Thomas Kuczynski:"Karl Marx ist immer anregend"

DDR-Cheftheoretiker Thomas Kuczynski über die linke Antwort auf die Krise, wie er mit dem Dollar spekuliert hat und warum er sich keine Bücher leisten kann.

Caspar Dohmen

Thomas Kuczynski, 64, ist schon mit Karl Marx aufgewachsen. Sein Vater Jürgen war ein über die DDR hinaus bekannter Ökonom. Der Junior trat in seine Fußstapfen, studierte Ökonomie und promovierte über die Weltwirtschaftskrise. Er war der letzte Direktor am Institut für Wirtschaftsgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR. Heute lebt er in einem kleinen Reihenhaus in Berlin, arbeitet an einer neuen Studienausgabe von Marx' "Kapital" und steht regelmäßig auf der Theaterbühne, zuletzt in Rumänien - in einem Stück über eben dieses "Kapital".

Thomas Kuczynski: Skulptur von Karl Marx im sächsischen Chemnitz: Thomas Kuczynski arbeitet an einer neuen Studienausgabe des Marx-Klassikers "Das Kapital".

Skulptur von Karl Marx im sächsischen Chemnitz: Thomas Kuczynski arbeitet an einer neuen Studienausgabe des Marx-Klassikers "Das Kapital".

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Kuczynski, reden wir über Geld. Welches Verhältnis haben Sie zum Mammon?

Thomas Kuczynski: Ach, wissen Sie, Geld ist so notwendig, wie aufs Klo zu gehen. Ohne Geld ist in dieser Welt nicht zu überleben. Aber ich persönlich sehe es nicht als eine erstrebenswerte Tätigkeit an, ständig auf dem Klo zu sitzen.

SZ: Haben Sie schon mal spekuliert?

Kuczynski: Nachdem ich geerbt hatte, wurde der Euro eingeführt. Ich habe mir gesagt, du lässt dein Geld nicht in Euro, du machst ein Dollarkonto auf. Beim Rücktausch machte ich einen Währungsgewinn von 40 Prozent. Ich weiß, wie es geht, aber es interessiert mich nicht.

SZ: Ein wissenschaftlicher Verfechter des Marxismus als Kapitalist?

Kuczynski: Mit Skrupeln lässt sich kein Geschäft machen. Wenn Sie so wollen, habe ich mit dieser Transaktion keinen Mehrwert geschaffen, sondern mich an der Umverteilung des den Arbeitern schon lange vorher gestohlenen Mehrwerts beteiligt. Das ist etwas anderes. Ich würde auch nicht sagen, dass dies die ehrenvollste Tätigkeit ist, die man in dieser Gesellschaft ausüben kann, aber sie gehört wahrscheinlich zu den weniger schmutzigen.

SZ: Sahen Sie die Finanzkrise voraus?

Kuczynski: Dass die Blase platzen würde, war jedem klar, der noch realwirtschaftlich denken konnte. Aus dem einfachen Grunde, weil die ganzen Kreditoperationen ja nur den Effekt hatten, die seit Jahren vorhandene Kluft von überproduziertem Angebot und zahlungsfähiger Nachfrage zu verdecken.

SZ: Sie haben sich in Ihrer Doktorarbeit mit der Weltwirtschaftskrise beschäftigt. Gibt es Parallelen?

Kuczynski: Sehen Sie, der große Bankenkrach fand in Deutschland erst zwei Jahre nach Ausbruch der großen Krise statt - 1931. In den USA erst 1933. So einfach sind die Parallelen also nicht. Was noch folgen wird, ist schwer vorauszusagen. Es gibt düstere Prognosen, und es gibt Leute, die schon wieder den Silberstreif am Horizont sehen. Hier sehe ich Parallelen zur Weltwirtschaftskrise: Sie brauchen sich ja nur anzuschauen, wie über den Börsenkrach 1929 von den meisten Zeitgenossen geschrieben worden ist: Jetzt gehe es aufwärts, konnte man schon im November 1929, einen Monat nach dem Schwarzen Freitag lesen. Prognosen sind eben Lesen im Kaffeesatz.

Lesen Sie im zweiten Teil, warum die Krise ein vorgefertigter Zyklus ist - und warum das "Kapital" kein Kochbuch mit einfachen Rezepten ist.

