Triumph für Bernanke:Der Radikale

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US-Notenbankchef Ben Bernanke darf für eine zweite Amtszeit die wichtigste Zentralbank der Welt leiten - obwohl er Republikaner ist. Er hat in der Krise viele Tabus gebrochen.

Nikolaus Piper

Jackson Hole ist für Notenbanker das, was Bayreuth für Richard-Wagner-Fans bedeutet. Jedes Jahr Mitte August trifft sich in dem Ferienort in der Nähe des Yellowstone-Nationalparks alles, was Rang und Namen hat in der internationalen Geldpolitik.

Obama setzt weiter auf Bernanke - und damit auf Stabilität. (Foto: Foto: AP)

Das Symposium wird von der Federal Reserve Bank of Kansas City organisiert und gilt als ein wichtiges Barometer der Weltwirtschaft. Wer wissen will, was in der Finanzwelt bevorsteht, sollte die Berichte von dort genau lesen. Im August vorigen Jahres, ganze vier Wochen vor dem Zusammenbruch von Lehman Brothers, war Jackson Hole ein Krisengipfel. Die US-Notenbank hatte sogar eine Kommandozentrale eingerichtet, die rund um die Uhr besetzt war, um jederzeit in die Finanzmärkte eingreifen zu können.

Der Gipfel am vorigen Wochenende war dagegen eine entspannte Angelegenheit. Auf den Photos aus Jackson Hole konnte man einen sichtlich gelösten US-Notenbankchef Ben Bernanke sehen im Gespräch mit seinem europäischen Kollegen Jean-Claude Trichet.

Guten Job gemacht

Beide hatten ihre Krawatten abgelegt und waren guter Laune. Bernanke soll sich zusammen mit seinem Vize Donald Kohn sogar auf eine Bergwanderung begeben haben. Die gute Stimmung ist ein verlässliches Zeichen dafür, dass das Schlimmste der Wirtschafts- und Finanzkrise vorbei sein dürfte und dass die Notenbanker davon überzeugt sind, bei deren Abwehr einen guten Job gemacht zu haben.

Für Bernanke gab es aber noch einen anderen Grund zur Freude: Am Mittwoch davor hatte ihn Präsident Barack Obama angerufen und davon unterrichtet, dass er dem Kongress vorschlagen werde, ihn für eine zweite Amtszeit zu nominieren. Dass er dort bestätigt werden wird, steht außer Frage. Die neue Amtszeit beginnt am 1.Februar 2010 und dauert vier Jahre.

Mit seiner Entscheidung, die Obama jetzt auf der Ferieninsel Martha's Vineyard offiziell verkündete, setzt der Präsident auf Stabilität. Nach der Rezession soll es auf dem langen und sehr schwierigen Weg zurück in die Normalität in der Federal Reserve keinerlei Unsicherheit geben. Die Finanzmärkte sollen wissen, woran sie sind. Obama traf die Entscheidung aus diesem Grunde auch relativ früh. Damit beendete er rechtzeitig die Nachfolgedebatte und verhinderte, dass der wahrscheinlichste Gegenkandidat zu Bernanke, Obamas Wirtschaftsberater Larry Summers, beschädigt wurde.

Außerdem wahrte er eine Tradition: Meist haben Präsidenten in der Vergangenheit nach ihrer Wahl an den Notenbankpräsidenten festgehalten, besonders wenn diese von der gegnerischen Partei stammten. Der Republikaner Ronald Reagan schlug den Demokraten Paul Volcker für eine zweite Amtszeit vor, der Demokrat Bill Clinton den Republikaner Alan Greenspan für eine dritte. Ben Bernanke ist ebenfalls Republikaner.

Unglaubliche Geschichte

Vor allem aber ist Obamas Entscheidung eine Anerkennung dafür, dass es Bernanke gelungen ist, den Zusammenbruch des Weltfinanzsystems und eine neue Weltwirtschaftskrise zu verhindern. Der Fed-Chef habe sich der drohenden Katastrophe "mit Ruhe und Weisheit, mit mutigen Handlungen und unorthodoxem Denken" entgegengestellt, sagte Obama auf einer Pressekonferenz.

Die meisten Ökonomen glauben, dass der Präsident damit richtigliegt - sie stehen hinter Bernanke. Im Kongress musste der Notenbankchef zwar teils bittere Kritik hören, aber auch dort wurde seine Nominierung begrüßt. "Ich hatte in den vergangenen Jahren ernsthafte Meinungsverschiedenheiten mit der Federal Reserve", sagte der demokratische Vorsitzende des Bankenausschusses im Senat, Christopher Dodd. "Trotzdem glaube ich, dass die Wiederernennung von Bernanke vermutlich die richtige Wahl ist."

