SZ-Serie Wohnungssuche:Mit dem Koffer voller Geld

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Wer in Los Angeles eine Wohnung mit Ozeanblick sucht, der sollte Bargeld dabei haben oder die richtigen Menschen kennen. Auf Makler sollte man sich nicht verlassen.

Von Jürgen Schmieder

Kristi Bender ist ein klein wenig irritiert. Der nette Herr mit Anzug und Aktenkoffer, der dieses Haus in Strandnähe besichtigt, bittet sie um ein Vier-Augen-Gespräch in der Küche. "Schicken sie all die anderen weg - ich zahle sofort in bar", sagt er und klappt den Koffer auf. Darin sind 110 Geldbündel mit jeweils 100 Hundert-Dollar-Scheinen penibel angeordnet. Dieser Mann trägt 1,1 Millionen Dollar bei sich, er will dieses Haus in Manhattan Beach unbedingt jetzt kaufen. Bender ist verwirrt, sie ist noch nicht einmal die Eigentümerin, sondern nur die aktuelle Mieterin.

Sie muss ausziehen, weil der Eigentümer dieses Haus verkaufen und vom Anstieg der Preise profitieren will, den manche durchaus als Blase bezeichnen, die bald platzen und viele Menschen treffen wird. Bender sucht für sich, ihren Ehemann, die beiden Töchter und den Hund eine neue Bleibe in der Nähe. Budget: 5000 Dollar. Pro Monat. "Vielleicht sollte ich die ersten beiden Mieten auch in bar mitnehmen", sagt sie und lacht. Der Mann mit dem Aktenkoffer voller Geld nickt. Er lächelt nicht, sondern sagt ohne erkennbare Mimik: "Lieber gleich fürs komplette erste Jahr." Dann nickt er noch einmal.

Der Immobilienmarkt in Los Angeles ist, man kann es nicht anders sagen, völlig verrückt geworden. Das verdeutlicht nicht nur die eigene Rubrik in der Los Angeles Times, die sich damit beschäftigt, welche Anwesen die Stars gerade verkaufen wollen. Das Hollywood-Hills-Haus von Footballspieler Larry English: 3,4 Millionen Dollar. Die Malibu-Strandhütte von Architekt Richard Landry: 11,9 Millionen. Die Villa mit Weinberg von Schauspieler Jeff Bridges: 23,5 Millionen. Die Playboy-Mansion von Hugh Hefner: 200 Millionen - mit der Auflage, dass Hef bis an sein Lebensende dort wohnen darf.

Der Wahnsinn offenbart sich auch dem, der keine Villa sucht, sondern nur eine kleine Wohnung möglichst in der Nähe des Pazifischen Ozeans. Die Makler verlangen mittlerweile 30 Dollar dafür, damit sie einem ein Objekt überhaupt zeigen - natürlich nicht allein, sondern gemeinsam mit vielen anderen Interessenten. Privatführungen kosten bis zu 100 Dollar. "Wir haben bereits 500 Dollar ausgegeben, nur um Häuser und Wohnungen überhaupt betreten zu dürfen", sagt Bender: "Wir haben uns für zehn Wohnungen beworben, sind bislang jedoch immer abgelehnt worden." Jemand, der 5000 Dollar pro Monat für eine Wohnung ausgeben möchte, sagt in dieser Stadt tatsächlich "bewerben".

Wer in LA eine Wohnung sucht, der bemerkt sogleich die Eigenheiten dieser Stadt. Zunächst einmal ist jeder Bewohner ein Makler. Der Typ neben einem am Strand: Makler. Die Bedienung im Restaurant, die einem gerade ihren bevorstehenden Durchbruch als Schauspielerin verkündet hat: Maklerin. Der Vater des Schulkameraden des Kindes: Makler. Sie alle kennen sich bestens aus, behaupten sie zumindest. Sie kennen Mietpreise und Zinssätze, Schulbezirke und Gewaltstatistiken, vor allem aber kennen sie einen, der einen kennt, der eine bezahlbare Wohnung vermieten will - und nur wer einen kennt, der einen kennt, der hat eine Chance, diese Wohnung auch mieten zu dürfen. "Beziehungen sind in dieser Stadt so wichtig wie der Inhalt des Geldbeutels, nicht nur bei Jobs in der Filmbranche, sondern derzeit auch bei der Wohnungssuche", sagt Jesse Dougherty, der tatsächlich als Vollzeit-Makler im Süden der Stadt arbeitet: "Ohne Kontakte ist man gerade in den umkämpften Gegenden in Strandnähe fast chancenlos."

Was so ein Makler nicht weiß und einen deutschen Mieter in den Wahnsinn treiben kann: die Quadratmeterzahl einer Wohnung. Wer danach fragt, wird angesehen, als hätte er die Lösung einer komplizierten Matheaufgabe gefordert. Was es ebenfalls nicht gibt: einen Grundriss der Wohnung. Es gibt Fotos und als Information die Anzahl der Schlafzimmer, weshalb die Wohnungssuche ungefähr so abläuft wie der Kauf einer Jeans: Man kennt zwar seine ungefähre Größe und Statur, doch ob das Ding wirklich sitzt, weiß man erst, wenn man es anzieht. Der Unterschied liegt freilich darin, dass das Anprobieren einer Jeans keine 30 Dollar kostet.

