäft. Rund 15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund leben in Deutschland, das ist beinahe ein Fünftel der Gesamtbevölkerung. 2,5 Millionen haben ihre Wurzeln in der Türkei. Ihr Marken- und Qualitätsbewusstsein gilt als ausgeprägt, ihr Durchschnittsalter ist jung, ihre Kaufkraft beachtlich. Es lohnt sich offenbar für Marketingexperten, ethnische Zielgruppen anzupeilen.

Marktstand in Berlin-Neukölln

Marktstand in Berlin-Neukölln: Frauen mit Kopftüchern schauen sich Tuchwaren an.

(Foto: dpa)

Mercedes-Benz, um beim Klischee zu bleiben, startete bereits 1994 mit Anzeigen, die etwa in der Deutschlandausgabe der türkischen Zeitung Hürriyet erschienen. Wenig später folgten TV-Spots auf türkischen Satellitenkanälen. Auch Volkswagen ließ Werbefilme für die Parallelgesellschaft drehen: "Volkswagen spricht Türkisch", lautete der Slogan. E-Plus entwickelte eine Mobilfunkmarke mit dem Namen "Ay Yildiz" - in Anspielung auf die türkische Fahne mit Halbmond und Stern. Nicht immer ist es für die Werbestrategen einfach, Kunden das Gefühl zu vermitteln: Wir verstehen Euch, bei uns könnt Ihr einkaufen. Das musste auch die Allianz lernen. "Alle im Konzern fanden das Riester-Sparschwein mit den zwei Schlitzen auf dem Rücken ganz toll", erzählt Kocak. "Aber Türken können sie mit einem Schwein nicht kommen."

Überhaupt gab es lebhafte Diskussionen innerhalb des Dax-Konzerns: Wie verträgt sich zweisprachige Werbung damit, die Integration in der Gesellschaft und die soziale Vielfalt im eigenen Haus zu fördern? So mancher Allianzer mag sich gefragt haben, ob es nicht angestammte Kunden vor den Kopf stößt, wenn ihr blauer Versicherungsvertreter auf einmal Türkisch spricht. Andererseits war klar: Wenn es um das Kleingedruckte der Firmenhaftpflicht oder Berufsunfähigkeitsversicherung geht, stoßen vor allem Gastarbeiter der ersten Generation schnell an ihre deutschen Sprachgrenzen. "Ich bin natürlich im Vorteil gegenüber deutschen Vertretern", sagt Kocak. Aber auch ihm gelingt es nicht immer, einen guten Draht zum Kunden aufzubauen.

Es sei schwierig, Türken Renten-, Lebens- oder Pflegeversicherungen zu verkaufen. Nicht, weil nicht gespart würde, sondern weil das Wissen fehlt, dass die Rente später einmal nicht reichen wird. "Die erste Generation der Auswanderer dachte: Ich komme in einen sicheren Sozialstaat, der sorgt für mich", beschreibt Kocak das Problem. "Dieses Gefühl haben die Eltern auch ihren Kindern vermittelt." Viele Türken hoffen auf einem Lebensabend in der preisgünstigen Türkei und drücken sich deshalb um die private Vorsorge. Allerdings kehrt schon heute nur jeder siebte Rentner in die Heimat zurück.

Ein großes Netzwerk aus Studentenzeiten hilft Kocak dabei, Kunden zu gewinnen. Während in Deutschland Geschäftsbeziehungen eher unpersönlich sind, sehen Türken darin Beziehungen zwischen Menschen. Sie kaufen gern, was ein Nachbar, Bekannter oder Verwandter empfiehlt. Vertrauen zählt viel.

Heimspiel ist für Kocak deshalb der Besuch im Kurdistan Kultur- und Hilfsverein, wo er einst Zivildienst geleistet hat. Dort, in einem Berliner Hinterhof am Paul-Lincke-Ufer, sitzen junge Frauen in einem überheizten Klassenzimmer und pauken Deutsch.

Fevzi Aktas, der den Verein seit mehr als zehn Jahren leitet, Sprachkurse, Freizeitangebote und Kitas organisiert, möchte einen Riestervertrag abschließen - oder doch besser eine Basisrente? Kocak berät ihn bei einem Gläschen Tee aus dem Samowar, klappt sein Notebook auf und rechnet ihm vor, wie viel er sparen muss, um seine Rentenlücke von 900 Euro im Monat zu schließen. Aktas will noch einmal mit seiner Frau darüber beraten, bevor er den Vertrag unterschreibt. Die Frauen, hat Kocak beobachtet, haben in den türkischen Familien das Sagen, wenn es um die Finanzen geht: "Sie teilen das Geld ein, halten es zusammen und kümmern sich um die Anlage."

Nicht immer läuft es für Ferat Kocak so glatt wie im Kurdenverein. "Ich hatte mal ein paar Termine in Marzahn, die habe ich wieder abgesagt, weil ich Angst bekommen habe", bekennt Kocak. Er schickte dann doch lieber einen deutschen Kundenberater in den verrufenen Plattenbaustadtteil. Auch eine alte Dame sorgte für Frust. Als sie die Tür aufmacht, sieht sie einen Ausländer und versteckt noch schnell ihre Handtasche. "Das war nicht schön", sagt Kocak. "Aber als sie gehört hat, dass ich ein studierter Migrant bin, war sie beruhigt. Das sei natürlich etwas anderes."

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