Bernanke und die Wirtschaftskrise - das ist im Grunde eine fast unglaubliche Geschichte. Der heute 55-Jährige war ursprünglich ein zurückhaltender Wirtschaftsprofessor in Princeton, der sich ganz dem Studium der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre gewidmet hatte. Das Verständnis dieser Katastrophe sei der "heilige Gral der Makroökonomie", schrieb er einmal in einem Essay.

Aber er hätte sicher nicht im Traum daran gedacht, dass er es bald mit einer ähnlichen Krise zu tun bekommen würde, als ihn Präsident George W. Bush 2006 zum Nachfolger des legendären Alan Greenspan an die Spitze der Federal Reserve berief. Sein Programm: Er wollte die Kommunikation der Notenbank verbessern, Entscheidungen sollten transparenter, das Denken der Notenbanker verständlich werden. Außerdem wollte er die Fed kollegialer führen, als sein Vorgänger Greenspan dies getan hatte.

Doch nach anderthalb Jahren im Amt kam alles ganz anders. Im August 2007 brach die Finanzkrise aus, und nach anfänglichem Zögern begann Bernanke zu handeln - zunächst mit dem konventionellen Mittel der Zinssenkung, dann mit immer radikaleren Methoden. Erkennbar getrieben vom Willen, eine zweite Weltwirtschaftskrise zu verhindern, brach er ein Tabu nach dem anderen: Er weitete den Notenbankkredit auf vorher unvorstellbare Weise aus und blähte die Bilanz der Fed von 800 Milliarden auf über zwei Billionen Dollar auf.

Vielen wurde angst und bange

Er riskierte das Geld der Steuerzahler, als er im März 2008 half, einen Notverkauf der strauchelnden Investmentbank Bear Stearns an JP Morgan Chase zu arrangieren. Er machte bei der Rettung der Versicherung AIG mit. Bildlich gesprochen: Bernanke druckte so viel Geld, dass es vielen Beobachtern angst und bange wurde.

Heute gibt es kaum noch einen Zweifel daran, dass die Welt es wesentlich Ben Bernanke zu verdanken hat, dass der Zusammenbruch des Finanzsystems im vergangenen Herbst verhindert wurde. Bernanke sei der "Große Verhinderer", schrieb der sehr Fed-kritische Ökonom Nouriel Roubini von der New York University. Er habe im Vorlauf der Krise zwar viele Fehler gemacht, nach deren Ausbruch jedoch die Welt gerettet. Deshalb sei es richtig, ihm eine zweite Amtszeit zu gewähren.

Interessant sind allerdings auch die Stimmen der Bernanke-Kritiker. Dazu gehört etwa die hochangesehene monetaristische Ökonomin Anna Schwartz. Sie hatte einst zusammen mit dem späteren Nobelpreisträger Milton Friedman über die Weltwirtschaftskrise geforscht. Schwartz warf dem Fed-Chef in mehreren Beiträgen vor, den "Krieg von gestern" zu führen. Anders als die Krise der dreißiger Jahre sei die jetzige Finanzkrise nicht durch einen Mangel an Liquidität, sondern durch Solvenzprobleme der Banken verursacht worden. Bernanke habe daher die falschen Mittel angewandt. Im Kongress wurde Bernanke kritisiert, weil er im Verdacht stand, im September 2008 Druck auf Ken Lewis, den Chef der Bank of America, ausgeübt zu haben, die gefährdete Investmentbank Merrill Lynch zu übernehmen.

Auch Bernankes Unterstützer wissen, dass seine zweite Amtszeit mit Sicherheit nicht einfacher wird als die erste. In den nächsten Jahren wird es darum gehen, die Billionen Dollar, mit denen die Krise bekämpft wurde, behutsam wieder aus der Wirtschaft abzupumpen; nicht zu schnell, damit keine neue Rezession droht, aber schnell genug, um das Aufkommen von Inflation zu vermeiden.

Dabei wird Bernanke die Unabhängigkeit der Fed mit viel Mut verteidigen müssen. Zum Beispiel werden Zinserhöhungen schon zu einem Zeitpunkt unvermeidlich sein, an dem die Arbeitslosigkeit noch sehr hoch ist. Die Entscheidungen der Fed werden überdies den Schuldendienst der Regierung in Washington verteuern. Bernanke könnte ein sehr unpopulärer Mann werden. "Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um eine solide Grundlage für Wachstum und Prosperität in einem Umfeld der Preisstabilität zu liefern," sagte er am Mittwoch neben Präsident Obama.

© SZ vom 26.08.2009/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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