"Karl Marx ist immer anregend"

SZ: Wie erleben Sie diese Krise?

Kuczynski: Mit gemischten Gefühlen, weil die Lage völlig unübersichtlich ist. Außerdem führt sie erst einmal dazu, dass es dem Gros der arbeitenden Menschen schlechter gehen wird. Dies kann niemandem willkommen sein, gehört aber zur Naturgesetzlichkeit des Krisenzyklus.

SZ: Wie sieht der Krisenzyklus aus?

Kuczynski: Die Krise ist der Ausgangspunkt, danach folgt die Depression, die Belebung, der Aufschwung, die Überhitzung, die Krise. Das ist ein sich wiederholender Prozess, der aber mit vielen Variationen abläuft. Das macht die Voraussage so schwierig.

SZ: Warum ist der Zyklus naturgesetzlich, die Wirtschaft macht doch der Mensch?

Kuczynski: Ja, die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber unter vorgefundenen Umständen, es läuft ein Zyklus ab. Das wissen wir seit Marx. Deswegen ist es völlig unsinnig zu glauben, dass die Finanzkrise vermieden worden wäre, wenn die Banker weniger gierig gewesen wären. Diverse Banken sind in Schwierigkeiten wegen der faulen Kredite. Wenn sie die faulen Kredite nicht aufgenommen oder ausgegeben hätten, hätten sie eine geringere Rendite erwirtschaftet, und alle Aktionäre wären ihnen weggelaufen.

SZ: Jetzt wird über neue Spielregeln für die Finanzmärkte gesprochen. Kann man gesündere Zustände erreichen?

Kuczynski: Sicher kann man neue Spielregeln aufstellen, die wieder mal für ein paar Jahre, wenn es hoch kommt ein paar Jahrzehnte funktionieren. Insofern möchte ich hier auf den aus meiner Sicht bedeutendsten Realpolitiker des vorigen Jahrhunderts verweisen, der meinte: Ausweglose Lagen für die Bourgeoisie gibt es nicht; dies war Lenin.

SZ: Vergessen Sie bei Ihrer Beurteilung von Lenin nicht die drastischen Folgen, welche die Politik der sozialistischen Staatsdiktatur erst unter Lenin, später unter Stalin für die Menschheit hatte?

Kuczynski: Lenin hat mit dem praktischen Aufbau des Sozialismus begonnen, Stalin mit dessen Zugrunderichtung. Lenin hat Fehler gemacht, wer macht die nicht? Stalin war ein Verbrecher.

SZ: Schätzen die Politiker das Ausmaß der Krise richtig ein?

Kuczynski: Ich glaube, dass die Leute, die neue Spielregeln entwickeln, die Dimension von dem, was noch nicht geplatzt ist, überhaupt nicht im Blick haben.

SZ: Was meinen Sie?

Kuczynski: Ich meine, die Rettungspakte der Staaten für die Banken haben ja schon eine Dimension, die für den einfachen Menschen nicht nachvollziehbar ist. Es ist aber ein Nichts im Vergleich zu den etwa 50 Billionen Dollar, die an Credit Default Swaps, also Kreditversicherungen herumgeistern. Wenn die Blase platzt, dann sind diese neue Spielregeln Makulatur.

SZ: Das "Kapital" von Marx lesen heute wieder viele Menschen - lange Jahre war es ein Ladenhüter. Eignet sich Marx für die Probleme unserer Zeit?

Kuczynski: Ja, aber Marx hatte gar kein Interesse daran, den Kapitalismus zu therapieren. Er wollte die Ordnung beseitigen.

SZ: Damit ist der Marxismus als Antwort auf unsere heutigen Probleme also völlig ungeeignet?

Kuczynski: Zwischen Marx und dem Marxismus liegen Welten. Marx ist immer anregend, vor allem für Leute, die eine radikal erneuerte Weltwirtschaft haben und sich nicht mit einem Herumlaborieren an den Symptomen begnügen wollen. Allerdings ist das "Kapital" ein wissenschaftliches Werk und kein Kochbuch, aus dem Rezepte zur Welterneuerung entnommen werden können.

