Umbau der Stromversorgung:Wenn die Wende kommt

Anteil erneuerbarer Energie

Höhere Preise, mehr Ökostrom, mehr Baustellen: Im neuen Jahr könnte der Umbau der Stromversorgung den entscheidenden Schritt vorankommen - und zum Selbstläufer werden. Doch neue Probleme warten.

Von Markus Balser und Michael Bauchmüller

Der Deutschen Stromrechnung ist der am besten versteckte Schattenhaushalt der Republik. Zusatzkosten für neue Meeres-Windparks? Kein Problem: per Umlage aufgeschlagen auf den Strompreis. Prämien für Reservekraftwerke im Winter oder neue Stromautobahnen quer durchs Land? Ebenso, ganz zu schweigen vom Ausbau der erneuerbaren Energien an sich. Die deutsche Energiewende, fein finanziert von Haushalten und Gewerbetreibenden. Noch nie erhöhten so viele Zusatzkosten die Stromrechnung wie seit dem Jahresanfang. Und noch nie war Strom so teuer.

Die Wende rückt näher. Das machen derzeit nicht nur wachsende Abschläge für den Energieversorger deutlich. Der Erfolg der Erneuerbaren ist auch im Netz messbar: Rund 25 Prozent des Stroms in Deutschland sind 2012 nach ersten Schätzungen aus Wind, Sonne, Wasserkraft und Biomasse gekommen. Ihr Ausbau schreitet in rasantem Tempo voran und übertrifft die Prognosen deutlich. Bei der Energiewende sei das erste Viertel des Wegs geschafft, sagt Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU). Damit stößt der deutsche Ökostrom-Ausbau in diesem Jahr endgültig in kritische Dimensionen vor - technisch wie finanziell.

"Wir bekommen jetzt die Quittung für die letzten Jahre"

Glaubt man Verbraucherschützern, werden wenigstens die Wende-Kosten im laufenden Jahr nicht weiter steigen. "Wir bekommen jetzt die Quittung für die letzten Jahre, in denen die Regierung trotz hohem rhetorischen Aufwand wenig getan hat, die Kosten zu begrenzen", sagt Holger Krawinkel, Energieexperte beim Bundesverband der Verbraucherzentralen in Berlin. "Das ist sicher kein Fanal für weitere Erhöhungen."

Beispiel Ökostrom-Umlage: Um rund 50 Prozent ist sie mit dem Beginn dieses Jahres angestiegen. Das aber ging vor allem auf das Konto des politischen Wunschs, die Umlage im vergangenen Jahr stabil zu halten - trotz ständig neuer Solaranlagen und Windräder. Große Steigerungen erwarten Experten nun fürs Erste nicht mehr, ganz im Gegenteil: Das Öko-Institut etwa hat die Effekte nachgerechnet und geht für 2014 von einer sinkenden Umlage aus. Der Bundesregierung käme das höchst gelegen. Denn die neue Umlagehöhe wird im Herbst publik, nah an der Bundestagswahl - auf eine neue Strompreisdebatte würde sie gerne verzichten. "Der einzige potenzielle Kostentreiber bleibt die Windkraft zur See", warnt Experte Krawinkel. "Und da wären wir gut beraten, langsamer voranzugehen." Zumal die Konkurrenz an Land wächst und wächst.

Denn mit Strompreisen auf Rekordhöhe lohnen sich zunehmend auch private Investitionen in Solaranlagen. Wurden die Module von Privatleuten vor wenigen Jahren noch in erster Linie aufs Dach geschraubt, um ordentlichen Profit zu erwirtschaften (finanziert durch die übrigen Stromkunden), lohnt sich mittlerweile die Anschaffung für den eigenen Bedarf. "Das wird immer mehr in die Planung einbezogen", sagt Claudia Kemfert, Wissenschaftlerin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Damit mache sich der Einzelne auch unabhängig von den Preisquerelen der jüngeren Zeit. "Und das ist dann auch eine echte Energiewende", sagt Forscherin Kemfert. "Denn es verändert den Markt komplett."

