SZ-Serie: Schatzsucher:Der Träumer aus Ankershagen

Heinrich Schliemann, Geschäftsmann und Lügner, findet Troja - und 15 Kilo pures Gold. Bei den Deutschen des 19. Jahrhunderts löst er ein Altertumsfieber aus.

A. Hagelüken

Er ist ein kleiner Junge, als er zu Weihnachten die "Weltgeschichte für Kinder" geschenkt bekommt, ein populäres Buch damals in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Heinrich Schliemann liest darin vom berühmten Heldenepos Homers, vom zehnjährigen Kampf der Griechen gegen die Stadt Troja unter ihrem König Priamos, vom Ringen der Helden Hektor und Achill. Er sitzt zuhause im Dorf Ankershagen in Mecklenburg, betrachtet das Bild der brennenden Stadt und ist infiziert.

"Solche gewaltigen Mauern können doch nicht ganz vom Erdboden verschwunden sein", denkt er. Von Troja lesen viele Kinder damals, in Mecklenburg, in Westfalen, in Bayern. Doch nur Heinrich Schliemann aus Ankershagen, der für seine Zwecke lügt und betrügt, nur dieser Schliemann ist so besessen von seinem Traum, dass er bis ans Ziel vorstößt.

Nach der Schule ist ihm das Dorf schnell zu eng, er geht nach Hamburg, Amsterdam, Petersburg, schon mit 24 ist er dort ein erfolgreicher Geschäftsmann.

Schliemann lügt, fälscht und betrügt

Ein Kompagnon wirft ihm vor, beim Wiegen von Edelmetall zu betrügen. Schliemann geht zu den Goldsuchern nach Kalifornien, er geht nach Panama, er liefert ein Drittel des Salpeters, das fürs Schießpulver im Krim-Krieg gebraucht wird. Wenn es seinen Zwecken dient, lügt und fälscht er, er gibt mit Abenteuern an, die er nie erlebte.

Als er 42 Jahre alt wird, fragt er sich, ob es das gewesen sein kann im Leben. Als er 42 Jahre alt wird, beginnt er zu reisen. Er will Troja finden, das Reich aus seinem Kinderbuch.

Während die etablierten Wissenschaftler Homers Epos als Legende sehen, glaubt der Träumer aus Ankershagen dem blinden Dichter. Mit Homers Versen in der Hand macht er sich auf. Er beginnt zu graben, in der heutigen Westtürkei. Nach einigen Tagen muss er aufgeben. Er hat nichts gefunden, aber auch gar nichts.

Sein Diener heisst Ödipus

Er fängt wieder an, Geschäfte zu machen, lässt sich von seiner russischen Frau scheiden, mit der er unglücklich war. Er heiratet die Griechin Sophia, die sich wie er für Homer begeistert. Heinrich ist 42, Sophia 17.

Er hatte den Erzbischof von Mantinea um die Bekanntschaft griechischer Frauen gebeten, drei Fotos erhalten - und Sophia ausgewählt. Sie bekommen zwei Kinder, sie nennen sie Agamemnon und Andromache. Auch seine Diener müssen altgriechische Namen tragen, Iokaste etwa oder Ödipus. Ödipus, bring ein frisches Hemd.

Schliemann will weitergraben. Er bricht nach Konstantinopel auf, verpasst aber das Schiff, bleibt in einer kleinen Hafenstadt hängen. Das ist die Fügung des Schicksals. Er lernt den amerikanischen Diplomaten Frank Calvert kennen, der ebenfalls vernarrt ist in Troja.

Calvert hat die Hälfte des Hügels Hisarlik gekauft, er schwört, hier müsse Troja liegen. Schliemann ist begeistert. Erst muss er drei Jahre auf eine Grabungslizenz des osmanischen Reichs warten, dann geht es los.

Der ehrgeizige Hobbyarchäologe tut etwas, das Wissenschaftler bis heute entsetzt: Er lässt einfach ein riesiges Loch durch den ganzen Hügel graben, 20 Meter breit und fast ebenso tief. Die Arbeiter baggern sich durch die jüngeren Schichten römischer oder griechischer Herkunft - und schütten das historische Fundmaterial einfach auf einer Abraumhalde ab. Troja ist das einzige, was Schliemann interessiert.

