Umbruch an den Börsen:Zweifel am Kasino mit Hochgeschwindigkeit

Eine Ära geht zu Ende: Heute stellt die Frankfurter Börse den Handel auf dem Parkett ein, Computer übernehmen die Regie. Seit dem Rausch der New Economy stehen die Deutschen den Börsen skeptisch gegenüber. Dafür beherrschen High-Speed-Händler zunehmend die globalen Handelsströme.

Alexander Mühlauer

Es gab eine Zeit, da wurden Firmenchefs wie Popstars gefeiert. Kurz vor der Jahrtausendwende hatte die Welt der Nadelstreifenanzüge und der fest gebundenen Krawatten etwas Verführerisches: Sie lockte die Klein- und Bausparer mit dem Versprechen, das schnelle Geld zu machen. Davon angesteckt kauften viele Deutsche Papiere, die sie bisher nicht hatten. Aktien von Telekom und Infineon waren auf einmal so begehrt wie Konzertkarten von Michael Jackson und den Rolling Stones.

Deutsche Boerse modernisiert den Parketthandel

Lange Zeit interessierten sich die Deutschen für das Treiben an der Frankfurter Börse - eine Begleiterscheinung der sozialen Marktwirtschaft. Doch dann kam die Telekom und machte aus Kleinsparern erst Kleinanleger, dann Verlierer. Seitdem sehen viele die Börsen distanzierter.

(Foto: dapd)

Plötzlich daxte es überall: an den Stammtischen, in der Bild-Zeitung, vor der Tagesschau. Die Börse kam ins Wohnzimmer. Jeden Abend, kurz vor acht, sah man im Fernsehen die schwarze Anzeigetafel mit den Kursen, die Händler auf dem Parkett und ein Band mit vielen Zahlen und Plus oder Minus davor. Es ist ein Bild, das nicht die besten Erinnerungen weckt. All jene, die sich im Rausch der vermeintlichen New Economy verspekulierten, haben an der Börse viel Geld verloren. Kein Wunder, dass es immer weniger Aktionäre gibt. Und so ist auch verständlich, dass es kaum jemand merken wird, wenn an diesem Montag der Parketthandel an der Frankfurter Börse nach 426 Jahren eingestellt wird.

Im Fernsehen wird man davon nichts mitbekommen. Die Kulisse des Börsensaals bleibt erhalten: das Parkett, die schwarze Tafel mit dem Dax-Chart, sogar die Börsenmakler, die immer mehr zu Statisten werden. Die Computer verdrängen sie, nur bei wenigen Geschäften werden noch Menschen gebraucht. Es kommt zum Beispiel vor, dass ein Anleger 100 Aktien einer Firma verkaufen will; wenn es in diesem Moment niemanden gibt, der die Papiere haben will, dann springen die Makler ein, kaufen die Aktien und verkaufen sie weiter. Das können Computer nicht - noch nicht.

Die Deutsche Börse ist mit ihrer Umstellung des Parketthandels auf computergesteuerte Systeme nicht allein. Weltweit regieren schnelle und effiziente Rechner die Handelsplätze. Bereits 1997 führte die Frankfurter Börse ihr elektronisches Xetra-System ein, zuletzt fanden noch zehn Prozent des Handels auf dem Parkett statt. An der Wall Street gibt es seit 2005 die elektronische Handelsplattform Archipelago. Zuvor waren in New York täglich fast drei Millionen Aktiengeschäfte getätigt worden. Nach der Computereinführung stieg die Zahl binnen drei Jahren auf über 20 Millionen.

Die Macht kleiner, verschwiegener Unternehmen

Die Börsen haben eine Macht bekommen, die ungeheuerlich anmutet. Vor Ausbruch der Finanzkrise war das weltweite Handelsvolumen an den Finanzmärkten 73-mal so hoch wie das gesamte Bruttoinlandsprodukt der Welt. Die großen Deals werden heute an irgendwelchen Computern in Zürich, Hongkong oder sonstwo gemacht. Die Finanzkrise offenbarte, dass zu viele Wertpapiergeschäfte außerhalb regulierter Börsen abgewickelt werden. Banken und Hedgefonds handeln direkt miteinander. In Sekunden jagen Händler Milliarden durch die Währungsräume, elektronisch gesteuert von einem Rechner, der von niemandem reguliert wird - mit nur einem Ziel: maximalen Gewinn zu erzielen.

Sogenannte High-Frequency-Trader, kurz HFT, beherrschen mehr und mehr die globalen Handelsströme. Diese Hochgeschwindigkeitshändler wickeln Wertpapiergeschäfte in Millionstelsekunden ab. Unternehmen, die dieses Geschäft betreiben, sind klein, verschwiegen und kaum kontrolliert. Dabei verantworten sie bereits mehr als die Hälfte des US-Aktienhandels. Viele Experten sehen darin eine große Bedrohung für das globale Finanzsystem. Als Präzedenzfall gilt der "Flash Crash" vom 6. Mai 2010. An diesem Tag stürzte der US-Leitindex Dow Jones in weniger als 20 Minuten um fast 1000 Punkte ab, so schnell und tief wie nie zuvor. An den Märkten brach Panik aus. Nach einer halben Stunde war der Blitz-Crash vorbei, bis heute ist nicht geklärt, worin die Ursachen bestanden. Gut möglich, dass es an den High-Speed-Händlern lag.

Der volkswirtschaftliche Nutzen ihres Tuns ist zweifelhaft. Sie verwandeln die Finanzmärkte in ein Hochgeschwindigkeitskasino. Die gesellschaftliche Funktion von Börsen wird ad absurdum geführt: Eigentlich sollen sie die Wirtschaft mit Kapital versorgen; wie es aussieht, versorgen sich vor allem wenige Zocker. Um ihre Macht nicht zu verlieren, setzen die Börsen auf Größe. Die Deutsche Börse ist dabei, mit der Wall Street zu fusionieren. Die beiden wollen ein Gegengewicht zu den schnell wachsenden Konkurrenten in Shanghai und Hongkong schaffen. Fusionen bergen aber auch Gefahren: Wenn Börsen, ähnlich wie Banken, immer größer werden, ist es wie bei allen Dingen, die zu groß sind. Geraten sie ins Taumeln, sind die Folgen für das Gesamtsystem kaum beherrschbar.

Kein Wunder, dass die meisten Deutschen lieber die Finger von Aktien lassen und mit der Börse höchstens via Fernsehen etwas zu tun haben wollen. Wenigstens dort wird die Illusion des ehrlichen Parketthandels noch aufrechterhalten.

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