Wo Welten kollidieren

Allein in den ersten elf Monaten des vorigen Jahres wurden hierzulande knapp 173.000 Solaranlagen installiert, Gesamtleistung: fast 7,3 Gigawatt Strom, was rund zehn großen Kraftwerken entspricht - wenn die Sonne scheint. Damit dürfte 2012 erneut ein Rekordjahr werden, was den Zubau von Solaranlagen angeht. Wie 2010 und 2011. Und trotz ständig sinkender Fördersätze für neue Anlagen.

Damit prallen 2013 zunehmend verschiedene Energiewelten aufeinander. Einerseits das bisherige Konzept der Bundesregierung, das vor allem auf große Kraftwerke oder Windparks setzt. Zum anderen ein System, das sich von unten entwickelt, mit immer mehr kleinen Anlagen privater Haushalte, die ihren eigenen Strom produzieren und nur noch in knappen Zeiten Kraftwerksenergie zukaufen. Mit Folgen: Während das eine System vor allem große Stromtrassen von den Windstandorten im Norden zu den Verbrauchern im Süden braucht, verlangt das andere vor allem modernere Verteilnetze in den Gemeinden.

Experten fürchten vor allem eine Reaktion der Politik: Stillstand

Doch wo Welten kollidieren, wo Stromkunden plötzlich zu Konkurrenten selbst großer Stromkonzerne werden, geht es um Einfluss und Geld. Im Wahljahr fürchten Experten deshalb vor allem eine Reaktion der Politik: Stillstand. Denn die Parteien wollen es sich gerade jetzt mit wichtigen Lobbygruppen nicht verscherzen. "Aussitzen wird bis zum Wahltermin im Herbst die bestimmende Maxime der Politik", lästert der Vorstand eines Energiekonzerns.

Ausgerechnet die zentrale Reform der Energiepolitik im Wahljahr dürfte es schwer haben: die des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Die FDP will die Ökostromförderung radikal senken, die Union ist deutlich zurückhaltender, die Länder verfolgen ohnehin eigene Interessen. "Politisch wird da nicht mehr viel passieren", ist sich Felix Matthes, Energieexperte am Öko-Institut, sicher. Auch bei so schwierigen Fragen wie dem künftigen Design der Strommärkte oder der Umsetzung der europäischen Effizienzrichtlinie, die das Energiesparen vorantreiben soll, herrscht wenig Gestaltungswille - zumal die federführenden Ministerien für Wirtschaft und Umwelt in diesen Fragen derzeit kaum an einem Strang ziehen, jedenfalls nicht in dieselbe Richtung.

"Ohne neue Stromnetze wird die Energiewende nicht gelingen"

Die Wirtschaft warnt deshalb bereits vor einem Rückschlag für das gesamte Projekt, wenn nicht in den nächsten Monaten Weichen gestellt werden. Vor allem beim Ausbau der Stromnetze, dem derzeit entscheidenden Nadelöhr für den Umbau der Energiebranche. "Ohne neue Stromnetze wird die Energiewende nicht gelingen", sagt Hildegard Müller, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft, der Süddeutschen Zeitung.

"Damit der Netzausbau beschleunigt und länderübergreifend erfolgen kann, muss der bundesweite Netzentwicklungsplan noch in dieser Legislaturperiode von der Politik verabschiedet werden." Er soll den Boden bereiten für drei große Stromtrassen von Nord nach Süd - und trägt den nächsten Ärger schon in sich. Denn bisher gibt es nur ganz grobe Korridore für den Verlauf. Sobald das Gesetz steht, können die Netzbetreiber konkrete Planungen für die neuen Trassen einreichen. Und dann werden sie dafür werben müssen.

Nicht jeder vor Ort mag Strommasten.

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