Schliemann zweifelt an seinem Fund

Endlich findet er etwas, das ihn interessiert: Mauern, die er für die Behausung des trojanischen Königs Priamos hält. Und dort hinter einem großen Gegenstand einen Schatz.

Und was für einen Schatz: Mehr als 60 Ohrringe und Armbänder, Trinkschalen, zwei Diademe mit tausenden hauchdünnen Plättchen. Und alles aus Gold, 15 Kilogramm des edelsten Metalls insgesamt, dazu tausende Keramiken und Bruchstücke.

Über die Umstände der Entdeckung spinnt er Legenden. Behauptet, seine Frau habe mit ihm den Schatz gefunden. Dabei war sie zu der Zeit bei der Beerdigung ihres Vaters.

Schliemann hat ein Abkommen mit dem Sultan, wonach alles Gefundene mit dem osmanischen Reich geteilt wird. Er betrügt den Sultan, bringt große Teile des Schatzes in den Diplomatenkoffern Frank Calverts außer Landes.

Keine Anerkennung von Forschern

An seinem Wohnort Athen kommt es deshalb zu einem Prozess, er soll 10000 Goldfranken zahlen. Freiwillig begleicht er die dreifache Summe - und findet fortan, dass ihm der Schatz gehört. Er schenkt ihm dem deutschen Volk. Sein Ruhm beginnt. Die etablierten Forscher schneiden ihn, ihre Anerkennung bleibt ihm versagt.

Doch ansonsten löst Schliemann ein wahres Altertumsfieber aus. Die Reichshauptstadt Berlin ernennt ihn zum Ehrenbürger, was ihn als Wissenschaftler auf eine Stufe mit Alexander von Humboldt stellt.

Zum Ende seines Lebens beschleichen Schliemann selbst Zweifel, dass er wirklich entdeckt hat, was er vorgibt: "Ich habe nicht das gefunden, was ich gesucht habe". Die Schlachten, die Homer womöglich inspirierten, fanden etwa 1300 Jahre vor Christus statt.

Der Schatz aber, so viel ist heute klar, ist 1000 Jahre älter. Bis heute sind Archäologen uneinig, wie bedeutend die antike Stadt von Hisarlik ist, die Schliemann und nachfolgende Generationen ausgegraben haben.

Angst um die Sicherheit des Schatzes

Der Schatz, der nicht von König Priamos stammen kann, lagerte bis Ende des Zweiten Weltkriegs in Berlin. Als die Rote Armee die Stadt einnahm, überreichte ein Museumsdirektor den Großteil davon einem sowjetischen General. Der Museumsmann hatte einen Befehl Adolf Hitlers ignoriert, den Schatz nach Westen bringen zu lassen, weil er um die Sicherheit der antiken Kostbarkeiten fürchtete.

Jelzin verrät Versteck

Fünf Jahrzehnte lang weiß kaum einer, wo das Gold abgeblieben ist. Bis der damalige russische Präsident Boris Jelzin mal wieder über den Durst trinkt, 1993 in Athen. Er bietet seinen Gastgebern an, sie könnten mal den Goldschatz des Priamos ausstellen, "den haben wir". Da ist es raus.

Nun reklamiert die Türkei den Schatz, Griechenland auch, und natürlich will die Bundesrepublik die Beutekunst zurückhaben, auf die es nach völkerrechtlichen Verträgen einen Anspruch hat. Aber das Gold lagert bis heute in Moskau.

Es bleibt die Geschichte von Heinrich Schliemann aus Ankershagen, dem Lügner und Betrüger, der den großen Traum von Troja hatte. Als er 1890 in Neapel heftige Schmerzen bekommt, will er nicht in die Klinik gehen. Er bricht zu den Ruinen von Pompeji auf, ein letzter Gang in die Antike. Kurz danach ist er tot.

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