Lesen Sie im dritten Teil, warum Attac gescheitert ist - und warum sich Thomas Kuczynski keine Bücher leisten kann.

"Karl Marx ist immer anregend"

SZ: Sie haben den real existierenden Sozialismus erlebt, leben nun in einem kapitalistischen System. Können Sie sich ein anderes Wirtschaftssystem vorstellen?

Kuczynski: Es kommt darauf an, über neue Wege eine gerechte Weltwirtschaftsordnung zu bauen. Aber auch für diese neuen Wege gilt das alte spanische Sprichwort: Es gibt keinen Weg - außer man geht ihn. Um ein schlüssiges Konzept durchsetzen zu können, müssen Sie die Menschen überzeugen, dies dauert seine Zeit. Davon sind wir allerdings meilenweit entfernt.

SZ: Wo gibt es Ansätze?

Kuczynski: Inzwischen wissen wir, dass auch Attac den Gutteil des Weges alles Irdischen gegangen ist, auch die Weltsozialforen nicht das gebracht haben, was man erhofft hatte. Ich mache dies niemandem zum Vorwurf. Attac war eine beachtenswerte Bewegung und ist an einem bestimmten Punkt gescheitert. Aber wie ein ganz alter Genosse, Theodor Bergmann, immer sagt: "Dann fangen wir eben wieder von vorne an."

SZ: Wann ist Ihnen klar geworden, dass die gesellschaftliche Entwicklung der DDR in einer Sackgasse endet?

Kuczynski: Die DDR ist nicht in einer Sackgasse geendet, sondern implodiert. Dass da eine Unzahl von Schwierigkeiten vorhanden war, eine Unzahl von Fehlern gemacht wurde, das wusste jeder, der sehenden Auges in dieser Gesellschaft lebte. Dass sie wie ein Kartenhaus zusammenfallen würde - niemand.

SZ: Sie waren der letzte Direktor des Instituts für Wirtschaftsgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR, die 1991 geschlossen wurde. Wie war die anschließende Arbeitslosigkeit?

Kuczynski: Arbeitslosigkeit war verglichen mit den heutigen Zuständen etwas Paradiesisches, weil man über eine längere Zeit gar nicht wenig Arbeitslosengeld bekam. Heute bei Hartz IV ist das ganz anders.

SZ: Wie viel verdienten Sie als Institutsdirektor zu Zeiten der DDR?

Kuczynski: Vielleicht 3000 Mark im Monat. Ich hatte zu DDR-Zeiten aber nicht einmal ein Auto. Auf Fragen sagte ich, mein Volvo steht im Regal; ich habe mein Geld für Bücher ausgegeben.

SZ: Wie viele kaufen Sie heute?

Kuczynski: Ein wirklicher Bücherkäufer kann ich gar nicht mehr sein. Dafür fehlt mir das Geld. Ich leiste mir nur den Luxus der Marx-Engels-Gesamtausgabe. Zum Glück erscheinen nur zwei Bände im Jahr. Allerdings will ich mich nicht beklagen. Jeder Mensch lebt nach seinen Präferenzen, ich bevorzuge es, an einer neuen Studienausgabe des "Kapital" zu sitzen, die mir keinen müden Euro einbringt. Dementsprechend kann ich nur wenig bezahlte Auftragsarbeit annehmen, dementsprechend wenige schöne Bücher kann ich kaufen. Dies ist eine Entscheidung, die sich aus der anderen ergibt. Schon der alte Goethe sagte: Im ersten Schritte bist du Herr, im zweiten bist du Knecht - deines ersten Schrittes. Das ist halt so.

SZ: Sie bringen als einer von acht Darstellern Ihren Lebenslauf bei der Inszenierung des "Kapital" auf die Bühnen. Waren Sie sofort bereit, bei diesem Projekt mitzumachen?

Kuczynski: Das war eine so verrückte Idee, die musste ich mir anhören. Wobei das Wort verrückt für mich eine spezielle Bedeutung hat. Ich habe etwas für Verrückungen übrig. Ich meine, wir müssen die Dinge verrücken. Wir müssen uns selbst verrücken, um zu neuen Einsichten zu gelangen. Insofern ist verrückt bei mir sehr positiv besetzt.

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