Wie hoch die Miete ist, hängt auch davon ab, wie gut die Grundschule dort ist

Los Angeles boomt, der durchschnittliche Preis für ein Haus im Bezirk liegt derzeit bei 1,58 Millionen Dollar, ein Anstieg von 17,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Mietpreise in den Filetstücken in Strandnähe sind innerhalb von zwölf Monaten um knapp neun Prozent gestiegen. Das liegt nicht nur daran, dass die Bewohner den Ozean sehen können, wenn sie sich ganz weit über den Balkon beugen und dann den Kopf nach rechts verrenken, sondern auch am Schulsystem. Das Kind geht dort zur Schule, wo es wohnt. Das klingt vernünftig, hat aber groteske Auswirkungen: Die Miete für die Wohnung in der einen Straße liegt nur deshalb um 400 Dollar höher, weil sie im Bezirk der angesehenen Grundschule liegt. Der Bewohner der vergleichbaren Wohnung exakt 150 Meter entfernt muss seine Kinder auf eine deutlich niedriger bewertete Einrichtung schicken. Makler wissen so etwas natürlich.

Wer nach Los Angeles zieht, der zieht nicht wirklich nach Los Angeles. Es gibt mehr als 100 Viertel und angrenzende Städte, aus denen die Bewohner die für sich passende Gegend auswählen müssen, die Unterschiede sind immens. Im Südwesten der Stadt etwa gibt es die sogenannten Beach Cities, nur ein paar Kilometer östlich befindet sich der Vorort Compton, der noch immer als äußerst gefährliches Pflaster gilt. Dazwischen liegt Torrence, das Viertel für die Mittelschicht. "Du bist, wo Du wohnst", sagt Dougherty und betont sogleich, dass es dabei nicht nur um die Nähe zum Strand oder gute Schulen geht, sondern manchmal einfach ums Überleben.

SZ-Serie, letzte Folge: Kapstadt (Foto: N/A)

Auf der Homepage der Polizei von Los Angeles kann sich der Bewohner über die jüngsten Verbrechen in einer bestimmten Gegend informieren. Wer will schon wohnen, wo im vergangenen Monat drei Menschen abgeknallt oder vier Frauen vergewaltigt wurden? Wer es sich leisten kann, entflieht dem Dschungel und zieht in eine sichere Gegend. Diese Gegenden werden immer teurer, weil immer mehr Menschen dorthin wollen, die Anzahl der Häuser dann aber doch begrenzt ist. Es wird zwar viel gebaut, doch aufgrund der Erdbebengefahr nicht zu hoch.

Mittlerweile wohnen in den guten Vierteln nicht mehr nur Filmstars und Musiker. Google eröffnete vor Kurzem seine Dependance und warb um Mitarbeiter mit dem Slogan: "Wer braucht schon Silicon Valley, wenn er Silicon Beach haben kann?" So nennen sie diesen Ort im Süden Kaliforniens, der zehn Grad wärmer ist als San Francisco im Norden. Technikfirmen wir Snapchat, Swagbucks oder TrueCar sind in LA angesiedelt, der Streamingdienst Hulu, die Kontaktbörse Tinder. "Dazu kommen die Pendler", sagt Dougherty: "Sie fliegen am Dienstag ins Silicon Valley, bleiben zwei Nächte im Hotel und kommen am Donnerstagabend zurück. Zwei Tage pro Woche arbeiten sie von zu Hause aus."

Ach ja: Der Footballverein Rams ist kürzlich aus St. Louis hierher gezogen. Das bedeutet, dass inklusive Trainer und Manager nun etwa 70 Millionäre nach Wohnungen und Häusern suchen. Wer jedoch glaubt, dass die Preise deshalb noch rasanter steigen, der wird überrascht. "Das dürfte kaum jemand bemerken", sagt Dougherty und verweist auf eine Statistik des Marktforschungsinstituts TNS Financial Services, nach der im Bezirk Los Angeles insgesamt 268 000 Millionäre wohnen und im südlichen Orange County noch einmal 116 000: "Auf die 70 mehr kommt es auch nicht mehr an."

Wer den Zuzug des Footballvereins bemerkt, das ist Kristi Bender - zum einen deshalb, weil ein paar Akteure bereits am Strand trainieren. Zum anderen, weil der Typ mit dem Aktenkoffer der Berater eines Rams-Spielers war, der unbedingt am Strand wohnen möchte und seinen Agenten deshalb mit einem Koffer voller Geld losgeschickt hat.

Die SZ berichtet in dieser Serie in loser Folge über den Wohnungsmarkt in den wichtigen Metropolen der Welt. Bisher sind erschienen: Madrid (23.10.), Peking (30.10.), Rio de Janeiro (6.11.), Sydney (13. 11.), London (20.11.), Tokio (27.11.), Wien (11.12.), Goma (2./3.1.), Tel Aviv (8.1.), Paris (15.1.), Brüssel (22.1.), New York (29.1.), Vancouver (5.2.), Zürich (12.2.), Rom (26.2.), Moskau (4.3.), Stockholm (1.4.) und Istanbul (6.5.)

© SZ vom 20.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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